Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Aus Schwarzarb­eit in der Pflege legale Jobs machen

SPD in Nordrhein-Westfalen fordert Amnestie für Helfer – Welche Folgen dieser Vorschlag hätte

- Von Hajo Zenker

BERLIN - An die 300 000 Osteuropäe­rinnen leben in deutschen Haushalten, um dort Pflegebedü­rftige zu umsorgen, die in ihrer gewohnten Umgebung bleiben wollen. Sie waschen, füttern, reden, zumeist quasi rund um die Uhr – was beim Engagieren eines deutschen Pflegedien­stes für die allermeist­en Familien unbezahlba­r wäre. In neun von zehn Fällen handelt es sich um Schwarzarb­eit, ohne Sozialabga­ben und Versicheru­ngsschutz, was allen Beteiligte­n bei Entdeckung rechtlich schwer auf die Füße fallen kann.

Neu ist das alles wahrlich nicht. So richtig aufgefalle­n ist es aber erst wieder durch Corona – als sich die Grenzen nach Osten schlossen. Und in immer mehr Familien der „Schichtwec­hsel“in der Betreuung des Angehörige­n ausblieb – gemeinhin arbeiten die Osteuropäe­rinnen in Deutschlan­d zwei oder drei Monate am Stück. Danach geht es zurück in die Heimat, etwa nach Polen. Die durch Corona gerissenen Lücken, die zumindest zeitweilig durch Familienan­gehörige oder Nachbarn notdürftig gefüllt werden müssen, zeigen nach Ansicht von Professor Michael Isfort vom Deutschen Institut für angewandte Pflegefors­chung in Köln, dass die Osteuropäe­rinnen für die Betreuung Pflegebedü­rftiger systemrele­vant sind – und zwar ganz unabhängig davon, ob sie legal oder irregulär beschäftig­t seien.

Um aus der Misere herauszuko­mmen, fordert die SPD-Fraktion in Nordrhein-Westfalen jetzt eine Amnestie für Pflegehelf­er, die bisher in Deutschlan­d schwarzgea­rbeitet haben, und für die Familien, die sie beschäftig­t haben. Anschließe­nd müsse man ein System schaffen, in dem die Frauen „ordnungsge­mäß angestellt sind, ohne die Familien aber finanziell zu überforder­n“.

Ein Vorstoß, der auch bei anderen Parteien Anklang findet. So sagt Pia Zimmermann, Sprecherin für Pflegepoli­tik der Linksfrakt­ion im Bundestag, sie begrüße „den politische­n Vorschlag zur Lösung dieses Problems, das seit mindestens 15 Jahren hinlänglic­h bekannt ist“. Aber die notwendige Straffreih­eit sei nur die eine Seite.

„Vor allem müssen die Bedingunge­n beseitigt werden, die Pflegefami­lien dazu treiben, unregulier­te Versorgung­sformen nutzen zu müssen.“Die Linke hatte deshalb bereits Ende April in den Bundestag einen Antrag eingebrach­t mit der Forderung, die Bundesagen­tur für Arbeit solle „die Umwandlung von illegalen 24-Stunden-Betreuungs­verhältnis­sen“in sozialvers­icherungsp­flichtige Arbeitsver­hältnisse fördern, die die gesetzlich­en Vorgaben zu Arbeitszei­t, Urlaub und Mindestloh­n einhalten.

Auch die Liberalen können der Umwandlung der Betreuung in legale Arbeitsver­hältnisse viel abgewinnen. Schließlic­h, sagt Nicole Westig, die pflegepoli­tische Sprecherin der FDP-Fraktion, arbeiteten die ausländisc­hen Betreuungs­kräfte „oftmals weit mehr als unsere Arbeitszei­tregelunge­n zulassen“. Zu viele agierten „in einer rechtliche­n Grauzone, die für die zu Pflegenden, deren Angehörige­n und die Pflegekräf­te selbst eine immense Belastung ist“. Kritik an dem Vorschlag hat sie trotzdem. „Der Vorstoß der SPD lässt allerdings völlig offen, wie die Umwandlung in reguläre Arbeitsver­hältnisse finanziert werden soll.“

Mehr Geld ausgeben müssten dann die Pflegekass­en. Der Spitzenver­band der Kranken- und Pflegekass­en sieht zwar bei „aufenthalt­srechtlich­en Fragen die staatliche­n Stellen gefordert“, so Sprecher Florian Lanz. Er betont aber auch, dass „die Weiterentw­icklung der Pflegevers­icherung eines der großen Themen unserer Zeit ist“. Ziel müsse sein, dass alle Menschen im Land eine angemessen­e Pflege bekämen.

Dass es für eine solche Verbesseru­ng aber zunächst einer Amnestie bedarf, bezweifelt die Union. Für Erich Irlstorfer (CSU), pflegepoli­tischer Sprecher der Unionsfrak­tion, wäre eine Amnestie „ein fatales Signal im Sinne eines Rechtsbruc­hs“– gerade gegenüber all denen, die sich korrekt verhalten hätten. Was man brauche, sei ein System, in dem es möglich sei, Fachkräfte zu holen und gleichzeit­ig den Familien und Angehörige­n Unterstütz­ung zukommen zu lassen. „Dies aber tun zu wollen, indem man die Schwarzarb­eit legalisier­t, ist in meinen Augen der falsche Weg.“

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Wie wichtig die Hilfe von Osteuropäe­rinnen in deutschen Haushalten ist, zeigte sich in der Corona-Krise noch deutlicher als zuvor.

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