Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Familien genießen geringe Priorität
Erst öffnen die Bau- und Gartenmärkte, dann die Kirchen und dann, irgendwann später, die Kindergärten. Je mehr Lebensbereiche auf den Weg in einen neuen Alltag gebracht werden, desto stärker zeigt sich, wer auf der Prioritätenliste ganz hinten steht. Es sind Familien mit kleinen Kindern.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Vorsicht bei der Lockerung der Corona-Beschränkungen ist angebracht, die Pandemie ist keineswegs vorbei. Aber wenn denn gelockert wird, dann stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien dies geschieht.
Viele Eltern fühlen sich am Ende ihrer Kräfte. Homeoffice und Kinderbetreuung lassen sich nicht über einen längeren Zeitraum unter einen Hut bekommen, ohne dass das Familienleben leidet. Darüber scheint in Deutschland aber weniger intensiv nachgedacht zu werden als über die Frage, wie man die Saison in der Fußball-Bundesliga zu Ende bringt.
Ja, die Notbetreuung wurde ausgeweitet – aber das greift für viele Familien nicht. Und es gibt einen Stufenplan der Kultusministerkonferenz zur weiteren Kita-Öffnung – der hat aber keinen festen Zeitrahmen und ist davon abhängig, wie er in den Ländern umgesetzt wird. Dass Baden-Württemberg und Bayern auch hier nicht zu den Vorreitern gehören werden, darf man annehmen.
Dabei wäre es so wichtig für viele Kinder, wieder mehr Kontakt zu Gleichaltrigen zu haben. Es leiden insbesondere diejenigen, die ohnehin schon zu den weniger Privilegierten zählen. Kinder in beengten Wohnverhältnissen ohne den Luxus eines eigenen Gartens. Kinder von Alleinerziehenden, die den CoronaAlltag organisatorisch und, wenn Kurzarbeit hinzukommt, auch finanziell kaum stemmen können. Und Kinder mit speziellem Förderbedarf. Sie müssen besonders berücksichtigt werden, wenn der Kreis der Kinder, die in die Kita zurückdürfen, ausgeweitet wird. Der Betreuungsbedarf der Eltern kann nicht das einzige Kriterium sein. Nicht die Zwänge der Arbeitswelt sollten für die Kitas im Mittelpunkt stehen. Sondern die Bedürfnisse der Kinder.