Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Talent schlägt Erfahrung
Volleyballer des VfB Friedrichshafen setzen auf den jungen Linus Weber – Nikola Gjorgiev geht
FRIEDRICHSHAFEN - Nikola Gjorgiev ist für Michael Warm in der vergangenen Saison einer der wichtigsten, wenn nicht der wichtigste Spieler beim VfB Friedrichshafen gewesen. Der Trainer hatte den Nordmazedonier zum Kapitän gemacht, Gjorgiev war der Anführer auf dem Feld. Dennoch wird der Diagonalangreifer zur kommenden Saison nicht zum VfB zurückkehren. Die Friedrichshafener setzen stattdessen auf Talent – und haben den 20-jährigen Linus Weber für ein Jahr ausgeliehen.
Der deutsche Nationalspieler war im Sommer 2019 vom deutschen Meister Berlin Recycling Volleys zum italienischen Topclub Power Volleys Milano gewechselt. „Er hat in dem Jahr viel gelernt und es hat ihm sehr gut getan“, sagt Friedrichshafens Trainer Warm. „Aber er hat nicht gespielt.“Und da kommt jetzt der VfB ins Spiel. Die Friedrichshafener leihen Weber für eine Saison aus. „Bei uns ist er auf der Diagonalen die Nummer 1“, sagt Warm. Der VfBTrainer hält viel vom zwei Meter großen Weber. Schon länger hat Warm den mittlerweile 20-Jährigen im Blick. „Ich wollte ihn in meiner Zeit als Trainer schon nach Frankfurt holen“, sagt Warm.
Die Verpflichtung von Weber bedeutet gleichzeitig, dass sich die Wege von Nikola Gjorgiev und dem VfB schon nach einem Jahr wieder trennen. „Ich war super zufrieden mit ihm“, meint Warm. Gjorgiev zu behalten und Weber zu holen hätte aber keinen Sinn gemacht. „Beide wollen spielen“, sagt Warm. „Es war eine Entscheidung für Weber, nicht gegen Gjorgiev.“Der Nordmazedonier wird mit dem französischen Club Cambrai Volley in Verbindung gebracht. Das Angebot hat Gjorgiev laut Mitteilung des VfB aber noch nicht angenommen.
In Mailand kam Weber nicht am 28-jährigen Niederländer Nimir Abdel-Aziz vorbei, der bei den Italienern nicht umsonst die Nummer 1 auf dem Trikot trägt. „Linus will es zu den ganz Großen schaffen, und er kann das auch“, meint Warm. „Aber ich rate jungen Spielern oft: Mehrere
Jahre als Nummer 2 sind nett, aber auf Dauer nicht gut genug.“Soll heißen: Lieber einen Schritt zurück von der italienischen in die deutsche Liga, dafür dort Leistungsträger sein. „Er kann bei uns jetzt zeigen, wie weit er ist“, sagt Warm.
Mit dem 20jährigen Diagonalangreifer standen die Friedrichshafener schon länger in Kontakt, vor einem Jahr klappte die Verpflichtung nicht. Dass sich der gebürtige Geraer jetzt für den VfB entschieden hat, hat nichts mit dem Coronavirus und der Situation in Italien zu tun. „In meinem Jahr in Mailand habe ich mich sportlich auf jeden Fall weiterentwickelt“, sagt Weber. „Aber auch kulturell, sprachlich und menschlich habe ich
VfB-Trainer Michael Warm über den Diagonalangreifer Linus Weber sehr viel dazu gelernt, was ich nicht missen möchte.“Während manche glauben, dass im italienischen Volleyball nach der Krise das Geld viel knapper wird, hat Warm eine andere Meinung: „Ich habe nicht den Eindruck, als gäbe es in Italien kein Geld mehr für den Volleyball.“
Dennoch: Im europäischen Volleyball – und damit auch beim VfB – ist noch lange nicht klar, wie genau es in der kommenden Spielzeit weitergehen kann. Fragezeichen gibt es hierzulande sowohl beim möglichen Starttermin für die Bundesliga als auch bei den Finanzen. Der TV Rottenburg, die Volleys Eltmann und die Alpen Volleys Haching zogen sich bereits aus der Bundesliga zurück. Am Kader müssen Warm, sein CoTrainer Patrick Steuerwald sowie Thilo Späth-Westerholt, ab Juli offiziell neuer Geschäftsführer, dennoch basteln. Linus Weber war da ein weiterer Baustein auf dem Weg zum „neuen“VfB. Am Bodensee setzen sie in Zukunft wieder mehr auf Talente. Ein Beispiel ist auch Ben-Simon Bonin, der von den Youngstars in die erste Mannschaft aufrückt. „Er ist ein ganz schlauer Spieler“, meint Warm. Übrigens nicht nur auf dem Feld, denn Bonin ist auch ein Jahr früher eingeschult worden und hat mit 17 Jahren bereits sein Abitur.
Neben den Veränderungen auf der Position der Diagonalangreifer wird es beim VfB auch Veränderungen auf der Zuspielerposition geben. Bei Jakub Janouch haben „wir früh entschieden, dass wir nicht mit ihm weitermachen“, sagt Warm. Bei der so wichtigen Position im Volleyball setzt Friedrichshafen in der kommenden Saison auf Erfahrung. Einen konkreten Namen wollte Warm noch nicht nennen. „Aber wir wollen einen erfahrenen Zuspieler, von dem die jungen Spieler wie Weber profitieren können.“
Auf die Pläne der Fußball-Bundesliga blickt der VfB-Trainer derweil „nicht neidisch, aber skeptisch“. Warm hätte zwar selber große Lust, sofort wieder ins Training einzusteigen. „Aber Deutschland ist bisher gut durch die Krise gekommen, weil viele Demut gelernt und Abstriche gemacht haben“, sagt Warm. „Ich schätze den Fußball als nicht so wichtig ein, dass es notwendig ist, für ihn Sonderlösungen zu finden.“
„Er kann jetzt bei uns zeigen, wie weit er ist.“