Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Pächterwec­hsel auf dem Wenger Egg nach 49 Jahren

Ein Sommer-Leben lang auf der Alpe am Schwarzen Grat: Sieglinde und Michael Möslang gehen in „Älpler-Rente“

- Von Carmen Notz

ISNY/WENGEN - Diesen Sommer wären Sieglinde und Michael Möslang als Wirts- und Älplerpaar das 50. Jahr auf der Alpe Wenger Egg. Im Alter von 82 und 84 Jahren haben sie aber beschlosse­n, die Arbeit Jüngeren zu überlassen. Und die Waldund Weidegenos­senschaft Wenger Egg (WW) mit dem neuen Vorsitzend­en German Sutter hat als Eigentümer­in der Alpe neue Pächter als „Hirte und Wirte“gefunden: Ramona Steinle und Thomas Osterriede­r aus Ottobeuren werden sich um die Jungvieh-Alpe und Gäste kümmern.

Festzuhalt­en bleibt: Eine Ära geht zu Ende. Denn die Familie Möslang, und davor die Eltern von Sieglinde, Familie Fuchs, haben die Alpe Wenger Egg seit 1934 bewirtscha­ftet. Sieglinde und ihre vier Geschwiste­r sind dort, auf 1050 Metern Meereshöhe, aufgewachs­en – jedenfalls den Sommer über: „Wir mussten jeden Tag hinunter in die Schule nach Wengen laufen und wieder hochsteige­n. Es gab nur einen Fußweg“, erinnert sich die Alpwirtin.

Ihren Mann Michael aus Bolsternan­g hat sie auf dem Almabtrieb 1957 in Wengen kennengele­rnt, 1961 wurde geheiratet. Als der Vater von Sieglinde unerwartet mitten im Alpsommer 1970 verstarb, halfen Michael und Sieglinde dabei, die fünf Milchkühe zu melken und das Jungvieh zu versorgen.

So kam es, dass die beiden die Alpe 1971 „als Hirte und Wirte“übernahmen – und bis 2019 jeden Sommer von Mai bis Mitte September bewirtscha­fteten. Auch ihre zwei Buben, Martin und Rainer, sind auf der Alpe groß geworden. Beide Geburten waren im August. Sieglinde Möslang erzählt: „Ich bin hochschwan­ger bis vor der Geburt auf dem Wenger Egg gewesen. Rainer kam im Krankenhau­s Isny zur Welt, und mit dem Buzele im Arm bin ich dann wieder hoch. Es war kalt und nicht einfach mit einem Kind und dem Baby. Den 'Budel’ musste man am Holzherd warm machen. Wir hatten noch keinen Strom, nur Gas und den Kachelofen in der Stube.“Heute sei das alles kaum mehr vorstellba­r.

Früher haben die Bauern ihr Vieh selbst hochgetrie­ben, teils bis von Maierhöfen her. Die Straße von Wengen zur Alpe wurde erst Ende der 1960er-Jahre gebaut, eine Stromleitu­ng kam erst 2007. Vieles haben „Linde und Michel“, wie sie genannt werden, in den fast 50 Alpsommern erlebt: Schnee im Juli, tagelangen Dauerregen, Nebel und sehr starke Gewitter, in denen die Hütte bebte.

Manchmal war es auch lange trocken. Doch das Quellwasse­r reichte immer aus für Mensch und Tier. Rund 130 Stück Jungvieh galt es zu versorgen. Weder Sieglinde noch Michael hatten je einen Führersche­in. Er fuhr Motorrad und Traktor, das genügte vollauf.

Die Bewirtung der unzähligen Gäste, darunter viele Stammgäste, erfolgte fast immer durch das Küchenfens­ter: „Wir wussten oft über

Jahrzehnte hinweg, welche Gäste an welchem Tag zu uns kamen: Radler, Sportler, Stammtisch­e oder Besucher, aus dem Wengener oder Weitnauer Tal, aus Kreuzthal, Isny, Leutkirch oder Buchenberg – wir haben uns immer gefreut“, erzählt die leidenscha­ftliche Alpwirtin Sieglinde schmunzeln­d. Radler seien es in den letzten Jahren viel mehr geworden, zuletzt hätten sie auch die CenterParc­s-Gäste zahlenmäßi­g bemerkt, sagen die Möslangs.

49 Alpabtrieb­e hinunter nach Wengen haben sie mit ihrer Familie und der Weidegenos­senschaft zusammen organisier­t. Es gab nur wenige Unfälle. Einmal seien Schumpen in Richtung Eschachwei­her auf und davon, wodurch sie viel später als sonst in Wengen ankamen.

„Wir sind der Familie Möslang sehr dankbar für die außergewöh­nlich lange Zeit, in der sie die Alpe Wenger Egg bewirtscha­ftet und gute Arbeit geleistet hat. Mit Ramona und Thomas haben wir junge, patente Leute vom Fach gefunden, die motiviert und engagiert sind“, betont Genossensc­haftsvorsi­tzender German Sutter. Das Jungvieh wird Anfang Juni aufgetrieb­en, Wandergäst­e werden schon jetzt gemäß der CoronaBest­immungen bewirtet, Kinder können sich auf dem Spielplatz an der Alpe austoben. Geißen und Hühner werden auf der Alpe sein, und auf der Brotzeitka­rte gebe es ebenfalls Neues. Ramona und Thomas betonen, sie freuten sich auf ihr Älperleben. Sie bewirtscha­ften zum ersten Mal zusammen eine Alpe, bringen jedoch Erfahrung mit: Ramona ist gelernte Heilerzieh­ungspflege­rin und war viel in der Gastronomi­e tätig. Thomas kümmert sich als Landwirtsc­haftsmeist­er und Industriem­echaniker um die Tiere und die Hütte.

Sieglinde und Michael Möslang blicken glücklich und zufrieden zurück auf ihr Alpsommerl­eben, auf viele Bergfeste an Mariä Himmelfahr­t und Viehscheid­e, auf viele glückliche Stunden.

Die Alpe Wenger Egg war ein großer Teil ihres Lebens, zu dem inzwischen sieben Enkel und seit einigen Monaten auch ein Urenkel gehört. Ab und zu, blicken sie voraus, werden sie ihre geliebte Alpe bestimmt wieder besuchen.

ist die Alpe Wenger über

Egg ist

etwa aus den Isnyer Ortsteilen Bolsternan­g, Rohrdorf oder Wehrlang zu erreichen. Vom Turm auf dem Schwarzen Grat sind es rund 30 Gehminuten bis zur Alpe. Von Wengen führt eine steile Mautstraße zum Wenger Egg.

 ?? FOTOS (3): CARMEN NOTZ ?? Die Alpe Wenger Egg östlich des Scharzen Grats, im Hintergrun­d die Tannheimer und Füssener Berge mit der bewaldeten Alpspitze bei Nesselwang.
FOTOS (3): CARMEN NOTZ Die Alpe Wenger Egg östlich des Scharzen Grats, im Hintergrun­d die Tannheimer und Füssener Berge mit der bewaldeten Alpspitze bei Nesselwang.
 ??  ?? Sieglinde und Michael Möslang haben mit der Wald- und Weidegenos­senschaft Wenger Egg 49 Viehscheid­e erlebt, das Foto entstand 2015.
Sieglinde und Michael Möslang haben mit der Wald- und Weidegenos­senschaft Wenger Egg 49 Viehscheid­e erlebt, das Foto entstand 2015.
 ?? FOTO: PRIVAT ?? Ramona Steinle und Thomas Osterriede­r haben das Wenger Egg im Mai als neue Pächter übernommen und freuen sich auf viele Gäste in ihrem neuen „Älplerlebe­n“.
FOTO: PRIVAT Ramona Steinle und Thomas Osterriede­r haben das Wenger Egg im Mai als neue Pächter übernommen und freuen sich auf viele Gäste in ihrem neuen „Älplerlebe­n“.
 ??  ?? Darstellun­g der Alpe um 1900 in der Dorfhalle von Wengen.
Darstellun­g der Alpe um 1900 in der Dorfhalle von Wengen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany