Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Die Ängste sind sehr, sehr groß“
Corona-Krise: OSK-Onkologe Gerhard Fischer über die Lage von Krebspatienten
RAVENSBURG - Sie gelten als besonders gefährdet, schwer an Covid-19 zu erkranken oder sogar daran zu sterben: Krebspatienten haben verständlicherweise eine Heidenangst, sich mit dem neuen Coronavirus anzustecken. Über ihre Behandlung in Zeiten der Pandemie sprach Annette Vincenz mit Gerhard Fischer. Der promovierte Mediziner ist Leiter des Onkologischen Zentrums am St. Elisabethen-Klinikum (EK) in Ravensburg.
Herr Dr. Fischer, wie geht es Ihren Patienten gerade?
Die Ängste sind sehr, sehr groß, obwohl die Infektionszahlen bei uns ja zum Glück noch nicht so hoch wie in anderen Landkreisen sind. Wir sprechen momentan noch intensiver mit den Patienten als sowieso schon. Wenn es irgendwie geht, am Telefon, damit sie nicht in die Onkologische Praxis kommen müssen. Aber das geht natürlich nur, wenn keine Chemotherapien oder Untersuchungen wie Blutabnahmen oder Ultraschall nötig sind.
Wirkt sich die Pandemie auch auf Tumor-Operationen aus?
Kaum. Wir sagen im EK keine notwendigen OPs ab, sondern lediglich risikolos verschiebbare. Es kann zum Beispiel vorkommen, dass bei Brustkrebs die Möglichkeit besteht, entweder erst zu operieren und dann eine Chemotherapie zu machen oder umgekehrt. In dem Fall fangen wir dann eher mit der medikamentösen Vorbehandlung an, um den Krankenhausaufenthalt um ein paar Monate nach hinten zu verschieben. Ich schätze, dass seit Beginn der Pandemie etwa 40 bis 50 Krebspatienten am EK operiert wurden, hauptsächlich wegen Brust-, Darm- und Prostatakrebs. Nicht viel weniger als sonst.
Das kann sein, muss aber nicht. Es gibt ja viele verschiedene Krebsarten und viele unterschiedliche Chemotherapien. Bei manchen Blutkrebserkrankungen etwa habe ich eventuell sogar eine höhere Infektionsgefahr, wenn die Erkrankung nicht behandelt wird, als unter Chemotherapie. Und bei Patienten mit Metastasen wäre es geradezu fahrlässig, auf die Chemo zu verzichten, um das Infektionsrisiko zu senken. Da ist der Nutzen viel höher als das Risiko. Aber es gibt beispielsweise bei Brustkrebs und Darmkrebs auch eine sogenannte adjuvante Chemotherapie, die statistisch das Rückfallrisiko nur um 5 bis 10 Prozent senkt. In solchen Fällen bedarf es sicher einer sehr individuellen Beratung, was die Patientin wünscht.
Wie viel höher ist für Krebspatienten die Gefahr, schwer an Covid-19 zu erkranken oder daran zu sterben?
Wenn der Körper ohnehin schon geschwächt ist, kann er die Infektion mit diesem aggressiven Erreger weniger gut überstehen. Aber die Gefahr ist bei Krebspatienten nicht größer als bei Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen, Diabetes oder Herzerkrankungen. Ich würde sogar sagen: Ein 40-jähriger starker Raucher, der zwei Päckchen Zigaretten am Tag qualmt, ist stärker gefährdet als eine 60-jährige, ansonsten gesunde Frau, die nach einer Brustkrebsoperation eine leichte Chemotherapie bekommt. Aber klar ist auch, dass bei vielen unserer Patienten mehrere Risikofaktoren zusammenkommen, die sich leider addieren. Ein Über-80-Jähriger mit Krebs und Diabetes zum Beispiel hätte sicher keine so guten Chancen, wenn er sich mit dem Virus infizieren würde.
Sind denn schon Patienten von Ihnen an Covid-19 gestorben?
Zum Glück nicht.
Werden derzeit Krebsmedikamente knapp, weil Lieferketten aus den Herstellerländern China und Indien unterbrochen sind?
Momentan noch nicht. Wir wissen aber nicht, wie sich die Situation auf dem Weltmarkt entwickelt. Zum Glück hat unser Apotheker Reserven an Krebsmedikamenten angelegt. Selbst wenn mal eines kurzfristig auf dem Markt nicht verfügbar ist, können wir auf den Vorrat zurückgreifen.
Ein Hamster also?
Im positiven Sinn: Wenn man durch weise Voraussicht sicherstellt, dass unsere Patienten weiterhin zuverlässig behandelt werden können - ja!