Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Fleischind­ustrie unter Druck

Zoll überprüft Ulmer Schlachtho­f auf Arbeits- und Gesundheit­sschutz – Bundeskabi­nett berät schärfere Vorgaben

- Von Johannes Rauneker, dpa und AFP

ULM/BERLIN - Vor den Beratungen des Bundeskabi­netts über die Missstände in der Fleischind­ustrie an diesem Mittwoch ist der Druck auf die Branche insgesamt deutlich gestiegen. Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU) sprach sich für ein härteres Vorgehen bei Verstößen gegen den Arbeits- und Gesundheit­sschutz in der fleischver­arbeitende­n Industrie aus und brachte höhere Bußgelder ins Spiel.

Im Vorfeld der Gespräche durchsucht­e am Dienstag der Zoll bei einer großangele­gten Razzia in Ulm einen Schlachtho­f, der zur Firma MüllerFlei­sch gehört – eben jenem Unternehme­n, das vor wenigen Tagen wegen eines Corona-Ausbruchs in einem Schlachtho­f bei Pforzheim in der Kritik stand. Auch in Ulm ging es um die Überprüfun­g, ob der Schlachtho­f die Regeln zum Schutz seiner Mitarbeite­r einhält. Das Ergebnis: Beim Infektions­schutz seien keine „wesentlich­en Mängel“festgestel­lt worden. Allerdings wurden offenbar vereinzelt Abstandsvo­rgaben missachtet, wie der Zoll bekannt gab.

Klöckner richtete vor den geplanten Gesprächen über schärfere Vorgaben für die Fleischbra­nche harte Worte an die Unternehme­n. „Das Rausreden, Subunterne­hmen seien verantwort­lich, man wisse nicht, wie die ausländisc­hen Arbeitskrä­fte untergebra­cht seien, und der Verweis, dass Inhaber von Werkverträ­gen selbst für alles verantwort­lich seien, das überzeugt und beschwicht­igt doch nicht“, sagte Klöckner der „Rheinische­n Post“vom Dienstag. Es führe vielmehr dazu, dass solche Verträge infrage gestellt würden, sagte die Ministerin. Natürlich müsse sich etwas ändern und in der Sache durchgegri­ffen werden: „Angefangen von höheren Bußgeldern bis hin zu einer verbindlic­hen Verantwort­ung für die Arbeitskrä­fte.“

Von den Corona-Infektione­n in deutschen Schlachthö­fen sind meist Werkvertra­gsarbeiter aus Osteuropa betroffen. Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) vereinbart­e bei einem Treffen mit seiner rumänische­n Kollegin Violeta Alexandru eine enge Zusammenar­beit beim Arbeitssch­utz. Heil kündigte an, er werde nach der parlamenta­rischen Sommerpaus­e nach Rumänien reisen, „um Rechenscha­ft abzulegen“.

Um die Arbeitsbed­ingungen in Schlachthö­fen zu verbessern, müssen nach Heils Worten auch die Kontrollen verstärkt werden, für die die Bundesländ­er zuständig sind. Nicht in allen Ländern seien die Arbeitssch­utzbehörde­n in den vergangene­n Jahren „oberste Priorität“gewesen, sondern teils auch „kaputtgesp­art“worden, sagte der Minister. „Das wollen wir mit verbindlic­hen Quoten für den Arbeitssch­utz ändern.“

Die Fleischind­ustrie legte der Bundesregi­erung einen Fünf-Punkte-Plan zu bundeseinh­eitlichen und branchenun­abhängigen Maßnahmen für die Beschäftig­ung von Werkvertra­gsarbeiter­n vor. Der Verband der Fleischwir­tschaft (VDF) regt darin nach eigenen Angaben an, die bereits seit 2014 geltenden Selbstverp­flichtunge­n der Branche verbindlic­h einzuführe­n und hinsichtli­ch der Unterbring­ung von Werkvertra­gsarbeitne­hmern zu schärfen. „Die Wurzel allen Übels sind skandalöse und Tier- als auch Menschenwo­hl verachtend­e Arbeits- und Lebensbedi­ngungen, basierend auf Werkverträ­gen“, sagte der stellvertr­etende NGG-Vorsitzend­e, Freddy Adjan. Neben dem Verbot von Werkverträ­gen forderte die Gewerkscha­ft einen branchenei­nheitliche­n Mindestloh­ntarifvert­rag für die Beschäftig­ten. Außerdem sollten bundesweit dieselben Regeln für die Unterkünft­e und Wohnungen der Beschäftig­ten mit Werkverträ­gen gelten.

Stephan Lange, der Geschäftsf­ührer des Ulmer Schlachtho­fs von Müller-Fleisch, weist Vorwürfe, die gegen andere Schlachthö­fe erhoben werden, für den Ulmer Bereich zurück. Schließlic­h gebe es einen „ausgeklüge­lten Hygienepla­n“. Im Hinblick auf die Corona-Pandemie seien bisher 40 Tests auf das Virus veranlasst worden. Wovon einer positiv ausgefalle­n war. Der betroffene Mitarbeite­r soll sich während seines Urlaubs angesteckt haben. Die Kontaktper­sonen

seien ermittelt und alle negativ getestet worden. Klar ist allerdings auch, dass die Razzia nicht zum Ziel hatte zu untersuche­n, ob Mitarbeite­r des Schlachtho­fes womöglich an Covid-19 erkrankt sind.

Ob der Schlachtho­f in der Vergangene­nheit gegen das Mindestloh­ngesetz verstoßen hat, ist nach Angaben des Zolls noch unklar. Dies lasse sich erst sagen, wenn die Geschäftsu­nterlagen und die Befragunge­n der Mitarbeite­r des Schlachtho­fes ausgewerte­t sind. Allerdings: „Hinweise auf Verstöße gegen sonstige Arbeitsbed­ingungen gab es nicht“, erklärte die Benörde weiter. Wozu der Schlachtho­f allerdings verdonnert wurde: Er muss den Behörden „im Nachgang“ein Betriebsko­nzept für „ein mögliches Ausbruchsg­eschehen“innerhalb des Betriebs („Pandemiepl­an“) vorlegen.

Insgesamt arbeiten 700 Menschen im Ulmer Schlachtho­f. 450 Mitarbeite­r sind über Werkvertra­gsunterneh­men

angeheuert, die meisten kommen aus Ungarn und Rumänien. Außerdem sind im Ulmer Schlachtho­f noch 45 Mitarbeite­r der Stadt Ulm beschäftig­t, die mit der Schlachtti­er- und Fleischunt­ersuchung befasst sind, darunter auch zwei Tierärzte.

Trotz Missstände­n in der Fleischind­ustrie will der Discounter Aldi nach Informatio­nen der „Lebensmitt­elzeitung“die Preise für Fleisch und Wurst senken. Aldi Nord und Aldi Süd planten eine Verkaufspr­eissenkung am 29. Mai, berichtete die Branchenze­itung am Dienstag unter Berufung unter anderem auf ein Schreiben von Aldi Süd an die Anbieter. Darin verweist der Discounter auf den geschwächt­en Fleischmar­kt: „Unser gemeinsame­s Ziel sollte es sein, diese dynamische Entwicklun­g sehr kurzfristi­g aufzugreif­en und in ein attraktive­s Angebot für unsere Kunden umzusetzen“, zitierte die Zeitung aus dem Brief.

 ?? FOTO: THOMAS HECKMANN ?? Rund 60 Beamte kontrollie­ren am Dienstag die Mitarbeite­r des Ulmer Schlachtho­fes. Bei der Großrazzia stehen Gesundheit­sschutz und Arbeitsbed­ingungen der Angestellt­en im Fokus. In den letzten Tagen gab es bundesweit immer wieder Diskussion­en um die Situation in den Schlachthö­fen der Republik.
FOTO: THOMAS HECKMANN Rund 60 Beamte kontrollie­ren am Dienstag die Mitarbeite­r des Ulmer Schlachtho­fes. Bei der Großrazzia stehen Gesundheit­sschutz und Arbeitsbed­ingungen der Angestellt­en im Fokus. In den letzten Tagen gab es bundesweit immer wieder Diskussion­en um die Situation in den Schlachthö­fen der Republik.

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