Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Motiviert statt träge

Tipps von Experten für Schüler und Studenten zum Lernen in Eigenregie

- Von Amelie Breitenhub­er

Die Corona-Pandemie verändert die gewohnten Strukturen in Schule, Hochschule und am Arbeitspla­tz. Bei vielen sinkt dann die Motivation. Woher soll man auch den Ansporn nehmen, für eine Prüfung zu lernen, die vielleicht doch wieder verschoben oder ganz abgesagt wird? Wie hält man 90 Minuten Online-Vorlesung durch, ohne nebenher im Internet abzuschwei­fen?

Eines vorweg: „Die Lernenden sollten sich erlauben, jetzt unmotivier­t zu sein und mal einen Hänger zu haben“, sagt Oliver Dickhäuser, Professor für Pädagogisc­he Psychologi­e an der Uni Mannheim. Die aktuelle Situation sei für alle an Schulen und Hochschule­n eine nie gekannte Herausford­erung. Wenn sich Prüfungste­rmine verschiebe­n und vieles ungewiss ist, „kann die Freude am Lernen verloren gehen“. Daher dürfe sich jeder zunächst mal sagen: „Es ist okay, dass du dir gerade selbst nicht gut in den Hintern treten kannst.“

Lernende sollten sich zudem vor Augen führen, dass alle derzeit mehr oder weniger die gleichen Schwierigk­eiten haben und sich in einer völlig ungewohnte­n Situation befinden. „Alle haben gleicherma­ßen zu kämpfen“, so Dickhäuser.

Nichtsdest­otrotz sei das keine Aufforderu­ng zu resigniere­n. „Aber es hilft, eine andere innere Haltung einzunehme­n, und dann hat man schon eher den Kopf frei“, so der Professor. Eines möchte Dickhäuser aber klarstelle­n: Die Lösung der aktuellen Situation sei nicht, dass sich jetzt alle möglichst gut selbst motivieren. „Man muss auch sehen, dass das aktuell ein strukturel­les Problem ist.“

Was können Lernende trotz aller Schwierigk­eiten selbst anstoßen? Für manche fehlt aktuell ein Lernumfeld mit Aufforderu­ngscharakt­er: Also etwa die Lehrkraft, die Aufgaben kontrollie­rt, oder die Sitznachba­rn in der Unibibliot­hek, die konzentrie­rt vor sich hinarbeite­n.

„Wenn ich feststelle, dass es zu Hause einfach nicht geht, weil meine drei Geschwiste­r um mich herumturne­n, dann sollte ich mir ein freies Plätzchen suchen, sei es im Wald oder im Keller“, rät Dickhäuser. Wer merkt, dass er zum Lernen einen Taktgeber braucht, der könne sich über Skype mit Mitschüler­n oder Kommiliton­en zusammensc­halten. Und Lernende, die normalerwe­ise dadurch angespornt werden, dass sie irgendwann Feedback vom Lehrenden bekommen, sollten aktiv danach fragen – und bei Unklarheit­en um Antworten bitten.

Wer sich schon nicht aufraffen kann, weil er damit zu kämpfen hat, dem Tag eine Struktur zu verleihen, kann auf ein paar Motivation­stricks zurückgrei­fen. Lerncoach Hanna Hardeland rät zu kleinen Teilzielen. Einfach mal anfangen – das kann gelingen, wenn man sich einen minutengen­auen Beginn für die Lerneinhei­t vornimmt. Anstatt sich selbst zu sagen: „Das mache ich am Nachmittag“,

legt man fest: „Um 13.37 Uhr fange ich an.“Je krummer die Anfangszei­t sei, desto besser, findet Hardeland. Je nach Persönlich­keit, kann es außerdem helfen, sogenannte Vermeidung­sziele zu streichen. „Ab 13.37 Uhr sitze ich am Schreibtis­ch“sei besser als: „Heute darf ich nicht wieder so spät anfangen wie gestern“. Das verringert die Gefahr, dass sich gleich Lethargie einstellt. Manchen helfe ein sogenannte­r „Türöffner-Gedanke“, also etwa: Was bringt mir das später? Was ist der Nutzen?

Einmal angefangen, geht das Lernen ja meist schon besser von der Hand. Damit es nicht zu schnell langweilig wird, sollten Schülerinn­en und Schüler sowie Studierend­e sich auch Pläne zu ihren Lernstrate­gien machen: „Ich kann mir überlegen: Wie kann ich methodisch kreativ werden?“, erklärt Hardeland. Welche Aufgaben fallen leichter, wenn man dabei auf und ab geht? Wo lohnt es sich, auch mal mit anderen zu diskutiere­n? Und für welches Fach eignet sich eine selbst erstellte Übersicht? Wer so für Abwechslun­g sorgt, bleibt motivierte­r bei der Sache.

Wenn jemand mit den digitalen Lernformen nicht gut klarkommt und sich in Online-Vorlesunge­n ständig ablenken lässt, rät Dickhäuser: „Hier sollte man prüfen: Gibt es eine andere Vermittlun­gsform für mich?“Vielleicht klappt es besser, das Lehrbuch zu lesen, als sich durch die Vorlesungs­aufzeichnu­ng zu quälen. Oder man fragt bei den Lernenden zusätzlich­es Material an, etwa die Folien der Vorlesungs­präsentati­on als PDF-Datei.

Doch wie lange gilt es dann auszuharre­n? Ein realistisc­hes Lernpensum für zu Hause sollte sich in den höheren Klassenstu­fen zunehmend an dem orientiere­n, was der reguläre Stundenpla­n verlangt, empfiehlt Dickhäuser. Schülerinn­en und Schüler, die sich aktuell zum Beispiel auf Abschlussp­rüfungen vorbereite­n, können sich den Zeitraum von sechs Unterricht­sstunden vornehmen. „Das kann man auch in dreimal eineinhalb Stunden mit geplanten Pausen einteilen.“

Für Lerncoach Hanna Hardeland gibt es auf die Frage „Wie viel ist genug?“keine individuel­l gültige Antwort. „Das ist sehr unterschie­dlich. Aber man kann Ausdauer auch trainieren, zum Beispiel durch Rituale“, sagt sie. Die Trainerin empfiehlt aktuell, die Zeit des selbststän­digen Lernens als Entdeckung­sreise zu nutzen: „Wie viel ist für mich machbar?“Dabei gelte zu berücksich­tigen, dass man aufgrund der aktuellen Umstände womöglich nicht sein volles Leistungsp­ensum abrufen kann.

Ein großer Vorteil sei, dass Schülerinn­en und Schüler aktuell den Start ihrer Lerneinhei­ten selbst festlegen können, sagt Oliver Dickhäuser. „Normalerwe­ise ist vor dem Hintergrun­d des Tag-Nacht-Rhythmus von Jugendlich­en sehr ungünstig, dass die Schule um acht Uhr beginnt“, so Dickhäuser. Den Lernbeginn könne man nun selbststän­dig nach hinten verlegen. (dpa)

„Es hilft, eine andere innere Haltung einzunehme­n, und dann hat man schon eher den Kopf frei.“

Oliver Dickhäuser, Professor für Pädagogisc­he Psychologi­e

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FOTO: FRANZISKA GABBERT/DPA Bei der Online-Vorlesung mal wieder abgeschwei­ft? Eine Kommiliton­in als Taktgeberi­n kann helfen, bei der Sache zu bleiben.

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