Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Die Bundesliga als Testlabor
Der Fußball will endlich das Geisterspiele-Szenario starten, aber es gibt neue Bedenken
MÜNCHEN (dpa/SID/sz) - Nicht wenige Fußballfans hoffen auf einen Wertewandel im Wirtschaftskosmos Fußball. Die Krise könnte auch das Gute ans Tageslicht bringe, hoffen diese Optimisten, zu denen auch Jupp Heynckes gehört. Die Coronavirus-Pandemie habe Fehlentwicklungen in der Gesellschaft und im Fußball sichtbar gemacht. „Da meine ich die Ich-AGs oder den Egoismus“, sagte der 74-jährige frühere Erfolgstrainer kurz vor seinem Geburtstag der „Welt am Sonntag“. Im Fußball forderte Heynckes, der 2013 mit den Bayern das Triple gewann, ein Umdenken: „Es gilt, einen Weg zurück wieder zu mehr Normalität zu finden. Es muss in Bezug auf die Ablöse oder die Gehälter zurückgerudert werden. Teilweise war das unmoralisch.“Doch zeigt sich derzeit eher, wie knallhart das Geschäft ist. Ein Wandel scheint in dieser The-Showmust-go-on-Mentalität utopisch:
Der Kölner Fall und die Folgen: Nach dem Fall beim 1. FC Köln mit drei positiv auf das Coronavirus getesteten Personen – zwei Spieler und ein Betreuer – sind neue Zweifel am Geisterspiele-Plan der Bundesliga aufgekommen. Debatten gibt es vor allem über die Quarantäneregel für Fußballprofis. Tim Meyer, Leiter der Task Force der DFL, räumte eine Restanfälligkeit des Hygiene-Konzepts ein. „Wenn es zu viele positive Fälle gibt, kann dieses System sicherlich ins Wanken geraten“, sagte der Nationalmannschaftsarzt bei Sport1. Deswegen sei „extreme Disziplin“aller Beteiligten auch abseits des Spielfeldes wichtig. Da fast 2000 Personen in der Bundesliga getestet worden seien, habe man „einige positive Fälle erwartet“, sagte Meyer, doch blieben die Test bei den meisten Vereinen negativ. Keine Angaben machten RB Leipzig, Borussia Mönchengladbach, Hertha BSC, der FSV Mainz 05 und der SC Paderborn.
Kritik aus Spielerkreisen: Mit Kölns Mittelfeldspieler Birger Verstraete hat erstmals ein Spieler öffentlich Bedenken und Ängste geäußert, nachdem das infizierte Kölner Trio in Quarantäne geschickt worden war. Der Rest des Teams setzt das Training in Kleingruppen fort. Dies ist auch im Konzept der DFL für den Neustart der Bundesliga so vorgesehen. „Die sogenannte häusliche Absonderung ist nur für Personen der Kategorie 1 vorgesehen. Nicht wir, sondern das Gesundheitsamt bewertet, auf wen dies zutrifft“, sagte Kölns Mannschaftsarzt Paul Klein.
„Ich fand es, ehrlich gesagt, ein bisschen bizarr“, sagte Verstraete dem TV-Sender VTM auf die Frage, warum er nicht in Quarantäne sei. „Der Physiotherapeut ist der Mann, der mich und andere Spieler wochenlang behandelt hat. Und mit einem der beiden fraglichen Spieler habe ich am Donnerstag im Fitnessstudio ein Duo gebildet.“Es sei daher „nicht ganz richtig“, dass kein anderer aus dem Team mit den Betroffenen in Kontakt gekommen sei. Eine schnelle Wiederaufnahme der Saison hält der 26-Jährige für „naiv“. „Meine Freundin ist herzkrank, und manche Jungens haben Kinder zu Hause“, sagte Verstraete. Er könne sich vorstellen, dass viele Profis bei einer anonymen Befragung für einen Saisonabbruch votieren würden. Am Sonntag ruderte der Belgier – eventuell auf Druck des Vereins – zurück, sagte, er habe sich „an einigen Stellen falsch ausgedrückt.“
Fragiles Gebilde bei positiven Tests: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zeigt sich zwar offen für einen Wiederbeginn des Profifußballs im Mai, forderte aber strenge Auflagen. „Ich finde den Zeitplan der DFL plausibel und unterstütze einen Neustart im Mai“, sagte Seehofer, der zugleich Sportminister ist, der „Bild am Sonntag“: „Für mich ist aber auch klar, dass es keine Privilegien für die Fußball-Bundesliga geben kann.“Grundbedingung seien aber strikte Auflagen im Falle eines Positiv-Tests: „Wenn es einen Corona-Fall in einer Mannschaft oder bei der Mannschaftsbetreuung gibt, dann müssen der gesamte Club und gegebenenfalls auch die Mannschaft, gegen die man zuletzt gespielt hat, zwei Wochen lang in Quarantäne.“
Fußballer als Test-Gruppe: Der Sportmediziner Fritz Sörgel sprach sich aus wissenschaftlichen Gründen für eine Fortsetzung der Saison aus. Der Pharmakologe sieht die Chance, eine bislang so nicht mögliche Studie über das Coronavirus anfertigen zu können. „Macht man sich frei davon, dass da ein sportlicher Wettkampf stattfindet, erfüllen diese Geisterspiele im Ansatz die Kriterien für eine wissenschaftliche Studie“, schrieb Sörgel im „Tagesspiegel“. Nach dem Plan der DFL würden etwa 1500 relativ junge Menschen in einem räumlich festgelegten Umfeld regelmäßig aufeinandertreffen. „Die Frage wäre nun, ob es an diesem Arbeitsplatz zu Infektionen“kommt. So könnten Rückschlüsse auf andere Arbeitsumfelder gezogen werden.
Während Heynckes noch hofft, ist sein Ex-Club schon wieder im Attacke-Modus. Bayern-Sportchef Hasan Salihamidzic hatte zuletzt versprochen, dass der Tabellenführer einen „internationalen Star“und ein „Toptalent“holen werde. Ex-DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig sieht das Gebaren kritisch. „In einer jetzigen Phase von einer Transferoffensive zu sprechen, finde ich, ist ein falsches Signal“, sagte Rettig bei Sky: „Ich finde, der FC Bayern sollte lieber über eine Charmeoffensive in Richtung Fans und Mitglieder und Gesellschaft sprechen.“Rettig weiter: „Von daher würde ich mir wünschen, dass der Profifußball in der Frage der Solidarität des Sports hier ein anderes Selbstverständnis an den Tag legt und sich dann etwas kleiner macht. Demut, die an den Tag gelegt wird, darf keine Eintagsfliege sein.“
Die Hoffnung stirbt zuletzt.