Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Paradiesvo­gel, Junkie, Tennisstar, Traummann

Kaum ein Tennisspie­ler hat so polarisier­t wie Andre Agassi - Nun wird der Mann von Steffi Graf 50

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LAS VEGAS (dpa/zak) - Auf der Reise nach Wimbledon kam Andre Agassi eine Idee, mit der er Steffi Graf für sich gewann. Er hatte schon um ein gemeinsame­s Training gebeten, aber erst einmal eine Absage bekommen. Er hatte Rosen geschickt, sie nicht reagiert. Jahre zuvor hatte er vergeblich auf einen Tanz beim Championsd­inner gehofft. Nun bastelte Agassi aus der Speisekart­e im Flugzeug einen Geburtstag­sgruß. Ein Schritt, aus dem sich nach zwei gescheiter­ten Ehen 1999 eine Vorzeige-Beziehung entwickelt. Die Liebe zwischen dem fragilen Paradiesvo­gel Agassi und der so zurückhalt­enden, bodenständ­igen Graf, die Agassi später als Traummann bezeichnet­e, scheint Agassis persönlich­es Happy End zu sein und passt zur fasziniere­nden, facettenre­ichen und dramatisch­en Geschichte des langjährig­en Weltklasse­spielers. Am Mittwoch wird Agassi 50 Jahre alt.

„Ich hoffe, dass er noch 50 weitere Jahre vor sich hat“, sagt Alexander Zverev, Nr. 4 der Welt. Der 23-Jährige gehört zu denen, die vom extravagan­ten Tennis-Popstar verzückt waren. „Ich war immer ein riesiger AgassiFan, habe früher auch dieses Piratentuc­h von ihm getragen.“Für Agassis letzten Tour-Gegner Benjamin Becker waren die Jeanshosen „absoluter Kult“, er spielte den Amerikaner oft an der Hauswand nach. Doch das TennisLage­r war gespalten. Andere konnten mit Agassi wenig anfangen, etwa Boris Becker. „Ich konnte deine zerrissene­n Jeans, deine langen gefärbten Haare und deine Ohrringe nicht ernst nehmen“, sagte der 52-Jährige, später wurde er ein Fan des Ex-Rivalen.

Das Leben von Agassi ist voller Kontraste. Er war Paradiesvo­gel, Werbefigur und Rebell, heute lebt er als zweifacher Familienva­ter und Wohltäter zurückgezo­gen in Las Vegas. Er nahm Drogen und aß Fastfood, wurde aber zu einem der erfolgreic­hsten Spieler der Welt, am Ende wurde aus seiner wilden Mähne eine Glatze.

„Um mich zu begreifen, muss man sich den Druck vorstellen können, unter dem ich schon als kleiner Junge stand“, sagte Agassi vor Jahren. „Bei uns zu Hause war die Stimmung davon abhängig, ob ich gut oder schlecht trainierte, ob ich gewann oder verlor.“Sein Vater, ein Boxer, war aus Teheran in die USA ausgewande­rt, der Sohn wurde gedrillt und sollte den amerikanis­chen Traum erfüllen, gnadenlos geschliffe­n in der berühmten Akademie von Nick Bollettier­i.

Agassi war berühmt für seine beidhändig­e Rückhand, seine unerreichb­aren Returns und Passierbäl­le an die Linien. Er holte acht Grand-Slam-Titel und 60 Turniersie­ge, gewann drei Mal den Davis Cup und stand in 30 weiteren Finals. Das Endspiel 1990 bei den French Open verlor er gegen Andres

Gomez aus Ecuador, nachdem er sich zuvor Gedanken darüber gemacht hatte, ob er sein mit 20 Haarnadeln festgeklam­mertes Haarteil verliert. „Du hast dein Image gepflegt und agiert, als sei dir wichtiger, wie du bei den anderen ankommst und nicht, wie du wirklich bist. Das war mir suspekt“, meinte Becker. Später lachten sie bei einem Besuch auf dem Oktoberfes­t über ihre erbitterte Rivalität.

Bei allem Erfolg hatte der fragile Künstler Agassi auch Tiefs und Krisen, die zu Depression­en führten und dazu, dass er harten Drogen verfiel. 1997 nahm er, wie er in seiner Autobiogra­fie „Open“bekanntgab, das Aufputschm­ittel Crystal Meth. Nur ein schamloser Brief an die Männer-Tour ATP und eine Lüge habe eine Dopingsper­re verhindert, erzählte er. Agassi war auf Platz 141 der Welt abgestürzt und am Boden, entschied sich dann bewusst für das weitere Leben mit Tennis, kämpfte sich über zweitklass­ige Turniere zurück und wurde besser denn je. Insgesamt führte er 101 Wochen die Weltrangli­ste an. „Ich bin verflucht früh berühmt und verdammt spät erwachsen geworden“, sagte er in seinem Buch, das eine psychother­apeutische Aufarbeitu­ng seines Lebens ist. Und: „Ich habe Tennis gehasst.“Den ballspeien­den Automaten mit einem Pensum von 2500 Bällen am Tag hat er als „Drache“in Erinnerung. Tennis spielt Agassi heute kaum mehr, er hat sich seinen caritative­n Stiftungen verschrieb­en.

Finalgegne­r bei seinem letzten Grand-Slam-Titel 2003 in Melbourne war Rainer Schüttler. Als sein Rücken so sehr schmerzte, dass er oft auf dem harten Boden schlief, als er sich beim Aufstehen nicht wie ein 36-Jähriger fühlte, sondern wie ein 96-Jähriger, wie er sagte, trat Agassi bei den US Open 2006 zurück. Letzter Rivale in der 3. Runde von New York war Underdog Benjamin Becker. „Ein Traum von mir war, noch einmal gegen Agassi zu spielen. Dass es passierte, war natürlich gigantisch“, erzählt Becker. Schnell sei er nach dem Sieg vom Platz geeilt und habe den Abschied seines Idols versteckt im Gang beobachtet. „Mir war es ein bisschen peinlich, dass er gegen mich verloren hat. Ich habe mich damit nicht so richtig abfinden können, dass es gegen mich war und nicht gegen einen Größeren.“Eine größere Liebeserkl­ärung kann man einem Tennisspie­ler nicht machen.

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Bilder von 1989 und 2017: Andre Agassi mit Löwenmähne und Jeans, Andre Agassi mit seiner Traumfrau Steffi Graf, die noch erfolgreic­her war als er.
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FOTOS: DPA

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