Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die Grünen wollen wieder besser gehört werden

Die Partei hat an Boden verloren – Beim Online-Parteitag beschließt sie Pläne für die Corona-Krisenbewä­ltigung

- Von Teresa Dapp

BERLIN (dpa) - Er kann nicht auf Applaus hoffen, nicht mal auf freundlich­es Nicken, aber das hält Robert Habeck nicht von großen Worten ab. „Es ist nicht die Stunde der nationalis­tischen Geier. Jetzt ist die Stunde, Phönix zu werden“, sagt der GrünenChef, und meint Europa in der Corona-Krise. Habeck geißelt „Hyperkonsu­m und Turbokapit­alismus“, fordert Klima- und Umweltvorg­aben für Unternehme­n, die in der Krise vom Steuerzahl­er gestützt werden.

Eine normale Parteitags­rede bei den Grünen? Nein, normal ist fast nichts: Statt in die Gesichter der Delegierte­n in einer Halle schaut Habeck in einen ziemlich leeren Raum in der Parteitags­zentrale, statt Küsschen und Umarmungen gibt es Probleme mit Webcams und Mikrofonen. Die Grünen haben als erste in der Corona-Krise das Experiment eines Online-Parteitags gewagt. Aus gutem Grund.

Denn in der Corona-Krise hatten es die Grünen zuletzt nicht einfach. In den Umfragen ging es von deutlich mehr als 20 Prozent runter auf 14 bis 16. Der Klimaschut­z hat seinen Spitzenpla­tz auf der politische­n Agenda verloren. Partei und Bundestags­fraktion überschlug­en sich mit Vorschläge­n.

Manches nahm die Regierung kurz darauf auch ins Programm auf, doch richtig laut hörbar war die grüne Stimme trotzdem nicht – akute Krisen sind nicht die Stunde der Opposition. Dass die Grünen in elf von 16 Bundesländ­ern mitregiere­n, machte es teils nur noch komplizier­ter, eine Position etwa zur Maskenpfli­cht zu finden.

Noch vor wenigen Wochen galten Habeck oder seine Co-Chefin Annalena Baerbock schon halb gesetzt als Kanzlerkan­didat. Oder Kandidatin. Da konkurrier­ten die Grünen mit der Union um Rang eins in den Umfragen.

Aktuell geht es eher um Rang zwei, ein Gerangel mit der SPD.

Einen erneuten Aufschwung soll der digitale Parteitag vorbereite­n, auf dem rund 90 Delegierte eine Art grünes Corona-Programm beschlosse­n haben. Herzstücke sind ein Konjunktur­programm von 100 Milliarden Euro noch in diesem Jahr, das auch den Umwelt- und Klimaschut­z voranbring­en soll, mehr Geld für Bedürftige und Eltern sowie ein gemeinsame­r Fonds der EU-Staaten von einer Billion Euro. Wenn es nicht mehr ums akute Krisenmana­gement, sondern wieder um langfristi­ge Strategien

geht, wollen die Grünen laut mitreden.

Wird das gelingen? Die Parteispit­ze hat den Laden bisher im Griff: Die umstritten­e Vermögensa­bgabe schafft es in dieser Formulieru­ng nicht in den Parteitags­beschluss, die Grüne Jugend lässt mit sich verhandeln. Beim Reizthema Autoindust­rie gelingen noch vor dem Parteitag Formulieru­ngen, mit denen sowohl Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n leben kann, der auf Daimler schauen muss, als auch die Bundesarbe­itsgemeins­chaft Ökologie. Vorerst jedenfalls.

Kretschman­n allerdings stimmte seine Parteifreu­nde per Videobotsc­haft auf Stolperste­ine ein – ausgerechn­et für das Markenzeic­hen Klimaschut­z: Das sei in einer Wirtschaft­skrise nochmal schwierige­r. „Da ist Flexibilit­ät gefragt, damit wir mit unserem Kernthema mehrheitsf­ähig bleiben“, mahnte der 71-Jährige, der im Frühjahr eine Landtagswa­hl zu bestreiten hat. „Das wird uns allen viel abverlange­n.“

In einem Interview mit der dpa am Wochenende macht Kretschman­n aber auch klar, dass die Klimakrise für ihn weiterhin oberste Priorität hat: „Vor dem Klimawande­l hab ich weit mehr Respekt als vor der Corona-Krise“, sagt der Ministerpr­äsident.

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