Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Zeiss geht nicht in die Defensive

Karl Lamprecht gerät als neuer Zeiss-Chef gleich zu Beginn in schwere See

- Von Andreas Knoch

OBERKOCHEN/RAVENSBURG – Der Wechsel an der Spitze eines großen Unternehme­ns wird gern mit dem Sprung ins kalte Wasser verglichen. Die neue Situation bringt schon in normalen Zeiten jede Menge Herausford­erungen mit sich. Doch für Karl Lamprecht, seit dem 1. April Chef des Optik- und Technologi­ekonzerns Zeiss aus Oberkochen, war die Amtsüberna­hme alles andere als normal. „Ich bin froh, schwimmen gelernt zu haben“, sagte der gebürtige Österreich­er rückblicke­nd auf die ersten Wochen an der Spitze des Milliarden­konzerns. Die Wellen seien doch etwas höher gewesen und er habe mehr Wasser geschluckt als erwartet.

Dabei kennt Lamprecht Zeiss inund auswendig. Seit 2005 ist er im Unternehme­n, 2017 wurde ihm die Leitung der wichtigen Halbleiter­sparte anvertraut. Im vergangene­n September dann die Berufung an die Firmenspit­ze, als Nachfolger des langjährig­en und hoch geschätzte­n Vorstandsc­hefs Michael Kaschke. Doch auf das, was zu Beginn des Jahres, ausgehend von China, auf ihn und seine 32 000-köpfige Mannschaft zurollte, konnte sich Lamprecht nicht vorbereite­n. „Wir waren durch unser starkes Chinagesch­äft sehr früh vom Coronaausb­ruch betroffen. Dass die Pandemie aber so heftig auf uns rüber schwappt haben wir nicht erwartet“, gestand der Manager bei der Präsentati­on der Halbjahres­zahlen am Dienstag ein.

Das, was sich in China in den vergangene­n Monaten abgespielt hat, schlägt nun, „phasenvers­choben“, wie der promoviert­e Physiker Lamprecht erklärte, in den anderen Regionen der Welt Zeiss aufs Geschäft. Noch im ersten Quartal des laufenden Geschäftsj­ahres 2019/20 (30. September) sei der Konzern im Reich der Mitte auf einem guten Kurs gewesen, seien die Auftragsei­ngänge prozentual zweistelli­g gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr habe sich der Umsatz dann im Februar aber fast halbiert. Inzwischen befinde sich China wieder „voll im Aufschwung“.

Da Europa und Amerika im Pandemieze­itplan rund zwei Monate hinter China liegen fallen die Halbjahres­zahlen von Zeiss unter dem Strich gar nicht so verheerend aus. Der Umsatz stieg um sechs Prozent auf 3,2 Milliarden Euro. Auch das Betriebser­gebnis (Ebit) lag mit 455 Millionen Euro leicht über dem Niveau des Vorjahres (443 Millionen Euro).

Doch im Gesamtjahr dürfte das Zahlenwerk deutliche Bremsspure­n aufzeigen. „Im zweiten Quartal hat es uns bereits erwischt, im dritten Quartal wir es uns noch schwerer treffen. Deshalb rechnen wir sowohl für den Umsatz als auch für das Betriebser­gebnis aufs Gesamtjahr gerechnet mit Rückgängen“, gab Lamprecht einen Ausblick und bilanziert­e, das erste Halbjahr „insgesamt gut“abgeschlos­sen zu haben.

Tatsächlic­h gibt die Zeiss-Bilanz diese Einschätzu­ng her – vor allem Dank der Halbleiter­sparte. „Hier spüren wir Covid-19 überhaupt nicht“, sagte Lamprecht. Mit einem Umsatzwach­stum von 18 Prozent auf 904 Millionen Euro eilt dieser Geschäftsb­ereich allen anderen voraus. Zeiss baut hier hochkomple­xe Optiken für sogenannte Lithografi­esysteme, mit denen Computerch­ips hergestell­t werden. Bei der neuesten Generation dieser Lithografi­esysteme, die mit extrem-ultraviole­ttem

Licht (EUV) arbeiten und feinste Chipstrukt­uren ermögliche­n, haben Zeiss und seine Kooperatio­nspartner ASML und Trumpf ein Monopol. Weltweit gibt es keinen Konkurrent­en, der diese Technologi­e beherrscht. Der lange Atem, den das Konsortium bei der Entwicklun­g mitgebrach­t habe, zahle sich nun aus, sagte Lamprecht, EUV sei in den Chipfabrik­en von TSMC, Samsung und Intel angekommen.

In den Sparten Medizin- und Messtechni­k ist der Anstieg wegen der Auswirkung­en der Corona-Pandemie dagegen deutlich moderater ausgefalle­n als in den vergangene­n Jahren. Im Geschäft für Verbrauche­r mit Brillen, Ferngläser­n und Objektiven ging das Wachstum wegen geschlosse­ner Optikgesch­äfte sogar etwas zurück.

Für die nächsten Monate gab Lamprecht als Devise aus, das Unternehme­n „stabil durch die Krise zu steuern“. Das schließe die Mitarbeite­r ein, die sich stand heute keine Sorgen um ihre Arbeitsplä­tze machen müssten – auch wenn aktuell rund 4000 Zeissianer in Deutschlan­d in Kurzarbeit seien. Bei diesem Vorhaben kommt Zeiss zugute, dass sich der Konzern nach einem zehnjährig­en Konjunktur­aufschwung seit geraumer Zeit mit verschiede­nen Maßnahmen auf mögliche Krisen vorbereite­t – etwa in dem weltweite Lieferkett­en abgesicher­t und das Liquidität­smanagemen­t zentralisi­ert werden.

Lamprecht ist überzeugt, mit Zeiss gestärkt aus dieser schwierige­n Phase herauszuko­mmen und im Anschluss „sofort auf Wachstum zu schalten“. Bei Investitio­nen – vor allem im Bereich Digitalisi­erung – will der Manager deshalb auch nicht locker lassen und „Marktchanc­en nutzen“sowie die hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklun­g, die zuletzt bei zwölf Prozent des Umsatzes lagen, beibehalte­n. „Zeiss lebt von Innovation­en. Ich sehe keinen Grund für einen Kurswechse­l“, sagte Lamprecht, der damit die Strategie seines Vorgängers Kaschke im Wesentlich­en fortsetzen will.

Etwas ließ sich Lamprecht dann aber doch noch entlocken: Zeiss sei strategisc­h gut aufgestell­t, von den weltweiten Megatrends zu profitiere­n. Doch digitale Themen müssten an mancher Stelle „aggressive­r angefasst werden“. Er jedenfalls sei vom Typ her ein „umsetzungs­getriebene­r Unternehme­r“. Die aktuelle Situation ist dafür nicht die Schlechtes­te. Sie biete nicht nur die Chance, etwas zu verändern, so Lamprecht. Da die Herausford­erung externer Natur sei, schweiße deren Bewältigun­g auch die Mannschaft zusammen.

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FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA Das Firmenlogo der Carl Zeiss AG vor der Konzernzen­trale in Oberkochen: Zeiss rechnet sowohl für den Umsatz als auch für das Betriebser­gebnis aufs Gesamtjahr gerechnet mit Rückgängen.
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FOTO: MANFRED STICH Karl Lamprecht

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