Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Streit um islamischen Religionsunterricht
Wer bei der Lehrerausbildung das Sagen hat, ist noch immer nicht endgültig geklärt
STUTTGART - Die Zeit drängt: Bis August muss die Zuständigkeit für die Ausbildung islamischer Religionslehrer neu geregelt sein. So hat es die grün-schwarze Landesregierung vergangenen Sommer beschlossen. Keine drei Monate vor diesem Stichtag zeigt sich: Geklärt ist noch nichts.
Ein Blick zurück: Seit 2006 gibt es im Südwesten islamischen Religionsunterricht als Modellprojekt – zunächst an Grundschulen, seit 2010 auch an weiterführenden Schulen. Rund 6000 Kinder an 86 Schulen nehmen an diesem Unterricht teil. Der Bedarf ist laut Kultusministerium deutlich höher.
Bislang gab es in der Lehrerausbildung ein organisatorisches Problem. Nämlich die Frage: Wer ist zuständig? In Artikel 7 des Grundgesetzes ist verankert, dass der Staat zwar die Aufsicht über diesen Unterricht hat, inhaltlich sind aber die Religionsgemeinschaften zuständig. Heißt: Für den christlichen Reli-Unterricht sind katholische und evangelische Kirche zuständig. Für den islamischen Religionsunterricht gibt es aber nicht den einen Verband, mit dem der Staat den Unterricht organisieren kann.
Manche Länder behelfen sich dadurch, dass sie auf den sogenannten bekenntnisorientierten Islamunterricht durch Religionskunde ersetzen. Gemeint ist eine „weltanschaulichreligiös neutrale Islamkunde kombiniert mit Werteerziehung“, wie es etwa aus dem bayerischen Kultusministerium heißt.
Andere Länder haben Kooperationen mit Islamverbänden versucht – und sind zumindest in Teilen gescheitert. Jüngst hat Hessen seine Zusammenarbeit mit dem mächtigen Verband Ditib für bekenntnisorientierten Islamunterricht beendet. Hauptkritikpunkt sei eine fehlende Unabhängigkeit des hessischen Ditib-Landesverbands vom türkischen Staat, erklärte Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) mit Verweis auf entsprechende Gutachten.
Baden-Württemberg umgeht solche direkten Kooperationen. Das Land hat stattdessen eine Stiftung „Sunnitischer Schulrat“ins Leben gerufen, in der Hoffnung, dass darin alle islamischen Verbände zusammenarbeiten. Aber: Zwei der vier Gruppen lehnen das Stiftungsmodell ab – darunter Ditib. Für Musa Bagrac ist das nicht verwunderlich. „Ditib sieht sich als größten Islamverband, der sich nicht auf kleinere Verbände einlassen möchte“, sagt der Vorsitzende des Verbands der Islamlehrerinnen
und -lehrer. Bislang hat Ditib aber einen gewichtigen Einfluss auf die Ausbildung der Gymnasiallehrer für islamische Religion. Diese gibt es am Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Tübingen seit 2013. Auf der Homepage des Zentrums heißt es: „Der Beirat entscheidet in bekenntnisrelevanten Fragen zur Gestaltung des Theologiestudiums und der Religionslehre.“Ditib entsendet drei der sieben Mitglieder in den Beirat. Auch der Vorsitzende gehört Ditib an. Die islamischen Religionslehrer der anderen Schularten studieren indes an vier Pädagogischen Hochschulen im Land – etwa in Weingarten.
Auf Druck der CDU-Landtagsfraktion hat Grün-Schwarz vergangenes Jahr beschlossen, auch die Ausbildung der Gymnasiallehrer unter die Obhut der Stiftung zu stellen. Alles andere würde ein „nicht hinnehmbares Nebeneinander“bedeuten, betont CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart. „Wir erwarten, dass die damals getroffenen Beschlüsse nun auch schnell und vollständig umgesetzt werden.“Für einen geregelten Übergang war ein Jahr anberaumt – von der Gründung der Stiftung vergangenen August bis zum August dieses Jahres.
Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hatte sich bereits Anfang März an Ministerpräsident Kretschmann gewandt. Es war nicht ihr erster Hilferuf in Richtung Staatsministerium. Die Gespräche zwischen ihrem Haus und dem Wissenschaftsministerium, das für die Hochschulen im Land zuständig ist, beschreibt Eisenmann als „zäh“. Es sei „nicht ersichtlich, dass das Wissenschaftsministerium die Überführung der Zuständigkeit wie vom Ministerrat beschlossen umsetzen will“, sagt sie. Kretschmann möge sich darum kümmern, dass Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) den gemeinsamen Beschluss umsetzt, bittet Eisenmann abschließend.
Mit Verweis auf die laufenden Verhandlungen möchte sich Bernd Engler, Rektor der Universität Tübingen, nicht zum Fall äußern. Eine Sprecherin von Ministerin Bauer erklärt, es herrsche Einigkeit darüber, dass die Stiftung „Sunnitischer Schulrat“für diejenigen Professoren in Tübingen zuständig sein werde, die für die Ausbildung der Lehrer zuständig sind. Über die Lehrbefugnis anderer Professoren am Zentrum entscheidet aber weiterhin der Beirat.
Kann das als klare Trennung von Zuständigkeiten funktionieren? Oder bleibt ein Nebeneinander bestehen? Das bleibt abzuwarten.
Musa Bagrac, Vorsitzender des Islamlehrerverbands, ermutigt die Landesregierungen dazu, beim islamischen Religionsunterricht unabhängiger zu denken. „Was viele Landesregierungen nicht verstehen wollen, ist, dass islamische Verbände nicht das Handwerkszeug für Religionsunterricht mitbringen.“Es mangele ihnen an Didaktikern, die die deutsche Bildungspolitik verstünden. Seit dem Putschversuch in der Türkei hätten sich Verbände wie Ditib zudem weiter politisiert.
Bagrac plädiert für eine klare Trennung zwischen Gemeinde- und Schularbeit. Nur weil ein Verband wie Ditib viele Moscheen betreibe, sei er nicht automatisch maßgeblich für den Religionsunterricht an Schulen – das seien zwei ganz unterschiedliche Dinge. Er selbst arbeitet als Religionslehrer an einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen. Nur ein Drittel der Kinder besuche eine Moschee, sagt Bagrac: „Die Islamverbände haben nicht den Status der Kirchen.“Und im Zweifel sei ein Religionskundeunterricht wie in Hessen nicht die schlechteste Option.