Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Keine Drogen, keine ausgelatschten Schuhe
Ein Moralkodex soll Russlands Polizisten sittlich motivieren und ihr Ansehen verbessern
MOSKAU - Für das russische Innenministerium ist Ethik auch eine Frage des Aussehens: Es wünscht sich Polizeibeamte, die in geputzten, nicht ausgelatschten Schuhen erscheinen, mit straffen Körpern und Kurzhaarfrisuren, in gut sitzenden Uniformen oder Zivilanzügen – und, abgesehen vom Ehering, ohne Schmuck. „Sie dürfen“, resümiert das Internetportal fontanka.ru, „nicht schlechter aussehen als James Bond.“Aber die Ordnungshüter sollen auch die sprachliche Kultur beachten, „ihre Gedanken grammatisch korrekt, verständlich und genau wiedergeben“und „Schimpfwörter sowie Slang vermeiden“.
Der neue Moralkodex, den das Ministerium zur öffentlichen Diskussion ins Internet gestellt hat, wirkt fast wie ein Knigge für Polizisten. 15 Benimmregeln, um die Autorität der Polizeiorgane in der Gesellschaft zu stärken, aber auch um „eine sittliche Motivation zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Dienstpflichten“zu verschriften.
Einiges klingt wirklich so, als wäre diese sittliche Motivation erst noch zu schaffen. So sollen sich die Beamten gefälligst an die Straßenverkehrsordnung halten, keine Drogen konsumieren, ihre Dienstvollmachten nicht missbrauchen und überhaupt „die Priorität der staatlichen vor ihren persönlichen Interessen anerkennen“.
Das Ansehen der Polizisten in Russland ist nicht besonders hoch. Zwar wechseln immer weniger Moskauer die Straßenseite, wenn ihnen eine Patrouille entgegenkommt. Aber auch nach einer Umfrage des kremlnahen Meinungsforschungsinstituts FOM halten nur 43 Prozent der Russen Polizisten für ehrlich und anständig. Selbst im Innenministerium scheinen Zweifel zu herrschen. Es schreibt in seinem Ehrenkodex auch, höhere Polizeioffiziere dürften sich von untergebenen Dienststellen weder bewirten noch beschenken lassen. Und überhaupt sollten die Beamten „bei der Einrichtung ihrer Büros keine Luxusgegenstände verwenden“.
Die Sicherheitsorgane gelten als korrupt, auch als gewalttätig. Und der Regierungsabgeordnete Anatoli Wyborny kritisiert in der „Parlamentskaja Gaseta“, es gebe Situationen, in denen die Ordnungshüter es ausnutzten, dass sie „mit dem Gesetz befreundet“ seien. „Aber sie halten sich nicht an das Gesetz.“
Gut, dass der neue Kodex auch verlangt, keine Handlungen zu dulden, die grausam sind, jemanden erniedrigen oder ihm physischen Schmerz zufügen. Allerdings schreibt die Zeitung „Kommersant“, die 15 Gebote seien unverbindlich. Verstöße dagegen allein würden noch nicht disziplinarisch geahndet. Eine Frage der Moral, nicht mehr ...
„Dieser Kodex ist lächerlich“, schimpft der Menschenrechtler Lew Ponomarjow. In der Praxis würden Ordnungshüter, die Gesetze brechen, bestenfalls durch Entlassung bestraft. „Unsere Polizei ist ein völlig geschlossenes System. Wie früher bewertet es seine Beamten nach der Anzahl abgehakter Fälle oder kassierter
Bußgelder, nicht danach, wie moralisch sie dabei zu Werke gehen.“Im Ergebnis würden häufig Unschuldige zur Rechenschaft gezogen. Frei nach der Devise „Im Zweifelsfall gegen den Angeklagten“.
Parallel zur öffentlichen Debatte des Ehrenkodexes will die Regierung ein Gesetz über neue Vollmachten für die Rechtsschutzorgane in der Staatsduma einbringen. Es sieht unter anderem vor, vaterländische Polizisten nicht für Handlungen strafrechtlich zu verfolgen, die sie in Ausübung ihrer Pflichten begehen. Hoffentlich folgen die Beamten trotzdem Regel 5.5. ihres neuen Ehrenkodexes. Und verzichten zumindest dann auf „harte Maßnahmen“gegenüber „Rechtsbrechern“, wenn Frauen, Kinder oder alte Leute zusehen.