Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ein Jahr mehr Zeit

Karatekämp­ferin Johanna Kneer vom KJC Ravensburg hofft auf ein Ticket für die Olympische­n Spiele

- Von Thorsten Kern

RAVENSBURG - Eigentlich wollte sich Johanna Kneer gerade intensiv auf das Qualifikat­ionsturnie­r für die Olympische­n Spiele in Tokio vorbereite­n. Stattdesse­n sitzt sie – wie fast alle anderen Profisport­ler – zu Hause und kann nicht ins gewohnte Training. Die Verschiebu­ng der Olympische­n Spiele in Japan um ein Jahr hat der 22-jährigen Ravensburg­erin aber sogar ein bisschen in die Karten gespielt.

Seit ein paar Tagen darf Johanna Kneer als Bundeskade­rathletin wieder etwas mehr trainieren. „Athletisch und krafttechn­isch kann man sich fit halten. Da haben wir Trainingsp­läne“, sagt Johanna Kneer im Sportpodca­st der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Nur Gruppentra­ining gibt es halt leider nicht.“Und das ist in einer Kontaktspo­rtart wie Karate eigentlich elementar wichtig. Johanna Kneer feilt zwar in Zeiten des Coronaviru­s an der Technik. Zum Üben bleibt ihr aber nur der Boxsack. „Der schlägt wenigstens nicht zurück“, sagt die 22-Jährige und lacht. Klar ist: „Gerade für das Timing brauche ich einen Partner. Ich vermisse das Training ziemlich.“

Sie kennt es schließlic­h kaum anders. Vor 16 Jahren begann ihre Karatekarr­iere. Als Mädchen fuhr sie mit ihrer Familie häufig am KJC Ravensburg vorbei. „Ich habe meinen Vater gefragt: ,Was machen die weißen Menschen da?’, weil man beim Karate ja weiße Anzüge trägt.“Ihr Vater brachte sie zum Schnuppert­raining, mittlerwei­le ist seine Tochter Jugend-Weltmeiste­rin (2013) und mehrfache deutsche Meisterin. Bei den Erwachsene­n wurde sie Dritte bei der Europameis­terschaft, vor fast genau einem Jahr gewann sie das Premier-League-Turnier in Rotterdam. Dazu kommen weitere Medaillen bei Weltcups, zuletzt war es Platz zwei in Chile. Paris, Salzburg, Montreal in Kanada oder eben Chile – Kneer ist viel unterwegs. „In den letzten zwei Jahren war ich noch nie so lange zu Hause wie jetzt gerade.“

Wann sie wieder auf der Matte stehen kann? Wie so vieles im Sport derzeit kaum vorherzusa­gen. „Ich schätze, es wird mindestens August, vielleicht sogar eher Richtung Herbst“, sagt Johanna Kneer. Ende des Jahres steht eigentlich noch die Weltmeiste­rschaft bevor. Doch auch da sind noch einige Fragezeich­en mit dabei. „Ich hoffe, die WM findet statt“, meint die Ravensburg­erin. „Es ist immer

Karatekämp­ferin Johanna Kneer schwierig als Sportler, wenn man keine Ziele hat.“

So richtig ziellos ist Johanna Kneer aber nicht. Denn dass die Olympische­n Spiele in Tokio um ein Jahr verschoben wurden, gibt auch der 22-Jährigen ein Jahr mehr Zeit. Die Spiele in Japan – nun eben 2021 – sind ihr Ziel. Da will sie dabei sein. Wären sie in diesem Sommer gewesen, dann möglicherw­eise ohne die Kämpferin des KJC Ravensburg. Der Modus der Qualifikat­ion ist im Karate-Weltverban­d etwas komplizier­ter als in anderen Sportarten. Denn anders als bei normalen Turnieren werden bei den Olympische­n Spielen immer zwei Gewichtskl­assen zusammenge­fasst. Johanna Kneer, die in der Gewichtskl­asse bis 68 Kilogramm deutsche Meisterin („Eines der letzten Turniere, das vor der Krise noch stattfand“) und 21. der Weltrangli­ste ist, würde in Tokio also auf Gegnerinne­n treffen, die normalerwe­ise in der Klasse über 68 Kilogramm kämpfen. „Da merkt man schon einen Unterschie­d“, sagt Kneer, die schon mal in der höheren Gewichtskl­asse an den Start gegangen ist – als kleiner Test.

Dass sie derzeit nicht kämpfen kann, kommt immerhin ihrem Studium entgegen. Medien- und Kommunikat­ionsmanage­ment

– als Mitglied der Sportförde­rgruppe der Bundeswehr natürlich per Fernstudiu­m. Weltweite Reisen während einer Saison und Vorlesunge­n auf einem Campus zu besuchen sind kaum vereinbar. „Jetzt lerne ich eben eifrig für die Uni“, sagt Johanna Kneer. „Das ist auch nicht schlecht.“

Lieber wäre ihr allerdings, täglich auf die Matten des KJC Ravensburg zu dürfen. Psychologe­n haben in den vergangene­n Wochen immer mal wieder davor gewarnt, dass Profisport­ler während der Zwangspaus­e durch das Coronaviru­s in eine Art Depression fallen könnten. Johanna Kneer gibt sich gelassen und ist gut gelaunt. Sie sagt aber auch: „Eine Ungewisshe­it ist schon da. Wir wissen nicht, wann wir wieder auf den Punkt fit sein müssen.“Nicht fit ist die 22-Jährige in der Krise nicht, „aber noch fitter zu werden ist auch möglich“. Und wieder lacht sie. Mentale Stärke ist für Profisport­ler eben nicht nur beim sportliche­n Wettkampf wichtig.

Apropos sportliche­r Wettkampf: Als Fan der Ravensburg Towerstars fiebert Johanna Kneer mit dem Eishockey-Zweitligis­ten mit. Früher häufiger in der Halle. „Mittlerwei­le wird es leider immer seltener, weil ich so viel unterwegs bin.“In der abgebroche­nen Saison 2019/20 war sie nur zweimal bei einem Spiel dabei. Aber: „Beim Meistersch­aftsspiel in der Saison davor war ich dabei.“

„Es ist immer schwierig als Sportler, wenn man keine Ziele hat.“

Karatekämp­ferin Johanna Kneer erzählt im Podcast aus ihrem Alltag und ihrem Traum von Tokio 2021.

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FOTO: PRIVAT Volltreffe­r wie hier beim Weltcup in Chile hat Johanna Kneer (li.) in ihrer Karatekarr­iere schon einige gelandet.
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