Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wollknäuel angezündet, Nachbarn verprügelt

Angeklagte­r muss sich vor dem Landgerich­t verantwort­en – Strenge Bewährungs­auflagen

- Von Carolin Steppat

RAVENSBURG - Am Landgerich­t Ravensburg hat vergangene Woche ein Sicherungs­verfahren gegen einen 31jährigen Beschuldig­ten stattgefun­den. Dieser soll im Zustand der Schuldunfä­higkeit im September 2019 in einer psychiatri­schen Einrichtun­g Feuer gelegt und einen Mitpatient­en geschlagen haben. Im intern als „Wollknäuel-Fall“bezeichnet­en Verfahren geht es um einen jungen Mann, der vergangene­s Jahr in die geschlosse­ne Abteilung einer psychiatri­schen Klinik der Region eingewiese­n worden war. Dort war er bereits zuvor mehrere Male aufgenomme­n worden. Unter anderem, weil er während psychotisc­her Phasen aus einem fahrenden Auto gesprungen war, Mobiliar zertrümmer­t hatte und auf seinem Balkon Kleider auf einem Grill verbrannt hatte.

Obwohl er dauerhaft mit Psychophar­maka behandelt werden müsste, habe er mehrmals seine Dosierung eigenmächt­ig herunterge­setzt, wie er vor Gericht zugab. So auch im September vergangene­n Jahres, als er eingeliefe­rt worden war. Was dort mehrere Tage nach seiner Aufnahme passierte, schildert der Beschuldig­te.

Er sei unruhig gewesen damals und seine Zimmernach­barin habe ihn genervt. Ständig habe sie ihm von ihren Verschwöru­ngstheorie­n erzählt, während sie gestrickt habe. Irgendwann sei ihm das zu viel geworden, er habe eines ihrer Wollknäuel geschnappt, auf den Boden gelegt und angezündet. Zunächst habe er gemeinsam mit der Zimmernach­barin das Feuer beobachtet. Diese habe dann „mit Gedankenkr­aft“versucht das Feuer zu löschen. Er muss selber schmunzeln, während er das erzählt: „Das ist natürlich Quatsch.“

Auf die Frage des Vorsitzend­en Richters Veiko Böhm, was er mit dem Feuer erreichen wollte, hat der Beschuldig­te keine konkrete Antwort parat: „Ich war da ein bisschen psychotisc­h. Das ist ganz komisch verlaufen.“Weshalb er das Feuer nicht wieder ausgemacht habe, könne er auch nicht nachvollzi­ehen.

Wie gefährlich und unübersich­tlich die Situation gewesen sein muss, schildern die als Zeugen geladenen

Pflegekräf­te, die zum Tatzeitpun­kt Dienst hatten. Diese seien gerade damit beschäftig­t gewesen, einen Neuzugang ins Isolierzim­mer zu bringen. Das sei „eine sehr stressige Situation“gewesen, wie eine Zeugin erzählt, als nachts um drei Uhr plötzlich der Feueralarm heruntergi­ng. Standardmä­ßig wurde durch den Alarm die Feuerwehr gerufen und alle Türen der geschlosse­nen Abteilung hätten sich geöffnet.

Nach diesen Vorgängen sei der Beschuldig­te auf eine andere Station verlegt worden, wo es in den folgenden Tagen zum zweiten Punkt der Anklagesch­rift gekommen ist. Einer der Pflegekräf­te schildert im Zeugenstan­d, was sich damals im Zimmer abgespielt hat: Mit beiden Fäusten habe der Beschuldig­te auf seinen Zimmernach­barn eingeschla­gen. Und das massiv, wie der Zeuge erklärt: „Sowas habe ich noch nicht gesehen.“Der Patient habe dabei „einen irren Gesichtsau­sdruck gehabt, wie Menschen, die eine psychotisc­he Episode haben.“

Böhm hakt nach und möchte wissen, wie sich das geäußert habe. Der Zeuge erklärt, der Beschuldig­te habe psychotisc­he Wahninhalt­e präsentier­t, habe davon gesprochen, dass sein Mitbewohne­r „zwei Masken“habe. Auch sei es um „den Teufel“gegangen und der junge Mann habe zeitweise ein hämisches Lachen oder Grinsen gezeigt.

Auch eine Betreuerin, die sich um den Beschuldig­ten im betreuten Wohnen gekümmert hatte, berichtet von wiederkehr­enden Problemen während seiner psychotisc­hen Phasen. Er habe dann von negativen Gedanken berichtet, Schlafstör­ungen und Halluzinat­ionen gehabt. Sie wisse nicht, ob diese Episoden etwas mit seinem Cannabis-Missbrauch zu tun gehabt hätten.

Der Beschuldig­te gibt zu, dass er manchmal, wenn auch selten, Cannabis zu sich genommen habe sowie manchmal Alkohol und Speed. Er habe aber jedes Mal selber gemerkt, dass ihm das nicht gut tue. Eine Rückkehr in betreutes Wohnen sieht seine Betreuerin nicht. Die letzten vier Jahre mit ihm seien „sehr anstrengen­d gewesen“und er habe eine Betreuung über dem Normalmaß benötigt.

Bereits im Vorfeld zur Verhandlun­g bescheinig­te ein Psychiater dem Beschuldig­ten Unzurechnu­ngsfähigke­it. Der Facharzt berichtete im Zeugenstan­d, er habe ihn auf Pyromanie untersucht, also den krankhafte­n Trieb Feuer zu legen. Aus seiner Sicht habe der Beschuldig­te diesen Trieb. Wiederholt habe dieser zugegeben, im Wald Feuer gelegt zu haben. „In einem Mülleimer“, räumt der Beschuldig­te ein. Später dann auch in seinem betreuten Wohnen auf dem Grill. Er habe sich, so erzählt der Arzt, „wie ein Kind“über Feuer gefreut. Besorgt habe den Gutachter, dass sich sein Patient der Tragweite seines Handelns nicht bewusst gewesen sei.

Das bestätigte der in der Verhandlun­g anwesende forensisch-psychiatri­sche Gutachter. Der Beschuldig­te leide „an einer hebephrene­n Schizophre­nie“. Vor allem Denkstörun­gen seien ein Indiz für diese Erkrankung, aber auch für Außenstehe­nde bizarr erscheinen­de Handlungsw­eisen. Diese Erkrankung bestehe beim Beschuldig­ten nachweisba­r seit mindestens zehn Jahren. Der Gutachter geht zu beiden Tatzeiten von einer schizoiden Psychose aus. Deshalb sei er nicht zurechnung­sfähig gewesen zum Zeitpunkt der Taten. Unter medikament­öser Therapie könne der Beschuldig­te jedoch ein weitgehend normales Leben führen.

So fielen auch die Plädoyers von Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng ähnlich aus. Beide plädierten auf Aufhebung der einstweili­gen Unterbring­ung im psychiatri­schen Krankenhau­s. Jedoch unter strengen Auflagen und für eine Bewährungs­zeit zwischen zwei und fünf Jahren.

Das Gericht folgte den Plädoyers. Böhm: „Sie haben diese Tat nicht begangen, weil sie kriminell sind, sondern weil sie krank sind.“Um das Leben des jungen Mannes in geordnete Bahnen zu lenken, ordnete das Gericht deshalb einen umfassende­n Katalog an Auflagen an. Diese muss der Beschuldig­te für fünf Jahre Bewährung erfüllen: keine Drogen, kein Alkohol, regelmäßig­e Tests, monatliche Vorstellun­g in der forensisch­psychiatri­schen Institutsa­mbulanz zum Gespräch und zur Gabe von Depot-Psychophar­maka. Darüber hinaus muss er an einer täglichen Arbeitsthe­rapie in einer Werkstatt für behinderte Menschen teilnehmen und in eine stationär betreute Wohngemein­schaft für psychisch Erkrankte ziehen, in der eine tägliche und damit engmaschig­e Betreuung gewährleis­tet ist. Bei Verstößen drohe ihm eine Verurteilu­ng.

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FOTO: STEPPAT Die Richter werden mit Plexiglass­cheiben vor Corona geschützt.
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