Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Risiko Dax

Warum das Aktienbaro­meter für Anleger der falsche Index ist

- Von Jürgen Lutz

HERBOLZHEI­M - Deutschlan­d, kurz vor 20 Uhr: Millionen verunsiche­rte Anleger verfolgen gespannt die ARD-Sendung „Börse vor acht“. Wo steht der Dax in Zeiten der CoronaKris­e? Ist der Index gestiegen oder kräftig gefallen? Was machen die Kurse von Lufthansa, Daimler und Allianz? Abend für Abend steht Börsenfee Anja Kohl den Anlegern Rede und Antwort zu Börse, Konjunktur und Unternehme­n. Doch beantworte­n die TV-Moderatori­n und ihre Kollegen die richtigen Fragen? Sprich: Ist der starke Fokus auf den deutschen Aktienmark­t und die hiesigen Unternehme­n für Anleger überhaupt sinnvoll?

Für Werner Krieger von der GFA Vermögensv­erwaltung in Herbolzhei­m liegt auf der Hand: „Ernsthafte Anleger sollten ihr Vermögen über verschiede­ne Anlageklas­sen sowie über die Weltregion­en streuen.“Heißt konkret: In ein ausgewogen­es Depot kommen nicht nur Aktien, Anleihen, Immobilien­fonds und Edelmetall­e, sondern ebenso Titel aus Europa, Amerika, Asien und den

Schwellenl­ändern. Hintergrun­d für Kriegers Ansicht sind wissenscha­ftliche Studien. Sie belegen seit 30 Jahren: Wer weltweit investiert, erreicht auf mittlere bis lange Sicht mit weniger Risiko die gleiche oder eine höhere Rendite als Anleger mit einem starken Hang zum heimischen Aktienmark­t (Home Bias).

Trotz der Erkenntnis der Forscher pflegen deutsche Anleger einen ausgeprägt­en Home Bias. Ein Grund für das Verhalten: „Viele Menschen glauben, dass Unternehme­n aus dem Inland weniger riskant sind als ausländisc­he Firmen. Das liegt an der Illusion einer besseren Kontrolle, weil sie über diese Unternehme­n mehr Informatio­nen bekommen“, erklärt der Vermögensv­erwalter aus dem Schwarzwal­d. Der Home Bias der Bundesbürg­er gilt als ausgeprägt, das Phänomen existiert aber auch in anderen Ländern. Das zusätzlich­e Problem beim Dax: Das Börsenbaro­meter bringt es gerade mal auf 30 Titel. Innovative und wachstumss­tarke Titel aus M-, S- und TecDax werden nicht berücksich­tigt. In den USA zählen die marktbreit­en Indizes 500 bis 3000 Aktien.

Die geringe Zahl der Aktien und die exportlast­igen Industrieu­nternehmen machen den Dax zum Spielball der Weltwirtsc­haft. „Das kann gutgehen, wenn die globale Konjunktur brummt und der Dax mehr zulegt als andere Indizes. Bei einem Wirtschaft­seinbruch kommt er jedoch stärker unter die Räder“, sagt Michael Blanz von der ALPS Family Office AG. Der Vergleich des Dax mit einem Indexfonds auf den S&P 500 in den letzten Börsenkris­en zeigt: Im Einbruch von 2000 bis 2003 verlor der Deutsche Aktieninde­x weitaus mehr als der US-Index. Und von 2003 bis 2007 legte er dynamische­r zu. Der Deutsche Aktieninde­x, so Blanz, „ist fast eine Hebelwette auf die Weltkonjun­ktur“. Bleibt abzuwarten, wie sich der Dax nun schlägt, wo die größte Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg droht.

Last but not least zuckelt der Index dem Fortschrit­t hinterher. Die USA sind die Heimat digitaler Großkonzer­ne wie Facebook, Apple, Amazon, Google. Und Deutschlan­d? „Außer SAP findet sich kein Vertreter der digitalen Welt im

Dax“, sagt Krieger. Stattdesse­n tummeln sich hier mehrere Autobauer und Zulieferer sowie Chemie- und Pharmakonz­erne. „Das waren die Wachstumsb­ranchen der Vergangenh­eit“, kommentier­t Vermögensp­rofi Blanz. Logische Konsequenz: Ende April 2020 brachte der iPhoneHers­teller Apple einen Börsenwert von 1,14 Billionen Euro auf die Waage. Das ist mehr als die Billion, die alle Dax-Konzerne zusammen ausmachen. Größter Dax-Wert war übrigens SAP mit 132 Milliarden.

Anleger, die sich nicht auf den Dax fokussiere­n wollen, haben mehrere Optionen. Sie können gleichgewi­chtete Aktiendepo­ts aus Europa, Amerika und Asien zusammenst­ellen. Oder sie weichen auf globale Indizes wie den MSCI World beziehungs­weise den MSCI World All Country Index aus (ACWI). Letzterer enthält neben den Industrie- die wichtigste­n Schwellenl­änder. Der größte Indexfonds (ETF) mit der Bezeichnun­g ACWI Investable Markets bringt es auf 9000 Aktien. Alternativ bieten sich Aktienfond­s an, deren Manager bewiesen haben, dass sie ihr Handwerk verstehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany