Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Die Vorläufer der Hagelversicherung
Rund um Leutkirch gibt es rund 260 Flurkreuze, die oft über 100 Jahre alt sind und liebevoll gepflegt werden
LEUTKIRCH - Bei einer Wanderung durch die Landschaft rund um Leutkirch und die Ortschaften – in Zeiten geschlossener Grenzen zu Österreich vermutlich so beliebt wie schon lange nicht mehr – kommt man immer wieder an Flurkreuzen vorbei. Zeugnisse einer tiefen Volksfrömmigkeit im katholisch geprägten Allgäu, die oft an besonders markanten Standorten stehen. Alleine auf der Gemarkung Leutkirch sind rund 260 davon zu finden. Was hinter diesen vielen kleinen Denkmalen steckt und welche Bedeutung sie auch in der heutigen säkularen Gesellschaft noch haben, erklärt Manfred Thierer von der Heimatpflege Leutkirch.
Die meisten der rund 260 Kreuze auf Leutkircher Gemarkung sind in der Zeit zwischen 1870 und dem ersten Weltkrieg entstanden, so Thierer. Für diese „Hochphase“der Kreuzentstehung seien mehrere Faktoren ausschlaggebend gewesen. Zum einen der technische Faktor: Ab dieser Zeit konnten die häufig zu sehenden Gusskreuze verhältnismäßig kostengünstig hergestellt werden.
Dazu, so Thierer, habe die Bedeutung der Kirche in diesem Zeitraum wieder zugenommen. Auslöser dafür seien unter anderem Marienerscheinungen, wie etwa in Lourdes, gewesen. Dazu kommt als weiterer geschichtlicher Hintergrund der Kulturkampf zwischen dem Staat und der katholischen Kirche, in dem die Flurkreuze eine Möglichkeit waren, sein Katholischsein zu dokumentieren, erklärt Thierer.
Ein weiterer Faktor war, dass die unabhängigen Bauern der Region es in dieser Zeit zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatten. Sie konnten sich die Kreuze schlicht leisten. Begünstigt wurde die Verbreitung der Flurkeuze auch durch die Streusiedlungsstruktur des württembergischen Allgäus. Da das Dorf mit Kirche weiter weg war, haben sich mit einem Kreuz viele zumindest ein kleines Glaubenszeichen in ihre Flure gestellt.
„Oft waren Kreuzsetzungen auch an ein Gelöbnis gebunden“, sagt Thierer. Etwa für das Überleben einer schweren Krankheit. Häufig findet man auf den Kreuzen im Allgäu auch den Spruch „Gott schütze unsere Fluren“. Ziel dieser Flurkreuze ist es unter anderem, die Felder zu schützen. „Damals hatte man noch keine Hagelversicherung“, so Thierer. Erstmals aufgekommen sind
Flurkreuze wohl Ende des Mittelalters, beispielsweise in Form von Pestkreuzen, die an die Opfer dieser Epidemien erinnern. Eine besondere Form sind außerdem Sühnekreuze, die etwa als Sühne für einen begangenen Totschlag aufgestellt werden mussten. Laut Thierer waren die ersten Flurkreuze damals größtenteils aus Holz, weshalb diese witterungsbedingt die Zeit – im Gegensatz zu Steinkreuzen – nicht überdauert haben.
Auch in der heutigen Zeit würden immer wieder neue Flurkreuze dazukommen, erklärt der Heimatforscher. Wie etwa das zwischen Leutkirch und Balterazhofen, dem Ort des Gesprächs zu diesem Artikel. Das schlichte Arma-Christi-Kreuz stammt aus den 1980er-Jahren und geht auf eine Schülerarbeit zurück. Bei einem Arma-Christi-Kreuz sind die Leidenswerkzeuge der Passion Christi am Kreuz dargestellt. Während im württembergischen Allgäu und in Oberschwaben Kreuze aus Schmiedeeisen und Blech vorherrschen, gibt es, je weiter es nach Bayern und in die Alpen hineingeht, immer mehr Holzkreuze.
„Das Kreuz spielt heute immer noch eine große Rolle“, sagt Thierer. Zumal auch viele Leute, die sich selbst nicht unbedingt als gläubig bezeichnen würden, die Kreuze am Wegesrand, die oft eingerahmt von zwei Bäumen an besonders reizvollen Stellen in der Landschaft stehen, einfach schön finden würden. „Warum ich selbst mich für die Flurkreuze interessiere? Weil ich ein Geograph bin – und ein Geograph interessiert sich für die Landschaft“, erklärt der pensionierte Lehrer schmunzelnd.
Nicht weit vom erwähnten ArmaChrsiti-Kreuz entfernt steht zwischen Balterazhofen und Wielazhofen auf einem kantigen Findling ein geschmiedetes „Kläppleskreuz“mit barockem und klassizistischem Dekor – und einem verschließbaren „Kläpple“mit Spruch. Bei dem Kreuz handelt es sich laut Thierer vermutlich um ein ehemaliges Grabkreuz. Viele solcher alten Grabkreuze sind zu Flurkreuzen geworden, nachdem auf den Friedhöfen Grabsteine aus Marmor beliebter geworden sind.
Nächste und letzte Station des Ausflugs zu den religiösen Kleindenkmälern ist ein Bildstock nördlich von Balterazhofen. Dieser beherbergt eine bemalte Holztafel, die Christus am Kreuz zeigt, zu seinen Füßen die trauernde Maria Magdalena. „Von solchen Bildstöcken gibt es im Allgäu nicht ganz so viele wie Kreuze“, sagt Thierer. Bei diesem gefällt ihm vor allem auch, dass er mit frischen Blumen geschmückt ist. Eine Arbeit, die oft die Frauen übernehmen. „Sie haben oft viel mehr übrig für so eine Kultur“, erklärt der Heimatforscher.
Der Verein Heimatpflege Leutkirch ist bei Fragen rund um Flurkreuze oft die erste Anlaufstation, sagt Thierer. „Wir bekommen zum Beispiel Anrufe, in denen uns Leute mitteilen, dass sie an einem Flurkreuz vorbeigelaufen sind, bei dem die Christusfigur nur mit einem Kabelbinder festgemacht ist.“Der Verein sei der Koordinator, der beispielsweise weiß, welcher Handwerker ein solches Kreuz reparieren kann oder aus welchen Töpfen es eventuell Zuschüsse für eine solche Reparatur geben kann.