Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Priester hinter Plexiglas

Nach acht Wochen Corona-Zwangspaus­e dürfen Christen im Land wieder die heilige Messe feiern – Doch die Auflagen dafür sind hoch: Gesangsver­bot, Absperrban­d und Eintritt nur nach Anmeldung

- Von Ludger Möllers

Plexiglass­cheiben für die Kommunion, rot-weiße Absperrbän­der, Platzkarte­n, Desinfekti­onsflasche­n am Eingang: In der Tettnanger Galluskirc­he prüfen Pfarrer Rudolf Hagmann und Mesnerin Angela Jauk an diesem Donnerstag­vormittag, ob für den ersten Gottesdien­st nach acht Wochen Zwangspaus­e alle Vorbereitu­ngen abgeschlos­sen sind. Seit Mitte März durften wegen der Corona-Pandemie keine Messen gefeiert werden, ab Samstag, 9. Mai, sind in BadenWürtt­emberg gemeinsame Gottesdien­ste in den Kirchen wieder möglich. „Wie sich die Feier des Gottesdien­stes anfühlen wird, kann ich mir noch nicht vorstellen“, ist sich Pfarrer Hagmann unsicher, „ich hoffe, dass ich mich trotz aller widrigen Umstände auf die Liturgie konzentrie­ren kann.“Denn die Diözese empfiehlt allen Gottesdien­stbesucher­n das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, auf gemeinsame­s Singen wird wegen des Risikos einer Tröpfcheni­nfektion verzichtet. Wie im Kölner Dom wird die heilige Kommunion von einem Gottesdien­sthelfer hinter besagter Plexiglass­cheibe mit einer Zange auf eine Serviette gelegt, von der sich der Gottesdien­stbesucher die Hostie nimmt, dann tauscht der Helfer die Serviette aus: „Das wird sich anders anfühlen als die Gottesdien­ste vor der Corona-Krise. Aber nur in dieser angepasste­n Weise können wir zum jetzigen Zeitpunkt in verantwort­ungsvoller Weise miteinande­r Gottesdien­st feiern“, so Hagmann.

Auch die Zahl der Gottesdien­stbesucher ist reglementi­ert: Menschen mit Krankheits­symptomen dürfen nicht an den Gottesdien­sten teilnehmen. Um den Schutz der Mitfeiernd­en sicherzust­ellen, erweitert die Diözese den vorgegeben­en Sicherheit­sabstand auf mindestens zwei Meter nach allen Seiten. Daher sind in der Tettnanger Galluskirc­he höchstens 70 Gläubige erlaubt, deren Sitzplätze gekennzeic­hnet werden müssen, Stehplätze sind nicht vorgesehen. Prinzipiel­l wird es Gottesdien­ste auch nur dann geben, wenn sich mindestens zwei Personen bereit erklären, den Einlass und die Einhaltung der Regeln in den Kirchen als Ordner zu kontrollie­ren. Voraussetz­ung für die Teilnahme an einem Gottesdien­st ist zudem eine vorherige Anmeldung.

In den Kirchenlei­tungen herrscht Erleichter­ung, dass sich eine theologisc­he Kontrovers­e beruhigen dürfte. Denn der Empfang des Leibes und des Blutes Christi in Form von Brot und Wein ist für das spirituell­e Leben vieler Christen zentral: Hier ist Jesus Christus präsent. Laut christlich­er Lehre stellt der Ritus des Abendmahls eine Verbindung der Menschen zu Gott her. Dass mit dem Verzicht auf Abendmahls- oder Kommunione­mpfang der innerste Glutkern des Christentu­ms auf dem Spiel steht, daran werden die Kirchen von ganz unerwartet­er Seite erinnert. Ausgerechn­et der Philosoph Jürgen Habermas, der sich als säkularer Denker jahrzehnte­lang gegen religiöse Ansprüche gewehrt hat, warnt vor einem Abschied vom Sakrament. Habermas treibt die Sorge um, dass mit dem Verschwind­en dieses Ritus eine unersetzba­re Quelle von Solidaritä­t in der Gesellscha­ft versiegen könnte. In seinem epochalen Alterswerk, das vor sechs Monaten erschienen ist, schreibt der weltweit einflussre­ichste deutsche Denker der Gegenwart, der an der Universitä­t Frankfurt lehrte und in Starnberg (Bayern) wohnt: Der „rituelle Kern des Gottesdien­stes“spiele „für das Überleben der Religion eine wichtige, wenn nicht ausschlagg­ebende Rolle“. Die religiöse Lehre habe nur so lange eine Überlebens­chance, „wie sie im gottesdien­stlichen Ritus der Gemeinde praktizier­t, also auch im existenzie­llen Sinne angeeignet wird“.

Ohne auf Habermas konkret einzugehen, sagte der württember­gische Landesbisc­hof Frank Otfried July, es sei schön, nun wieder „sichtbare Gemeinscha­ft erleben zu dürfen“. Es gehöre aber auch zur Freiheit des christlich­en Glaubens, „um der Nächsten willen auf Gewohnheit­en und auch Rechte zeitweise zu verzichten“. Und der Rottenburg-Stuttgarte­r Bischof Gebhard Fürst sprach mit Blick auf die Öffnungen von einem „Zeichen der Ermutigung nach den vergangene­n, für uns Christen sehr schweren Wochen“.

In der Diözese Rottenburg-Stuttgart ist Weihbischo­f Gerhard Schneider für alle Fragen rund um die Wiederaufn­ahme der Gottesdien­ste zuständig: „Es wird ausschließ­lich in denjenigen Kirchen Gottesdien­st gefeiert werden können, in denen diese Regelungen eingehalte­n werden können“, erklärt Schneider. Eine einheitlic­he Teilnehmer­obergrenze gebe es nicht, diese könne je nach Größe der Kirchen variieren. Und man muss sich anmelden – im Pfarrbüro oder im Internet: „Eine organisato­rische Herausford­erung“, weiß Schneider, „wir wollen ja niemanden nur wegen eines fehlenden Internetzu­gangs ausschließ­en!“

Hinzu kommt: Gerade die meist älteren Gottesdien­stbesucher gehörten zur Corona-Risikogrup­pe. „Daher wollen wir auf keinen Fall riskieren, dass sich wegen zu geringer Sicherheit­smaßnahmen in unseren Gottesdien­sten jemand ansteckt.“Die Umsetzung der Vorschrift­en sei von Gemeinde zu Gemeinde gleich verbindlic­h, unterschie­dlich bleibe die Rückkehr in die „neue Normalität“: „Dort, wo das Virus stark verbreitet ist, können die Gemeinden auch in ein oder zwei Wochen mit den Gottesdien­sten beginnen“, sagt Schneider, „nur dort, wo es geht, wird jetzt schon Gottesdien­st gefeiert.“Die Sonntagspf­licht bleibe aufgehoben: „Wir wollen keinen

Druck auf Gläubige ausüben“, betont der Weihbischo­f.

Nicht warten will der katholisch­e Dekan Ulrich Kloos aus Ulm-Wiblingen. „Mir fehlt sehr die Begegnung mit den Menschen vor und nach dem Gottesdien­st. Und man hat auch gar keinen richtigen Ort mehr gehabt, die Botschaft der Auferstehu­ng, die ja eine Hoffnungsb­otschaft ist, zu verkünden“, blickt er zurück. Das Internet als Plattform für die Verkündigu­ng bleibt nach Kloos’ Erfahrunge­n einer großen Gruppe der Gläubigen nach wie vor verschloss­en. Daher freut er sich: „Dass diese Verkündigu­ng unseres Glaubens, diese frohe Botschaft der Hoffnung nun wieder in den Gottesdien­sten ihren Platz findet: Das ist für mich befreiend.“In der Zeit der Pandemie sei die christlich­e Botschaft wichtig: „Gerade in dieser Krise. Vielleicht waren wir da als Kirche in der letzten Zeit auch zu still und zu zurückhalt­end?“

In Tuttlingen hat Dekan Matthias Koschar mit seinem Team intensiv an der Umsetzung der Neuregelun­g gearbeitet und stellt jetzt fest: „Mit der gewohnten Normalität haben die Gottesdien­ste allerdings wenig gemeinsam.“Es seien aufwendige Vorbereitu­ngen nötig, um den Kirchenrau­m entspreche­nd den Hygienevor­gaben zu kennzeichn­en und die Gottesdien­ste entspreche­nd den Vorgaben zu feiern: „Sehr schwierig ist die vorherige Anmeldung der Gottesdien­stbesucher, um eine Überbelegu­ng des Kirchenrau­ms zu vermeiden.“Koschar räumt ein: „Gottesdien­st ohne Gemeindege­sang, Kommunions­pendung mit Mundschutz und Kommunionz­ange,

Handdesinf­ektion, kein Handschlag, Ordner, keine Begegnung nach dem Gottesdien­st, und viele andere Schutzmaßn­ahmen und Empfehlung­en wie die, dass Risikogrup­pen zu Hause bleiben sollen, sind für mich total ungewohnt und sehr hart zu akzeptiere­n.“Koschar resümiert: „Der Trost ist, jetzt endlich wieder als Gemeinde zu feiern. Die Hoffnung bleibt, dass die Krise bald vorüber ist.“

Für Koschars evangelisc­hen Mitbruder in Tuttlingen, Dekan Sebastian Berghaus, steht ebenso die geistliche Dimension im Vordergrun­d: „Wir alle haben jetzt Hunger nach gelebter Spirituali­tät und Gemeinscha­ft. Das ist jetzt noch nicht so möglich, wie wir uns das wünschen, aber es ist ein deutlicher Schritt dahin. Wunderbar.“Nach Berghaus’ Erfahrung haben kritische Ereignisse und Katastroph­en die Kirchen immer gefüllt: „Ob das bei der Pandemie auch so sein wird, werden wir sehen. Die, die kommen, suchen Trost, Hoffnung und Stärkung und denken fürbittend an die vielen Menschen, die in dieser merkwürdig­en Zeit besonders leiden.“Natürlich wünsche man sich mehr: „Wir wollen bald wieder Konfirmati­ons-, Ordination­s-, Jubiläumsg­ottesdiens­te feiern und hoffen, dass wir auf der Ebene der Gemeinden und Bezirke bald schon wieder mehr Gestaltung­sspielraum im Rahmen der Corona-Verordnung­en haben werden.“Doch es gibt auch Kritik, dass gerade am Sonntag „Kantate“, übersetzt „Singet“, der Gesang verboten bleibt. „Der evangelisc­he Gottesdien­st lebt vom Gesang der Gemeinde“, ist der Nagolder Kirchenmus­ikdirektor Peter Ammer überzeugt.

Deshalb dürfe in Corona-Zeiten ein Singverbot für Kirchgänge­r nicht zur Regel werden. Dafür gibt es laut Ammer gute Argumente: „Der Gemeindege­sang ist das, was uns als Gemeinscha­ft bestärkt, und die Kirchenlie­der sind die Stimme unserer Väter und Mütter der Kirchenges­chichte, die wir zum Klingen bringen.“Dem stimmt der Ulmer Dekan ErnstWilhe­lm Gohl zu: „Den größten Einschnitt bedeutet der Verzicht auf den Gemeindege­sang. Für uns Protestant­en ist das gemeinsame Singen schon ein wichtiges Element unseres Gottesdien­stes.“Dieser Verzicht habe aber auch etwas Gutes: „Er erinnert uns daran, dass es eben noch keine normalen Zeiten sind, Corona ist noch nicht ausgestand­en. Wer eine Hoffnung hat, hält aber auch Durststrec­ken durch. Miteinande­r Gottesdien­st feiern stärkt die Hoffnung – auch unter eingeschrä­nkten Bedingunge­n.“

Für Gohl ist eine weitere Dimension wichtig: „In diesen Tagen jährt sich zum 75. Mal das Kriegsende. Uns wird bewusst, dass Friede nicht selbstvers­tändlich ist.“Mit dem Gottesdien­stverzicht und dem jetzt eingeschrä­nkten Feiern werde deutlich, „was für Christen in anderen Regionen der Welt Realität ist: Auch das Feiern von Gottesdien­sten ist nicht selbstvers­tändlich.“

Pfarrer Rudolf Hagmann in Tettnang ist die Skepsis deutlich anzumerken: „Obwohl die Gläubigen versichert sein dürfen, dass wir große Anstrengun­gen unternehme­n, die Gefahr einer Ansteckung in unseren Gottesdien­sten zu minimieren, bleibt ein gewisses Restrisiko überall dort, wo Menschen aufeinande­rtreffen.“Deswegen habe sich die Pfarrei entschiede­n, die Gottesdien­ste live über das Telefon zu übertragen: „Sie erreichen die Gottesdien­ste zur jeweiligen Zeit unter der Nummer: 0221988821­19 und dem Zugangscod­e 1050583 gefolgt, von der #-Taste.“

Dekan Matthias Koschar der Kirchengem­einde Tuttlingen

„Mit der gewohnten Normalität haben die Gottesdien­ste allerdings wenig gemeinsam.“

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Schilder und Absperrban­d sollen in der Basilika in der Basilika in Ulm-Wiblingen dafür sorgen, dass die Gläubigen während der Messe genug Abstand halten.
 ?? FOTO: MARK HILDEBRAND­T ?? Der Tettnanger Pfarrer Rudolf Hagmann testet mit Mesnerin Angela Jauk die Plexiglass­cheibe, die bei der Kommunion das Infektions­risiko minimieren soll.
FOTO: MARK HILDEBRAND­T Der Tettnanger Pfarrer Rudolf Hagmann testet mit Mesnerin Angela Jauk die Plexiglass­cheibe, die bei der Kommunion das Infektions­risiko minimieren soll.

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