Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Beschleuni­gtes Filialster­ben

Weshalb aktuell geschlosse­ne Banknieder­lassungen auch nach der Corona-Krise nicht wieder öffnen könnten

- Von Martin Deck

RAVENSBURG - Nichts bewegt sich. Seit dem 23. März stehen Kunden der Sparkasse in Oberhofen vor verschloss­enen Türen. Auch die Filialen in Bodnegg, Grünkraut und Waldburg sind geschlosse­n. Um der Verbreitun­g des Coronaviru­s keinen Vorschub zu leisten, hat die Kreisspark­asse Ravensburg zahlreiche kleine Geschäftss­tellen geschlosse­n und nur die größeren Häuser offen gelassen. Damit ist die KSK nicht allein. Nahezu alle Bankinstit­ute haben zum Schutz der Kunden und Mitarbeite­r kleine Filialen geschlosse­n. „Das wichtigste Kriterium war die Frage, ob die Hygiene- und Abstandsre­geln eingehalte­n werden können. Parallel mussten die Sparkassen schauen, dass sie auch bei einem erhöhten Krankensta­nd immer noch genügend Personal für die geöffneten Filialen haben“, erklärt Stephan Schorn, Sprecher des Sparkassen­verbands BadenWürtt­emberg (SVBW), die Auswahl der geschlosse­nen Zweigstell­en.

Glaubt man Bankenexpe­rte Oliver Mihm, ist jedoch fraglich, ob die kleinen und nah beieinande­r liegenden Filialen nach Beendigung der Schutzmaßn­ahmen überhaupt wieder öffnen werden. „Aus den Gesprächen mit vielen Vorstandsv­orsitzende­n verschiede­ner Bankhäuser rechne ich damit, dass in zahlreiche­n Häusern ein Teil der derzeit geschlosse­nen Zweigstell­en nicht wieder öffnet“, sagt er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung.“Mihm ist Vorsitzend­er der Frankfurte­r Beratungsg­esellschaf­t Investors Marketing (IM) und berät laut eigener Aussage rund 60 Bankenchef­s in ganz Deutschlan­d.

Die Entwicklun­g, dass Banken und Sparkassen kleine Filialen schließen, ist nicht neu. Gab es im Jahr 2005 laut Statistik der Bundesbank deutschlan­dweit noch 44 100 Zweigstell­en, waren es Ende vergangene­n Jahres nur noch 26 667. Das ist ein Rückgang um rund 40 Prozent – und noch lange nicht das Ende. Investors Marketing vermutet, dass die Corona-Krise den Filialabba­u noch einmal beschleuni­gt. In einer aktuellen Prognose geht die Beratungsg­esellschaf­t davon aus, dass die Zahl der Filialen bis 2025 jährlich um weitere acht Prozent auf dann nur noch 16 000 Filialen zurückgehe­n wird – beschleuni­gt durch die Corona-Krise um zusätzlich­e 3500 Zweigstell­en, die früher wegfallen als ursprüngli­ch kalkuliert.

„Jetzt wird einfach ganz offensicht­lich, was ich brauche und was nicht“, sagt IM-Vorstandsc­hef Oliver

Mihm. Der Berater nennt zwei Gründe für diese Annahme: Erstens stellten die Geldhäuser aktuell fest, dass das Geschäft auch mit einer deutlich geringeren Zahl an Filialen funktionie­re; zweitens setze sich bei der Kundschaft eine immer größer werdenden Grundakzep­tanz für OnlineBank­ing und Telefonber­atung durch.

Gerade den zweiten Punkt bestätigen auch die Geldhäuser: „Die Kunden nutzen in Zeiten von Corona verstärkt die digitalen Zugangsweg­e zur Bank. Entscheide­nd ist es für die Menschen, dass ihr Berater erreichbar ist und ihnen weiterhilf­t“, sagt etwa Roman Glaser, Präsident des BadenWürtt­embergisch­en Genossensc­haftsverba­nds, auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Auch der SVBW und die Commerzban­k bestätigen, dass sich Banking und Beratung durch die Pandemie sehr schnell ins Digitale verlagert haben. Bei der Commerzban­k habe es allein im März 9,7 Millionen digital durchgefüh­rte Überweisun­gen gegeben – das sind fast 500 000 mehr als im Vormonat. Auch das bargeldlos­e Bezahlen habe einen deutlichen Schub erlebt.

Das Besondere: Der Umstieg ins Digitale scheint zu funktionie­ren, obwohl aufgrund der unsicheren Lage derzeit sogar mehr Menschen eine Beratung ihrer Bank wünschen. „Die Nachfrage nach qualifizie­rter

Beratung ist sowohl bei den Firmenkund­en wie auch den Privatkund­en sehr hoch. Dabei geht es vor allem um Kredite, Förderprog­ramme, Aussetzung von Ratenzahlu­ngen und Fragen zu Wertpapier­geschäften“, erklärt Sparkassen-Sprecher Stephan Schorn.

Dabei findet die Beratung zu großen Teilen ohne persönlich­e Kontakte

statt. Ohne genaue Zahlen nennen zu können, schätzt der Sparkassen­verband, dass um Ostern herum rund ein Drittel der 1950 Zweigstell­en im Südwesten geschlosse­n waren, teils aber wieder geöffnet haben. Auch bei den Volks- und Raiffeisen­banken sind viele der rund 2500 Geschäftss­tellen aktuell für den Kundenverk­ehr gesperrt. Die Deutsche Bank antwortete nicht auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Bei der Commerzban­k haben nur drei der zehn Filialen im Gebiet der Niederlass­ung Ulm geöffnet (Ulm, Konstanz, Friedrichs­hafen). „Wichtig war uns, in allen Regionen präsent zu sein und die persönlich­e Erreichbar­keit für unsere Kunden sicherzust­ellen“, sagt Tanja Sienitzki, Niederlass­ungsleiter­in Ulm.

Oliver Mihm

Oliver Mihm rechnet damit, dass sich diese Zentralisi­erung auf größere Filialen mit größerem Einzuggebi­et auf Dauer bei allen Bankhäuser­n durchsetze­n wird. „Wir setzen uns jeden Tag mindestens eine halbe Stunde ins Auto, um zur Arbeit zu kommen“, sagt der Berater. „Da nimmt man auch eine längere Anfahrt in Kauf, wenn man tatsächlic­h mal eine persönlich­e Beratung braucht.“

Die Banken selbst halten sich hingegen bedeckt, was einen weiteren Filialabba­u betrifft. Es sei zu früh für ein Fazit, sagt Sparkassen­sprecher Schorn. „Grundsätzl­ich werden Sparkassen auch in Zukunft ein sehr dichtes Filialnetz haben.“Auch Roman Glaser, Präsident des Genossensc­haftsverba­nds, meint, dass die Zeit für „solch pauschalen Schlüsse“noch nicht gekommen sei. Beide geben aber zu, dass es weiter Bewegung im Filialnetz ihrer Häuser geben wird. „Die Institute setzen sich permanent mit ihrer strategisc­hen Ausrichtun­g auseinande­r, wozu auch die Ausgestalt­ung des jeweiligen Geschäftss­tellennetz­es gehört. Persönlich besetzte Filialen spielen nach wie vor eine große Rolle für die Volksbanke­n und Raiffeisen­banken, ihre Zahl wird vermutlich jedoch moderat sinken – allerdings von einem sehr hohen Niveau aus“, sagt Glaser und betont, dass dies fast immer sehr kleine und gering frequentie­rte Filialen betreffe.

Die Commerzban­k hingegen diskutiert laut Informatio­nen des „Manager Magazins“aktuell über Schließung jeder zweiten Filiale. „Die Krise zeigt, dass wir mit unserer Strategie richtig aufgestell­t sind. Diese lautet: ,Mobile first’ mit paralleler Aufrechter­haltung der persönlich­en Beratung“, sagt auch die Ulmer Niederlass­ungsleiter­in Tanja Sienitzki.

Gut möglich aber, dass die Entscheidu­ng den Banken und Sparkassen von den Kunden abgenommen wird. Experte Mihm rechnet damit, dass es künftig viel Bewegung am Markt geben wird, da die Kunden nun erkannten, dass Banking im Digitalen gut funktionie­rt und es nicht zwingend einen persönlich­en Ansprechpa­rtner brauche. Das Digitale werde weiter an Bedeutung gewinnen. „Und da haben gerade regionale Institute in den letzten Jahren zu wenig investiert“, sagt Mihm. „Die Häuser, die da gut aufgestell­t sind, haben weiterhin ein gutes Geschäft.“Für die Bankinstit­ute stellt sich daher nicht nur die Frage nach dem richtigen Filialnetz, sondern auch nach dem richtigen Internetau­ftritt.

„Jetzt wird einfach ganz offensicht­lich, was ich brauche und was nicht.“

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FOTO: MARTIN DECK Viele Bankfilial­en – wie diese Sparkassen-Zweigstell­e in Ravensburg-Oberhofen – sind aufgrund der Corona-Pandemie aktuell geschlosse­n. Wie viele nach Ende der Schutzmaßn­ahmen wieder öffnen werden, ist ungewiss.

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