Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Mamma Erasmus
Die italienische Erziehungswissenschaftlerin Sofia Corradi, Initiatorin des erfolgreichen EU-Austauschprogramms „Erasmus“, hat die Europäische Union trotz aller Streitigkeiten energisch verteidigt. „Ich will nicht so tun, als wäre Europa perfekt oder als könne es nicht verändert oder verbessert werden. Aber ich bin weiterhin der Meinung, dass Europa besser ist als kein Europa“, sagte sie.
Die 85-Jährige verwies auf ein berühmtes Zitat des britischen Staatsmannes Winston Churchill (1874-1965): „In der Tat wurde gesagt, dass Demokratie die schlechteste Regierungsform ist, mit Ausnahme all der anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden.“Dasselbe könne man über Europa sagen, meint die pensionierte Hochschulprofessorin.
„Sie und ich unterhalten uns und können frei sagen, was wir wollen. Können Sie sich das Gleiche in China vorstellen? Und denken Sie daran, seit 70 Jahren führen wir in Europa keinen Krieg mehr gegeneinander.“Dieses Gesamtbild wiege mehr als die Differenzen etwa in der Corona-Krise, in der schwer getroffene südliche EU-Länder wie Spanien und Italien mangelnde Solidarität von nördlichen Mitgliedsstaaten wie Deutschland und den Niederlanden beklagten.
Das EU-Programm „Erasmus“unterstützt Studenten und Uni-Lehrpersonal auf dem Weg ins Ausland und hilft, Praktika in Unternehmen zu finanzieren. Es begann 1987 auf Initiative Corradis’, die sich fast zwei Jahrzehnte lang dafür starkgemacht hatte – daher ist sie auch als „Mamma Erasmus“bekannt. Sie möge diesen Spitznamen sehr, sagt sie. „Es erinnert mich an die alten Familienrestaurants mit Namen wie ,Mamma Teresa’ oder ,Mamma Rosa’“.
Mehr als zehn Millionen Menschen haben das Programm bislang genutzt. Dieses mache die Teilnehmer zu besseren Menschen, weil es ein vollständiges Eintauchen in eine andere Kultur ermögliche, sagte Corradi in einer Rede im Januar in Rom. (dpa)