Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die Vorläufer der Hagelversi­cherung

Rund um Leutkirch gibt es rund 260 Flurkreuze, die oft über 100 Jahre alt sind und liebevoll gepflegt werden

- Von Patrick Müller

LEUTKIRCH - Bei einer Wanderung durch die Landschaft rund um Leutkirch und die Ortschafte­n – in Zeiten geschlosse­ner Grenzen zu Österreich vermutlich so beliebt wie schon lange nicht mehr – kommt man immer wieder an Flurkreuze­n vorbei. Zeugnisse einer tiefen Volksfrömm­igkeit im katholisch geprägten Allgäu, die oft an besonders markanten Standorten stehen. Alleine auf der Gemarkung Leutkirch sind rund 260 davon zu finden. Was hinter diesen vielen kleinen Denkmalen steckt und welche Bedeutung sie auch in der heutigen säkularen Gesellscha­ft noch haben, erklärt Manfred Thierer von der Heimatpfle­ge Leutkirch.

Die meisten der rund 260 Kreuze auf Leutkirche­r Gemarkung sind in der Zeit zwischen 1870 und dem ersten Weltkrieg entstanden, so Thierer. Für diese „Hochphase“der Kreuzentst­ehung seien mehrere Faktoren ausschlagg­ebend gewesen. Zum einen der technische Faktor: Ab dieser Zeit konnten die häufig zu sehenden Gusskreuze verhältnis­mäßig kostengüns­tig hergestell­t werden.

Dazu, so Thierer, habe die Bedeutung der Kirche in diesem Zeitraum wieder zugenommen. Auslöser dafür seien unter anderem Marienersc­heinungen, wie etwa in Lourdes, gewesen. Dazu kommt als weiterer geschichtl­icher Hintergrun­d der Kulturkamp­f zwischen dem Staat und der katholisch­en Kirche, in dem die Flurkreuze eine Möglichkei­t waren, sein Katholisch­sein zu dokumentie­ren, erklärt Thierer.

Ein weiterer Faktor war, dass die unabhängig­en Bauern der Region es in dieser Zeit zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatten. Sie konnten sich die Kreuze schlicht leisten. Begünstigt wurde die Verbreitun­g der Flurkeuze auch durch die Streusiedl­ungsstrukt­ur des württember­gischen Allgäus. Da das Dorf mit Kirche weiter weg war, haben sich mit einem Kreuz viele zumindest ein kleines Glaubensze­ichen in ihre Flure gestellt.

„Oft waren Kreuzsetzu­ngen auch an ein Gelöbnis gebunden“, sagt Thierer. Etwa für das Überleben einer schweren Krankheit. Häufig findet man auf den Kreuzen im Allgäu auch den Spruch „Gott schütze unsere Fluren“. Ziel dieser Flurkreuze ist es unter anderem, die Felder zu schützen. „Damals hatte man noch keine Hagelversi­cherung“, so Thierer. Erstmals aufgekomme­n sind

Flurkreuze wohl Ende des Mittelalte­rs, beispielsw­eise in Form von Pestkreuze­n, die an die Opfer dieser Epidemien erinnern. Eine besondere Form sind außerdem Sühnekreuz­e, die etwa als Sühne für einen begangenen Totschlag aufgestell­t werden mussten. Laut Thierer waren die ersten Flurkreuze damals größtentei­ls aus Holz, weshalb diese witterungs­bedingt die Zeit – im Gegensatz zu Steinkreuz­en – nicht überdauert haben.

Auch in der heutigen Zeit würden immer wieder neue Flurkreuze dazukommen, erklärt der Heimatfors­cher. Wie etwa das zwischen Leutkirch und Balterazho­fen, dem Ort des Gesprächs zu diesem Artikel. Das schlichte Arma-Christi-Kreuz stammt aus den 1980er-Jahren und geht auf eine Schülerarb­eit zurück. Bei einem Arma-Christi-Kreuz sind die Leidenswer­kzeuge der Passion Christi am Kreuz dargestell­t. Während im württember­gischen Allgäu und in Oberschwab­en Kreuze aus Schmiedeei­sen und Blech vorherrsch­en, gibt es, je weiter es nach Bayern und in die Alpen hineingeht, immer mehr Holzkreuze.

„Das Kreuz spielt heute immer noch eine große Rolle“, sagt Thierer. Zumal auch viele Leute, die sich selbst nicht unbedingt als gläubig bezeichnen würden, die Kreuze am Wegesrand, die oft eingerahmt von zwei Bäumen an besonders reizvollen Stellen in der Landschaft stehen, einfach schön finden würden. „Warum ich selbst mich für die Flurkreuze interessie­re? Weil ich ein Geograph bin – und ein Geograph interessie­rt sich für die Landschaft“, erklärt der pensionier­te Lehrer schmunzeln­d.

Nicht weit vom erwähnten ArmaChrsit­i-Kreuz entfernt steht zwischen Balterazho­fen und Wielazhofe­n auf einem kantigen Findling ein geschmiede­tes „Kläppleskr­euz“mit barockem und klassizist­ischem Dekor – und einem verschließ­baren „Kläpple“mit Spruch. Bei dem Kreuz handelt es sich laut Thierer vermutlich um ein ehemaliges Grabkreuz. Viele solcher alten Grabkreuze sind zu Flurkreuze­n geworden, nachdem auf den Friedhöfen Grabsteine aus Marmor beliebter geworden sind.

Nächste und letzte Station des Ausflugs zu den religiösen Kleindenkm­älern ist ein Bildstock nördlich von Balterazho­fen. Dieser beherbergt eine bemalte Holztafel, die Christus am Kreuz zeigt, zu seinen Füßen die trauernde Maria Magdalena. „Von solchen Bildstöcke­n gibt es im Allgäu nicht ganz so viele wie Kreuze“, sagt Thierer. Bei diesem gefällt ihm vor allem auch, dass er mit frischen Blumen geschmückt ist. Eine Arbeit, die oft die Frauen übernehmen. „Sie haben oft viel mehr übrig für so eine Kultur“, erklärt der Heimatfors­cher.

Der Verein Heimatpfle­ge Leutkirch ist bei Fragen rund um Flurkreuze oft die erste Anlaufstat­ion, sagt Thierer. „Wir bekommen zum Beispiel Anrufe, in denen uns Leute mitteilen, dass sie an einem Flurkreuz vorbeigela­ufen sind, bei dem die Christusfi­gur nur mit einem Kabelbinde­r festgemach­t ist.“Der Verein sei der Koordinato­r, der beispielsw­eise weiß, welcher Handwerker ein solches Kreuz reparieren kann oder aus welchen Töpfen es eventuell Zuschüsse für eine solche Reparatur geben kann.

 ?? FOTOS: PATRICK MÜLLER ?? Arma-Christi-Kreuz zwischen Leutkirch und Balterazho­fen (links). Das verschließ­bare Inschriftk­ästchen des „Kläppleskr­euzes“bei Balterazho­fen (rechts oben). Ein geschmiede­tes „Kläppleskr­euz“bei Balterazho­fen mit barockem und klassizist­ischem Dekor (rechts unten).
FOTOS: PATRICK MÜLLER Arma-Christi-Kreuz zwischen Leutkirch und Balterazho­fen (links). Das verschließ­bare Inschriftk­ästchen des „Kläppleskr­euzes“bei Balterazho­fen (rechts oben). Ein geschmiede­tes „Kläppleskr­euz“bei Balterazho­fen mit barockem und klassizist­ischem Dekor (rechts unten).
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