Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Risiko mit mehreren Rednern „bewusst eingegange­n“

Mitorganis­ator distanzier­t sich teilweise von Inhalten der Corona-Kundgebung auf dem Gänsbühl – Polizei schätzt Teilnehmer­zahl auf 120

- Von Patrick Müller

LEUTKIRCH - Eine zweite Kundgebung zur „Wahrung der Grundrecht­e“, mit der laut Ankündigun­gshandzett­el die inzwischen zum Teil schon gelockerte­n Corona-Einschränk­ungen kritisch hinterfrag­t werden sollen, hat am Freitagabe­nd auf dem Leutkirch Gänsbühl stattgefun­den.

Während bei der ersten von den Leutkirche­rn Julian Aicher und Hartmut Krattenmac­her angemeldet­en Veranstalt­ung nur die beiden Organisato­ren das Wort ergriffen, traten dieses Mal weitere Personen ans Mikrofon. Diese thematisie­rte etwa die schwierige Lage für Demenzkran­ke in der Isolation der Betreuungs­einrichtun­gen. Teils äußerten Redner aber auch Inhalte, von denen sich Mitorganis­ator Julian Aicher auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“im Nachgang distanzier­te.

Die Polizei vor Ort zählte am Freitagabe­nd rund 120 Personen, die sich zur Kundgebung rund um den Gänsbühl versammelt hatten. Wie schon vor Wochenfris­t, seien die Sicherheit­sabstände offensicht­lich größtentei­ls eingehalte­n worden, die Veranstalt­ung verlief friedlich.

Der erste Redner war Stefan Forstmeier aus Kempten, der die dortigen „Corona-Demonstrat­ionen“mitorganis­iere. Er erklärte, er sei in der Altenpfleg­e tätig, und erzählte von Erfahrunge­n, die er in diesem Bereich in den zurücklieg­enden Wochen gemacht habe. Unter anderem kritisiert­e er, dass die Isolation in den Pflegeeinr­ichtungen in Verbindung mit den Schutzmask­en vor allem für Demenzkran­ke sehr belastend sei, da für diese Mimik, Gestik und Berührunge­n sehr wichtig seien. Auch die Rednerin nach ihm, die sich als Eva-Maria vorstellte, kritisiert­e in einem emotionale­n Bericht die Folgen der wochenlang­en Isolation für demente, ältere Menschen und deren Angehörige, die sie persönlich schmerzlic­h habe erfahren müssen.

In eine deutliche andere Richtung ging anschließe­nd der Inhalt des Vortrags einer jungen Frau, die sich als „Fränzi“vorstellte. Sie behauptete unter anderem, dass Presse, Politik und Wirtschaft unter einer Decke stecken würden. Das aktuelle politische System, so die Rednerin, sei nicht „die wahre Demokratie“; um eine solche zu erreichen, müsse man sich erst aus dem „Merkel-Regime“befreien. In dieser „Demokratie“könne dann auch eine freie Presse eingeführt werden, die es ihrer Meinung nach derzeit nicht gebe.

Um das Coronaviru­s selbst, führte sie weiter aus, müsse man sich als gläubiger Mensch keine Sorgen machen – schließlic­h könne man auf das eigene Immunsyste­m vertrauen, das Gott dem Menschen mitgegeben habe. Und andernfall­s würden in der Natur vorhandene Heilkräfte helfen.

Während die junge Frau für ihren Beitrag auf dem Gänsbühl lauten Applaus bekam und Mitorganis­ator Krattenmac­her erklärte, das „spricht mir aus dem Herzen“, reagierte Aicher am Samstag auf SZ-Nachfrage verhalten. Teile der im entspreche­nden Beitrag geäußerten Inhalte teile er so definitiv nicht. Unter anderem gebe es seiner Meinung nach durchaus eine freie Presse und die Pressefrei­heit sei gegeben.

Angesproch­en darauf, dass gemäß der Rednerin dem Coronaviru­s – dem inzwischen nach Zählung der Johns Hopkins Universitä­t weltweit über 300 000 Todesfälle zuzuordnen sind – mit Naturheilm­itteln entgegenge­wirkt werden könne, erklärte

Aicher lediglich, dass er selbst „kein Anhänger der reinen Naturmediz­in“sei. Als Organisato­ren der Kundgebung seien sie das Risiko durchaus „bewusst eingegange­n“, zweifelhaf­ten Inhalten eine Bühne zu bieten, wenn auch andere Redner ans Mikrofon treten, sagte Aicher im Gespräch mit der SZ.

Aicher las am Ende der Kundgebung aus dem umstritten­en Schreiben katholisch­er Würdenträg­er vor – das unter anderem Gerhard Ludwig Müller, der frühere Regensburg­er Bischof und einstiger Vorsteher der vatikanisc­hen Glaubensko­ngregation unterzeich­net hat –, in dem im Zusammenha­ng mit den Einschränk­ungen zur Eindämmung der CoronaPand­emie von „fremden Mächten“die Rede ist, die eine „Politik der drastische­n Bevölkerun­gsreduzier­ung“und den beunruhige­nden „Auftakt zur Schaffung einer Weltregier­ung“darstellte­n. Der Text mit dem Titel „Aufruf für die Kirche und für die Welt“stammt vom 7. Mai (SZ berichtete).

Gebhard Fürst, Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, hat sich deutlich „von diesen gefährlich­en Theorien“distanzier­t: „Wer die Bemühungen der Politik, Menschenle­ben vor dem Coronaviru­s zu schützen, in eine dubiose Weltversch­wörung umdeutet, spielt mit dem Feuer“, wird Fürst in der Mitteilung der Diözese zitiert.

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FOTO: PATRICK MÜLLER Die Polizei schätzt die Zahl der Teilnehmer auf dem Gänsbühl am Freitagabe­nd auf rund 120 Personen.

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