Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wenigstens dem Steinbock geht es gut

Während die Artenvielf­alt am Alpenrand positiv ist, leidet die Natur in Agrarregio­nen

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Gerade während der Corona-Pandemie ziehe es viele Menschen in die Umgebung, in die Parks und Wälder, sagt Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze. „Wir erleben in diesen Zeiten, wie schön und wichtig die Natur für uns sein kann“, schwärmt die SPD-Politikeri­n. Sie habe den Eindruck, dass die Wertschätz­ung für die Natur gewachsen sei. Und das sei richtig, denn gesunde Ökosysteme seien auch eine Art „Lebensvers­icherung“für den Menschen.

Doch so richtig gesund ist die Natur in Deutschlan­d nicht. Das sagt zumindest der „Bericht zur Lage der Natur 2020“, den Schulze an diesem Dienstag in Berlin vorstellt. Zwar habe sich die Lage in vielen Bereichen im Vergleich zur vorherigen Erhebung vor sechs Jahren verbessert, doch woanders gehe es mit der Artenvielf­alt rapide bergab.

Die gute Nachricht für die Menschen am Alpenrand: Dort ist es mit der Natur in der Regel besser bestellt als im Rest und vor allem im Norden Deutschlan­ds.

In der alpinen Region sind demnach zwei Drittel der Lebensraum­typen, die von der Flora-Fauna-Habitat-(FFH)-Richtlinie erfasst sind, in einem guten Zustand. Deutschlan­dweit gelten 70 Prozent der FFH-Lebensräum­e als gefährdet. Bei den alpinen FFH-Arten erhält knapp die Hälfte eine gute Erhaltungs­note, bundesweit ist es nur ein Viertel.

So diagnostiz­iert der Bericht bei den typischen „alpinen Flüssen mit krautiger Ufervegeta­tion“dank der Renaturier­ungsmaßnah­men der vergangene­n Jahre „einen leicht positiven Gesamttren­d“, während die vor allem im Nordwesten Deutschlan­ds vorkommend­e Uferschnep­fe inzwischen vom Aussterben bedroht ist. Bei den Hochmooren sieht es im Norden Deutschlan­d schlecht und im Süden gut aus, ähnlich ist die Lage bei nährstoffa­rmen Teichen mit Armleuchte­ralgen. Grund laut Bericht: Die Landwirtsc­haft im Süden ist weniger intensiv, also geraten auch weniger Nährstoffe ins Wasser.

Besser als früher geht es der Kegelrobbe im Norden, dem Steinbock im Süden, den Waldvögeln in ganz Deutschlan­d sowie der Mopsfleder­maus

im Osten und Süden. Die profitiert laut Bericht davon, dass mehr totes Holz in den Wäldern liegen bleibt. Auch die Artenvielf­alt in den Städten habe zugenommen – so gehören nächtens durch Berlin schnürende Füchse längst zum Stadtbild. Gefährdet im Bestand ist laut Bericht hingegen immer noch der Wolf.

Insgesamt macht der Bericht die intensive Landwirtsc­haft für den Artenschwu­nd bei Insekten und Vögeln verantwort­lich. Vor allem artenreich­e Wiesen und Weiden im „Offenland“seien verschwund­en. Grund: Das Grünland werde zu oft gemäht oder gleich untergepfl­ügt.

Die Chefin des Bundesamte­s für Naturschut­z, Beate Jessel, fordert deshalb eine Anzeigepfl­icht für Grünlandum­bruch. Wann immer ein Landwirt eine Weide umpflügen wolle, solle er das vorher melden. Bei Verstoß gäbe es dann Sanktionen.

Auch die Autoren des Berichts wollen die Landwirte stärker an die Kandare nehmen: Sie fordern eine „deutliche Reduzierun­g der Nährstoffe­inträge und einen Verzicht auf den Einsatz von Pestiziden und Saatgutbei­zen“in FFH-Schutzgebi­eten.

Die Schutzgebi­ete sind heikel: Gegen Deutschlan­d läuft ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren der EU-Kommission, weil die Gebiete seit Jahren nicht richtig ausgewiese­n sind. Nun droht Brüssel mit Klage, was Schulze „bitter“findet. Man sei mit den zuständige­n Bundesländ­ern aber im Gespräch und arbeite „an einer gemeinsame­n Antwort an die Kommission“, sagt sie. Apropos Brüssel: Für die anstehende Neuverteil­ung der EU-Agrarmilli­arden schlägt Schulze eine Abkehr von der Flächenprä­mie vor. Es dürfe nicht sein, „dass Agrarmitte­l Eigentümer­n viel und der Natur nichts bringen“, sagt sie.

Ansonsten verspricht Schulze Tempo: Ein weitgehend­es Pestizidve­rbot solle zusammen mit dem Landwirtsc­haftsminis­terium von Julia Klöckner (CDU) auf den Weg gebracht werden, das umstritten­e Insektensc­hutzgesetz soll noch in diesem Jahr verabschie­det werden.

Die Landwirte, die Schulze erst im November wegen der Düngeveror­dnung und wegen des geplanten Insektensc­hutzgesetz­es ausgebuht hatten, dürften das als Kampfansag­e verstehen.

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FOTO: FLORIAN SANKTJOHAN­SER/DPA In den Alpen befinden sich laut „Bericht zur Lage der Natur 2020“viele Lebensräum­e in gutem Zustand, davon profitiert auch der Steinbock.

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