Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Viele Corona-Regeln, wenige Kontrolleu­re

Schon vor der Pandemie wurden Betriebe selten geprüft – Das Problem verschärft sich nun

- Von Katja Korf

STUTTGART - Ob Mundschutz im Supermarkt oder Abstand zwischen Tischen im Biergarten: Zum Schutz vor dem Coronaviru­s gelten überall neue Regeln. Doch wer kontrollie­rt, ob sie eingehalte­n werden? Vor allem Arbeitssch­utz-Behörden sind seit Jahren unterbeset­zt. Sowohl Aufsichtsb­eamte als auch Gewerkscha­ften klagen, besonders der Schutz von Ärzten und Pflegepers­onal gerate völlig aus dem Blick.

Für die Kontrollen der Vorgaben zum Pandemiesc­hutz sind unterschie­dliche Stellen zuständig. Die Ordnungsäm­ter der Gemeinden haben sehr weitgehend­e Befugnisse. Sie dürfen in Parks, Fußgängerz­onen, aber auch in Geschäften oder Kneipen nach dem Rechten sehen. In Bussen und Bahnen kontrollie­ren Verkehrsun­ternehmen. Die Polizei unterstütz­t im öffentlich­en Raum – etwa, wenn sich mehr als die erlaubten Personen versammeln. Mehr als 25 000 Verstöße stellten Polizisten in Baden-Württember­g gegen diese Richtlinie­n in den vergangene­n zwei Monaten fest. Es drohen Bußgelder von bis zu 1000 Euro. Nach der ersten großen Demonstrat­ion gegen die Corona-Auflagen in Stuttgart zeigten sich bereits die Tücken des Systems: Für die Einhaltung geltender Regeln sei zunächst die Stadt Stuttgart zuständig, beschied Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU). Die Stadt ist für ein Sicherheit­skonzept verantwort­lich und kann die Polizei zu Hilfe rufen.

Bei all diesen Kontrollen geht es um eine Frage: Wie gut sind die Bürger geschützt, halten sie sich an die Regeln? Ein weiteres, wichtiges Feld: Wie gut schützen Arbeitgebe­r ihre Angestellt­en? Dafür sind die Gewerbeauf­sichtsämte­r der Landkreise und großen Städte verantwort­lich. Doch schon ohne zahllose zusätzlich­e Corona-Regeln sind die Arbeitssch­ützer überlastet. Seit Jahren beklagen Wissenscha­ftler, Aufsichtsb­eamte und Gewerkscha­ften den Personalma­ngel im Land. Bis zu 1000 neue Stellen wünscht sich der Deutsche Gewerkscha­ftsbund, 200 forderte zuletzt der Arbeitnehm­erflügel der CDU. Interne Analysen kommen auf denselben Wert. Doch Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) scheiterte an den Grünen, als sie knapp 120 neue Posten forderte. Die Folge: Betriebe werden im Schnitt nur alle 30 Jahre kontrollie­rt. Da wundert es nicht, dass Missstände auf Schlachthö­fen wie in Pforzheim lange unentdeckt bleiben.

Das Staatsmini­sterium von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) verweist stets unter anderem auf die Zahl der Arbeitsunf­älle im Land, die seit Jahren relativ konstant ist und hinter den Werten der anderen Flächenlän­der Bayern und Nordrhein-Westfalen liegt.

Teil des Problems: Die Behörden sind nirgendwo sonst so organisier­t wie im Südwesten. Hier kontrollie­ren Beamte sowohl, ob Firmen Umweltaufl­agen einhalten, als auch Vorgaben zum Arbeitssch­utz. Deshalb sind auch zwei unterschie­dliche Ministerie­n zuständig, das Umwelt- und das Wirtschaft­sressort. In einem Feld, in dem ständig neue Gefahrenst­offe bekannt werden, sich Regeln oft ändern, fehle das nötige Spezialwis­sen, bemängeln Experten. Niemand traue sich daher, Verstöße zu ahnden.

Nun sind seit Mitte März zahllose Auflagen für die Betriebe hinzugekom­men, etwa Schutz für Kassenpers­onal in Geschäften oder Abstand einzelner Büroarbeit­splätze. Für Krankenhäu­ser hingegen lockerte man zum Teil den Schutz. In Ausnahmen darf das Personal dort ZwölfStund­en-Schichten leisten. „Wir haben damit grundsätzl­ich gar kein Problem, denn das ist an sehr strenge Auflagen geknüpft“, sagt Irene Gölz, bei der Gewerkscha­ft Verdi zuständig für Pflegepers­onal. „Doch die Krankenhäu­ser werden so gut wie gar nicht kontrollie­rt. Einige nutzen die Lage aus und lassen ihre Angestellt­en ohne Not Zwölf-StundenSch­ichten arbeiten.“

Das bestätigt Michael von Koch von der Gewerkscha­ft der Gewerbeauf­sichtsbeam­ten (BTBkomba): „Sensible Branchen wie Kliniken, aber auch die Polizei, hat das Land gar nicht im Blick.“Zwar haben Wirtschaft­sministeri­n Hoffmeiste­r-Kraut und Umweltmini­ster Franz Unterstell­er (Grüne) erkannt, dass der Bedarf an Arbeitssch­ützern hoch ist. Deshalb bitten sie die Landkreise, sich bei den entspreche­nden Kontrollen zunächst auf die Einhaltung der entspreche­nden Vorgaben zu konzentrie­ren. Gewerbeauf­seher von Koch hält das für „ziemlichen Käse“. Die Minister empfehlen den Aufsehern vor allem, bislang für das Jahr 2020 geplante Schwerpunk­te zu ändern. „Die Arbeitszei­t für die Schwerpunk­taktionen beträgt aber höchstens fünf Prozent“, schätzt von Koch. Außerdem gebe es lediglich Empfehlung­en und keine landesweit einheitlic­hen Vorgaben – die zuständige­n Landkreise könnten letztlich machen, was sie wollten.

Auf Anfrage betonen die Landkreise aus der Region, man bemühe sich um ausreichen­de Kontrollen. Es gebe nur wenige Verstöße, betroffene Betriebe zeigten sich kooperativ. Man könne aber nur Stichprobe­n machen. Im Bodenseekr­eis sind zum Beispiel drei Kontrolleu­re für alle Betriebe im Handel und Dienstleis­tungsgewer­be zuständig, sie kontrollie­ren an zwei Vormittage­n pro Woche.

Kleine und mittlere Unternehme­n trifft hart, dass die Beamten wenig Zeit für Beratungen haben. Sie können sich keine Experten leisten, die den Dschungel der Vorschrift­en durchdring­en. Derzeit ändern sich Vorgaben zur Corona-Pandemie oft über Nacht. „Als wir noch mehr Personal hatten, haben wir uns als kostenlose Unternehme­nsberatung für Betriebe mit bis zu 50 Mitarbeite­rn verstanden. Das geht heute gar nicht mehr“, moniert von Koch.

Arbeitsrec­htler sehen ein weiteres Problem. Die Regeln für den Arbeitssch­utz während der Pandemie seien nicht rechtssich­er. Es drohe eine Prozessflu­t. „Ich rate meinen Kollegen im Land, mit Anordnunge­n gegen Betriebe sehr vorsichtig zu sein. Das steht alles auf tönernen Füßen“, so von Koch.

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FOTO: TOM WELLER/DPA Im Supermarkt werden Kassiereri­nnen von Plexiglass­cheiben geschützt. Im Zuge der Corona-Pandemie sind die Betriebe mit vielen Vorgaben konfrontie­rt. Das überforder­t auch diejenigen, die die Regeln überwachen sollen.

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