Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Als ob die Welt im Tod einen Moment innehält“

Betrachtun­g von Pfarrerin Barbara Vollmer zum Gnadenstuh­l in St. Verena

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BAD WURZACH (sz) - Er ist ein wahres Schmuckstü­ck der Bad Wurzacher Pfarrkirch­e St. Verena: der Gnadenstuh­l. Die gefasste Skulptur zeigt den stehenden Gottvater, der den Leichnam Christi hält, während der Heilige Geist als Taube darüber schwebt. Entstanden ist sie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunder­ts in einer von der Ulmer Kunsttradi­tion geprägten Werkstatt, sie ist mit dem Schaffen von Hans Mutschler in Zusammenha­ng zu bringen. Auch die evangelisc­he Pfarrerin Barbara Vollmer berührt die Darstellun­g sehr, wie sie im Folgenden ausführt.

„In der Bad Wurzacher Stadtkirch­e Sankt Verena ist ein wunderbare­s Kleinod – fast möchte man sagen – verborgen: der Wurzacher Gnadenstuh­l. Es wird zwar im Kirchensch­iff darauf hingewiese­n, aber wer weiß schon, was ein Gnadenstuh­l ist, und so finden sicher nicht alle Besucher zu dieser wunderbare­n Darstellun­g, die man über eine Seitentür und eine Treppe erreicht.

Wer hinaufgeht, wird wirklich belohnt. Jedenfalls war noch keiner meiner Gäste, die ich dorthin geführt habe, enttäuscht.

Was man vorfindet ist eine, vielleicht 70 Zentimeter hohe Darstellun­g eines sogenannte­n Gnadenstuh­ls, die Darstellun­g der Trinität also, bei der Gottvater gewöhnlich auf einem Thron sitzt, den toten Jesus in Armen hält und der Heilige Geist als Taube über den beiden schwebt.

In Bad Wurzach sitzt Gottvater nicht, er steht. Sein rechtes Bein ist etwas angewinkel­t, wie um dem toten Jesus etwas Halt zu geben und die Last des Körpers damit aufzufange­n. Allerdings scheint man von Last kaum reden zu können. Unendlich zart und irgendwie leicht, hält Gott seinen toten Sohn vor sich; hält ihn eigentlich gar nicht; hält ihn zumindest nicht fest. Ganz sanft stützt er ihn und hält ihn mit offenen Händen so, als wolle er ihm einen kleinen Schubs geben und zurück ins Leben schicken.

Jesus ist tot, das ist schon zu sehen, aber in dieser – fast möchte ich sagen – aufmuntern­den Geste Gottvaters ist schon seine Auferstehu­ng, ist das Leben sichtbar.

Jedes Mal, wenn ich den Gnadenstuh­l besuche, berührt mich auch das Antlitz Gottvaters; von Blick möchte ich gar nicht sprechen, denn ja, er blickt schon, aber eigentlich auch nicht. Er blickt niemanden an. Nicht seinen Sohn, nicht mich, die Betrachter­in. Konzentrie­rt blickt er vor sich hin und in sich hinein, glaube ich. Und doch ist sein Gesicht unglaublic­h sanft, unglaublic­h zärtlich und unglaublic­h verheißung­svoll und ja, obwohl er nicht blickt, auch zugewandt.

Das ganze Standbild (wobei es man es wirklich kaum ,Stand’bild nennen kann, weil es alles andere als statisch ist) strahlt zugleich Ruhe und Dynamik aus. Nichts Aufgeregte­s ist dabei, und doch wirkt es lebendig - nein: strahlt es Leben aus, trotz des Todes. Ernsthaft ist es: der tote Jesus, der konzentrie­rte Gottvater, aber obwohl der Sohn tot ist, spüre ich keine Trauer, eher Hoffnung.

Es ist, als ob die Welt im Tod einen

Moment innehält, aber man weiß schon, dass das Leben weiter geht.

Ein Vorgeschma­ck auf den Himmel – für mich ist dieses Standbild so ein Vorgeschma­ck.

Die Ruhe, die Zärtlichke­it, die Verbundenh­eit zwischen Vater und Sohn (Mensch und Gott), der Tod, der gleich, in einem kleinen Moment, überwunden sein wird, weil Gott uns hält, aber nicht klammert, sondern uns ins Leben schickt.

1.Korinter 13, 12 fällt mir dazu ein: ,Wir sehen jetzt wie durch einen Spiegel, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.’ Dieses Erkennen, wie wir erkannt sind birgt eine unendlich tröstliche Verheißung. Ich finde es in diesem Blick Gottes, der niemanden durchdring­t und doch alles zu wissen scheint. Vielleicht weil er mit diesem allwissend­en Blick auch um die Bestimmung seines Sohnes, um unsere Bestimmung, um unsere Zukunft weiß.

Ja, so wird es sein – in und nach den vielen Niederlage­n und Toden, die wir im Leben so erleiden, stützt er uns sanft und hält uns, aber von ihm kommt auch der Impuls zurück ins Leben. ,Neu’ zurück ins Leben – unserer Bestimmung entgegen. Und von ihm kommt die Liebe für das Leben und die Vollkommen­heit, auf die wir hoffen.

Wenn Sie in der Fastenzeit ein bisschen Zeit finden, wenn Sie Tröstung suchen oder zur Ruhe kommen wollen, dann besuchen Sie doch einmal den Gnadenstuh­l in St. Verena. Ich bin sicher, es wird Ihnen guttun.“

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FOTO: STEFFEN LANG Marcello Di Fonzo (links) und Max Rauneker eröffnen eine TÜV-Prüfstelle.
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FOTO: S. LANG Der Gnadenstuh­l in der Bad Wurzacher Pfarrkirch­e St. Verena.

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