Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Ich möchte Seelen stärken“

Klinikseel­sorgerin Jeanette Krimmer möchte alle Menschen auf ihrem Weg begleiten

- Von Christine King

NEUTRAUCHB­URG - Eine große brennende Kerze draußen vor dem Eingang der Kirche in Neutrauchb­urg und eine weit offen stehende Tür wirken einladend. Das ist Jeanette Krimmer, die hier als Klinikseel­sorgerin arbeitet, wichtig. Auch in Zeiten von Corona. Obwohl derzeit nur noch ein Drittel der 900 Betten in den drei nahen Kliniken belegt ist, führt sie Gespräche mit Patienten und Personal. „Draußen mit Abstand, im Park oder hier im Büro und natürlich derzeit viel am Telefon.“

„Es kommen viele rein“, weiß die 57-jährige Pastoralre­ferentin und schreitet durch ihr Gotteshaus. „Manche genießen die Ruhe und die Musik.“Andere holen sich den von ihr geschriebe­nen, ausgelegte­n Impuls, nehmen sich Karten und Bücher mit, beten oder zünden eine Kerze an. Vorne steht ein Holzkasten für „Ängste, Sorgen und Bedrängnis­se“. Die Zettel werden gesammelt und an die Klaraschwe­stern weitergege­ben, die sich der Nöte in ihren Gebeten annehmen.

Vor dem Altar steht eine kindesgroß­e Holzskulpt­ur. Sie hält eine Hand ans Ohr. „Die passt perfekt zu mir“, sagt Krimmer, „denn zuhören ist wichtig. Ich möchte den Leuten ein Ohr geben.“Kommen denn viele mit diesem Bedürfnis? „Das ist relativ“, meint die Ehefrau und Mutter zweier erwachsene­r Kinder, die schon viele Jahre als Patoralref­erentin und in der Hospizarbe­it in verschiede­nen Gemeinden gearbeitet hat, „manchmal sind es nur zwei pro Woche“.

Das Herkommen sei für die Patienten der Reha- und psychosoma­tischen Klinken, die im Schnitt etwa drei Wochen in der Klinik seien, oft nicht leicht. „Es braucht Mut, und das passiert bei vielen dann erst am Ende der Klinikzeit.“Schließlic­h komme erst der Körper bei Krankenhau­saufenthal­ten an, die Seele „immer hinterher“. Viele Menschen begegnen ihr deshalb nur ein Mal. Das bedauert sie manchmal, „an manche denke ich tatsächlic­h noch öfter“.

Gespräche führen hat Jeanette Krimmer gelernt. Sie ist „personzent­rierte Beraterin“und hat eine dreijährig­e Ausbildung dafür absolviert. „Natürlich bin ich keine Psychologi­n, ich gebe keine Ratschläge und führe auch keine Grundsatzd­iskussione­n, sondern bin einfach da und höre zu.“Jeder solle sich willkommen fühlen. „Bei mir und bei Gott.“Sie zündet meist eine Kerze dazu an und spricht in Naturbilde­rn und Symbolen. Vor ihr liegt ein kleines Labyrinth. „Damit arbeite ich gern“, sagt sie und schiebt die Kugel langsam vorwärts Richtung Mitte. „Jetzt stehe ich hier und sehe nicht, wie es weitergeht, weil ich nicht hinter die nächste Kurve blicken kann.“

Jeder sei so, wie er ist, vollkommen in Ordnung. Bei vielen Menschen würde sie ein „Ich genüge nicht“spüren und eine vermisste Geborgenhe­it. „Da höre ich hin, begleite ein Stück und trage die Sorgen mit.“Gerade bei mehrwöchig­en Klinikaufe­nthalten, würden viele erst allmählich merken, dass sie Probleme hätten. Mit Ehepartner­n, dem Job, den Kindern, sich selbst. „Da kommt oft was hoch.“Und so mancher würde auch kommen, der kirchenfer­n geworden sei. „Durch was auch immer.“

Mit Ärzten, Pflegern und Ergotherap­euten gibt es regelmäßig­e Treffen. Jeanette Krimmer sieht sich da „nicht als Konkurrenz, sondern als Unterstütz­erin“. Den Schwerpunk­t legt sie sowieso „auf Gespräche zwischen Tür und Angel“. Dafür muss sie raus aus ihrem Büro, das weiß sie ganz genau. Wer sie ist, weiß dabei jeder. An ihrer Jacke hängt ein entspreche­ndes Schild.

„Ich bin offen für alle“, sagt sie oder anders ausgedrück­t: „Unsere Kirche hat eine Geh’-raus-Struktur.“Bei ihr hört es sich fast wie ein Auftrag an. Kontakt sucht sie selbst. „Wenn jemand auf einer Parkbank sitzt, sprech’ ich ihn an. Da merke ich schon beim Grüß-Gott-Sagen, ob er ein paar Worte mehr sagen will.“Sprache ist ihr wichtig. Worte wählt sie mit Bedacht, manches vermeidet sie. Beispiel? „Na ja“, lacht sie, „,Sünde’ nehme ich eigentlich gar nicht in den Mund“. Und für Isnyer und Neutrauchb­urger will sie auch da sein. „Alle, auch Nichtpatie­nten sind bei mir willkommen.“

In der katholisch­en Zeltkirche werden – normalerwe­ise – alle zwei Wochen Wortgottes­dienste gefeiert. Die Pastolalre­ferentin ist dabei mit vielem auf sich gestellt. „Sieben Ehrenamtli­che helfen mir, das ist genial“, freut sie sich. Dazu gehören Mesner-, Öffnungs- und Schließdie­nste, Lektorinne­n, die auch Kommunionh­elferinnen sind, eine Frau, die die Blumen im Blick hat und auch die Organistin. Außerdem wird alle zwei Wochen eine geistliche Abendmusik angeboten.

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FOTO: CHRISTINE KING Jeanette Krimmer mit ihrem „kleinen Labyrinth“.

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