Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Wollknäuel angezündet, Nachbarn verprügelt
Angeklagter muss sich vor dem Landgericht verantworten – Strenge Bewährungsauflagen
RAVENSBURG - Am Landgericht Ravensburg hat vergangene Woche ein Sicherungsverfahren gegen einen 31jährigen Beschuldigten stattgefunden. Dieser soll im Zustand der Schuldunfähigkeit im September 2019 in einer psychiatrischen Einrichtung Feuer gelegt und einen Mitpatienten geschlagen haben. Im intern als „Wollknäuel-Fall“bezeichneten Verfahren geht es um einen jungen Mann, der vergangenes Jahr in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik der Region eingewiesen worden war. Dort war er bereits zuvor mehrere Male aufgenommen worden. Unter anderem, weil er während psychotischer Phasen aus einem fahrenden Auto gesprungen war, Mobiliar zertrümmert hatte und auf seinem Balkon Kleider auf einem Grill verbrannt hatte.
Obwohl er dauerhaft mit Psychopharmaka behandelt werden müsste, habe er mehrmals seine Dosierung eigenmächtig heruntergesetzt, wie er vor Gericht zugab. So auch im September vergangenen Jahres, als er eingeliefert worden war. Was dort mehrere Tage nach seiner Aufnahme passierte, schildert der Beschuldigte.
Er sei unruhig gewesen damals und seine Zimmernachbarin habe ihn genervt. Ständig habe sie ihm von ihren Verschwörungstheorien erzählt, während sie gestrickt habe. Irgendwann sei ihm das zu viel geworden, er habe eines ihrer Wollknäuel geschnappt, auf den Boden gelegt und angezündet. Zunächst habe er gemeinsam mit der Zimmernachbarin das Feuer beobachtet. Diese habe dann „mit Gedankenkraft“versucht das Feuer zu löschen. Er muss selber schmunzeln, während er das erzählt: „Das ist natürlich Quatsch.“
Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Veiko Böhm, was er mit dem Feuer erreichen wollte, hat der Beschuldigte keine konkrete Antwort parat: „Ich war da ein bisschen psychotisch. Das ist ganz komisch verlaufen.“Weshalb er das Feuer nicht wieder ausgemacht habe, könne er auch nicht nachvollziehen.
Wie gefährlich und unübersichtlich die Situation gewesen sein muss, schildern die als Zeugen geladenen
Pflegekräfte, die zum Tatzeitpunkt Dienst hatten. Diese seien gerade damit beschäftigt gewesen, einen Neuzugang ins Isolierzimmer zu bringen. Das sei „eine sehr stressige Situation“gewesen, wie eine Zeugin erzählt, als nachts um drei Uhr plötzlich der Feueralarm herunterging. Standardmäßig wurde durch den Alarm die Feuerwehr gerufen und alle Türen der geschlossenen Abteilung hätten sich geöffnet.
Nach diesen Vorgängen sei der Beschuldigte auf eine andere Station verlegt worden, wo es in den folgenden Tagen zum zweiten Punkt der Anklageschrift gekommen ist. Einer der Pflegekräfte schildert im Zeugenstand, was sich damals im Zimmer abgespielt hat: Mit beiden Fäusten habe der Beschuldigte auf seinen Zimmernachbarn eingeschlagen. Und das massiv, wie der Zeuge erklärt: „Sowas habe ich noch nicht gesehen.“Der Patient habe dabei „einen irren Gesichtsausdruck gehabt, wie Menschen, die eine psychotische Episode haben.“
Böhm hakt nach und möchte wissen, wie sich das geäußert habe. Der Zeuge erklärt, der Beschuldigte habe psychotische Wahninhalte präsentiert, habe davon gesprochen, dass sein Mitbewohner „zwei Masken“habe. Auch sei es um „den Teufel“gegangen und der junge Mann habe zeitweise ein hämisches Lachen oder Grinsen gezeigt.
Auch eine Betreuerin, die sich um den Beschuldigten im betreuten Wohnen gekümmert hatte, berichtet von wiederkehrenden Problemen während seiner psychotischen Phasen. Er habe dann von negativen Gedanken berichtet, Schlafstörungen und Halluzinationen gehabt. Sie wisse nicht, ob diese Episoden etwas mit seinem Cannabis-Missbrauch zu tun gehabt hätten.
Der Beschuldigte gibt zu, dass er manchmal, wenn auch selten, Cannabis zu sich genommen habe sowie manchmal Alkohol und Speed. Er habe aber jedes Mal selber gemerkt, dass ihm das nicht gut tue. Eine Rückkehr in betreutes Wohnen sieht seine Betreuerin nicht. Die letzten vier Jahre mit ihm seien „sehr anstrengend gewesen“und er habe eine Betreuung über dem Normalmaß benötigt.
Bereits im Vorfeld zur Verhandlung bescheinigte ein Psychiater dem Beschuldigten Unzurechnungsfähigkeit. Der Facharzt berichtete im Zeugenstand, er habe ihn auf Pyromanie untersucht, also den krankhaften Trieb Feuer zu legen. Aus seiner Sicht habe der Beschuldigte diesen Trieb. Wiederholt habe dieser zugegeben, im Wald Feuer gelegt zu haben. „In einem Mülleimer“, räumt der Beschuldigte ein. Später dann auch in seinem betreuten Wohnen auf dem Grill. Er habe sich, so erzählt der Arzt, „wie ein Kind“über Feuer gefreut. Besorgt habe den Gutachter, dass sich sein Patient der Tragweite seines Handelns nicht bewusst gewesen sei.
Das bestätigte der in der Verhandlung anwesende forensisch-psychiatrische Gutachter. Der Beschuldigte leide „an einer hebephrenen Schizophrenie“. Vor allem Denkstörungen seien ein Indiz für diese Erkrankung, aber auch für Außenstehende bizarr erscheinende Handlungsweisen. Diese Erkrankung bestehe beim Beschuldigten nachweisbar seit mindestens zehn Jahren. Der Gutachter geht zu beiden Tatzeiten von einer schizoiden Psychose aus. Deshalb sei er nicht zurechnungsfähig gewesen zum Zeitpunkt der Taten. Unter medikamentöser Therapie könne der Beschuldigte jedoch ein weitgehend normales Leben führen.
So fielen auch die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung ähnlich aus. Beide plädierten auf Aufhebung der einstweiligen Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus. Jedoch unter strengen Auflagen und für eine Bewährungszeit zwischen zwei und fünf Jahren.
Das Gericht folgte den Plädoyers. Böhm: „Sie haben diese Tat nicht begangen, weil sie kriminell sind, sondern weil sie krank sind.“Um das Leben des jungen Mannes in geordnete Bahnen zu lenken, ordnete das Gericht deshalb einen umfassenden Katalog an Auflagen an. Diese muss der Beschuldigte für fünf Jahre Bewährung erfüllen: keine Drogen, kein Alkohol, regelmäßige Tests, monatliche Vorstellung in der forensischpsychiatrischen Institutsambulanz zum Gespräch und zur Gabe von Depot-Psychopharmaka. Darüber hinaus muss er an einer täglichen Arbeitstherapie in einer Werkstatt für behinderte Menschen teilnehmen und in eine stationär betreute Wohngemeinschaft für psychisch Erkrankte ziehen, in der eine tägliche und damit engmaschige Betreuung gewährleistet ist. Bei Verstößen drohe ihm eine Verurteilung.