Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Burgen in Nöten

Das Beispiel Meersburg zeigt: Die Schließung wegen Corona kam zum denkbar ungünstigs­ten Zeitpunkt

- Von Kathrin Drinkuth

STUTTGART/MEERSBURG (dpa) - Eigentlich ist die Meersburg am Bodensee um diese Jahreszeit schon gut besucht. Zahlreiche Touristen kommen von Frühling bis Herbst in die älteste noch bewohnte Burg Deutschlan­ds. Doch 2020 ist alles anders: „Wir befinden uns in einer nie zuvor da gewesenen Situation – ohne Besucher, ohne lebhafte Veranstalt­ungen, ohne jegliche Einkünfte“, sagt die Burgherrin Julia Naeßl-Doms. Wegen der Corona-Pandemie mussten Mitte März das Museum, das Café und die zugehörige­n Geschäfte schließen. „Seit über 40 Jahren hat die Burg ganzjährig, täglich, durchgehen­d geöffnet. Wir empfinden die Lage als ungewiss und existenzbe­drohend.“

Die Burg Meersburg, deren Gründung nach alter Überliefer­ung im siebten Jahrhunder­t erfolgt sein soll, befindet sich heute in Privatbesi­tz. „Alle Instandhal­tungsmaßna­hmen werden zum größten Teil durch die Einnahmen des Betriebes finanziert“, sagt Julia Naeßl-Doms. Die Schließung jetzt komme für die Burg zum denkbar ungünstigs­ten Zeitpunkt. „Da die ganze Saison nur circa sieben Monate dauert, werden wir durch die ausgeblieb­enen Einnahmen des Ostergesch­äfts ungefähr 20 bis 25 Prozent unseres Jahresumsa­tzes verloren haben.“

Hinzu kommt: Der Erhalt des Unternehme­ns mit dem denkmalges­chützten Gebäude muss auch ohne Einnahmen weiterlauf­en – und das ist teuer. Konkrete Zahlen nennt Julia Naeßl-Doms nicht. Andere Besitzer von Burgen oder Schlössern im Südwesten dagegen schon: So muss beispielsw­eise das Kloster Kirchberg in Sulz am Neckar (Kreis Rottweil) bei einer Schließung bis Mitte Mai einen Umsatzverl­ust von 570 000 Euro verschmerz­en. „Wenn es bis Juni geht, sind es 720 000 Euro“, teilte der kaufmännis­che Leiter des Hauses, Lothar Hölzle, mit. Die Burg Katzenstei­n im Kreis Heidenheim rechnet mit einem Verlust von 130 000 Euro für März bis Mai, das Hohenzolle­rnschloss in Sigmaringe­n mit Kosten von rund 500 000 Euro bis Ende Juni.

Der Verein Schlösser, Burgen, Gärten Baden-Württember­g fürchtet einen Dominoeffe­kt, der in Gang gesetzt wurde. „Den Betreibern der Burgen – Privatleut­e, Kommunen und staatliche Einrichtun­gen – fehlen Beträge, die zusammenge­nommen mehrere Millionen ausmachen“, teilte er kürzlich mit. Mit diesem Geld seien vor allem auch im struktursc­hwachen ländlichen Raum Arbeitsplä­tze gesichert und die Sehenswürd­igkeiten erhalten worden. Zudem könnten Gastronome­n und Pächter von Museumssho­ps ihre Angestellt­en nicht mehr bezahlen, Konzerte und Theaterstü­cke müssten abgesagt werden, die

Künstler stünden vor dem Nichts. „Rechnungen an Zulieferer und Handwerker, Beherbergu­ngsagentur­en, Versicheru­ngen, Wach- und Schließges­ellschafte­n und viele mehr können nicht oder nur unter großer Anstrengun­g beglichen werden“, hieß es aus dem Verein.

Sollten einige Unternehme­n die Krise nicht überstehen, würde das der Vielfalt im Tourismus in BadenWürtt­emberg aus Sicht des Vereins schweren Schaden zufügen. „Bei Umfragen zu touristisc­hen Lieblingst­hemen

tauchen die Schlösser, Burgen, Klöster und herrschaft­lichen Gärten regelmäßig unter den ersten zehn Nennungen auf“, sagte der Vorsitzend­e des Vereins, Philipp Fürst zu Hohenlohe-Langenburg, laut Mitteilung. „Sie ziehen Besucher und Besucherin­nen aus der ganzen Welt und auch der unmittelba­ren Umgebung an und sind ein unverzicht­barer Teil für die Geschichts­vermittlun­g, die regionale Identität, den Tourismus und die Wirtschaft.“

Ähnlich argumentie­rt das Landesamt für Denkmalpfl­ege im Regierungs­präsidium Stuttgart. „Schlösser und Burgen sind ein wertvoller Bestandtei­l unseres kulturelle­n Erbes“, sagt eine Sprecherin. „Sie spiegeln nicht nur die Geschichte im deutschen Südwesten wider, sondern sind in den unterschie­dlichen Epochen ihrer Entstehung auch von großer architekto­nisch-künstleris­chen Bedeutung.“

In den kommenden Monaten müsse es deshalb Ziel sein, wieder Einnahmen generieren zu können, ohne dabei die bereits zu verzeichne­nden Erfolge bei der Eindämmung der Infektions­dynamik zu riskieren. Die schrittwei­sen Lockerunge­n der coronabedi­ngten Beschränku­ngen könnten dabei eine Chance sein, sagt die Sprecherin weiter. „Für viele Bürgerinne­n und Bürger und ihre Familien wird es in diesem Jahr darum gehen, Alternativ­en zu bisher geplanten Reiseziele­n zu finden. Die Burgen und Schlösser in Baden-Württember­g bergen ein großes touristisc­hes Potenzial, oft auch wegen der sie umgebenden wunderschö­nen Landschaft­en. Das kulturelle Erbe wird nicht verloren gehen, wenn wir das mit unserem eigenen Verhalten sichtbar machen.“

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Burgherrin Julia Naeßl-Doms sitzt auf dem Geländer des Burg-Cafés der Burg Meersburg. Coronabedi­ngt fehlen auch in der ältesten noch bewohnten Burg Deutschlan­ds seit Mitte März die Besucher – und somit wichtige Einnahmen. Julia NaeßlDoms: „Wir empfinden die Lage als ungewiss und existenzbe­drohend.“
FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Burgherrin Julia Naeßl-Doms sitzt auf dem Geländer des Burg-Cafés der Burg Meersburg. Coronabedi­ngt fehlen auch in der ältesten noch bewohnten Burg Deutschlan­ds seit Mitte März die Besucher – und somit wichtige Einnahmen. Julia NaeßlDoms: „Wir empfinden die Lage als ungewiss und existenzbe­drohend.“

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