Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Fleischindustrie unter Druck
Zoll überprüft Ulmer Schlachthof auf Arbeits- und Gesundheitsschutz – Bundeskabinett berät schärfere Vorgaben
ULM/BERLIN - Vor den Beratungen des Bundeskabinetts über die Missstände in der Fleischindustrie an diesem Mittwoch ist der Druck auf die Branche insgesamt deutlich gestiegen. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sprach sich für ein härteres Vorgehen bei Verstößen gegen den Arbeits- und Gesundheitsschutz in der fleischverarbeitenden Industrie aus und brachte höhere Bußgelder ins Spiel.
Im Vorfeld der Gespräche durchsuchte am Dienstag der Zoll bei einer großangelegten Razzia in Ulm einen Schlachthof, der zur Firma MüllerFleisch gehört – eben jenem Unternehmen, das vor wenigen Tagen wegen eines Corona-Ausbruchs in einem Schlachthof bei Pforzheim in der Kritik stand. Auch in Ulm ging es um die Überprüfung, ob der Schlachthof die Regeln zum Schutz seiner Mitarbeiter einhält. Das Ergebnis: Beim Infektionsschutz seien keine „wesentlichen Mängel“festgestellt worden. Allerdings wurden offenbar vereinzelt Abstandsvorgaben missachtet, wie der Zoll bekannt gab.
Klöckner richtete vor den geplanten Gesprächen über schärfere Vorgaben für die Fleischbranche harte Worte an die Unternehmen. „Das Rausreden, Subunternehmen seien verantwortlich, man wisse nicht, wie die ausländischen Arbeitskräfte untergebracht seien, und der Verweis, dass Inhaber von Werkverträgen selbst für alles verantwortlich seien, das überzeugt und beschwichtigt doch nicht“, sagte Klöckner der „Rheinischen Post“vom Dienstag. Es führe vielmehr dazu, dass solche Verträge infrage gestellt würden, sagte die Ministerin. Natürlich müsse sich etwas ändern und in der Sache durchgegriffen werden: „Angefangen von höheren Bußgeldern bis hin zu einer verbindlichen Verantwortung für die Arbeitskräfte.“
Von den Corona-Infektionen in deutschen Schlachthöfen sind meist Werkvertragsarbeiter aus Osteuropa betroffen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vereinbarte bei einem Treffen mit seiner rumänischen Kollegin Violeta Alexandru eine enge Zusammenarbeit beim Arbeitsschutz. Heil kündigte an, er werde nach der parlamentarischen Sommerpause nach Rumänien reisen, „um Rechenschaft abzulegen“.
Um die Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen zu verbessern, müssen nach Heils Worten auch die Kontrollen verstärkt werden, für die die Bundesländer zuständig sind. Nicht in allen Ländern seien die Arbeitsschutzbehörden in den vergangenen Jahren „oberste Priorität“gewesen, sondern teils auch „kaputtgespart“worden, sagte der Minister. „Das wollen wir mit verbindlichen Quoten für den Arbeitsschutz ändern.“
Die Fleischindustrie legte der Bundesregierung einen Fünf-Punkte-Plan zu bundeseinheitlichen und branchenunabhängigen Maßnahmen für die Beschäftigung von Werkvertragsarbeitern vor. Der Verband der Fleischwirtschaft (VDF) regt darin nach eigenen Angaben an, die bereits seit 2014 geltenden Selbstverpflichtungen der Branche verbindlich einzuführen und hinsichtlich der Unterbringung von Werkvertragsarbeitnehmern zu schärfen. „Die Wurzel allen Übels sind skandalöse und Tier- als auch Menschenwohl verachtende Arbeits- und Lebensbedingungen, basierend auf Werkverträgen“, sagte der stellvertretende NGG-Vorsitzende, Freddy Adjan. Neben dem Verbot von Werkverträgen forderte die Gewerkschaft einen brancheneinheitlichen Mindestlohntarifvertrag für die Beschäftigten. Außerdem sollten bundesweit dieselben Regeln für die Unterkünfte und Wohnungen der Beschäftigten mit Werkverträgen gelten.
Stephan Lange, der Geschäftsführer des Ulmer Schlachthofs von Müller-Fleisch, weist Vorwürfe, die gegen andere Schlachthöfe erhoben werden, für den Ulmer Bereich zurück. Schließlich gebe es einen „ausgeklügelten Hygieneplan“. Im Hinblick auf die Corona-Pandemie seien bisher 40 Tests auf das Virus veranlasst worden. Wovon einer positiv ausgefallen war. Der betroffene Mitarbeiter soll sich während seines Urlaubs angesteckt haben. Die Kontaktpersonen
seien ermittelt und alle negativ getestet worden. Klar ist allerdings auch, dass die Razzia nicht zum Ziel hatte zu untersuchen, ob Mitarbeiter des Schlachthofes womöglich an Covid-19 erkrankt sind.
Ob der Schlachthof in der Vergangenenheit gegen das Mindestlohngesetz verstoßen hat, ist nach Angaben des Zolls noch unklar. Dies lasse sich erst sagen, wenn die Geschäftsunterlagen und die Befragungen der Mitarbeiter des Schlachthofes ausgewertet sind. Allerdings: „Hinweise auf Verstöße gegen sonstige Arbeitsbedingungen gab es nicht“, erklärte die Benörde weiter. Wozu der Schlachthof allerdings verdonnert wurde: Er muss den Behörden „im Nachgang“ein Betriebskonzept für „ein mögliches Ausbruchsgeschehen“innerhalb des Betriebs („Pandemieplan“) vorlegen.
Insgesamt arbeiten 700 Menschen im Ulmer Schlachthof. 450 Mitarbeiter sind über Werkvertragsunternehmen
angeheuert, die meisten kommen aus Ungarn und Rumänien. Außerdem sind im Ulmer Schlachthof noch 45 Mitarbeiter der Stadt Ulm beschäftigt, die mit der Schlachttier- und Fleischuntersuchung befasst sind, darunter auch zwei Tierärzte.
Trotz Missständen in der Fleischindustrie will der Discounter Aldi nach Informationen der „Lebensmittelzeitung“die Preise für Fleisch und Wurst senken. Aldi Nord und Aldi Süd planten eine Verkaufspreissenkung am 29. Mai, berichtete die Branchenzeitung am Dienstag unter Berufung unter anderem auf ein Schreiben von Aldi Süd an die Anbieter. Darin verweist der Discounter auf den geschwächten Fleischmarkt: „Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, diese dynamische Entwicklung sehr kurzfristig aufzugreifen und in ein attraktives Angebot für unsere Kunden umzusetzen“, zitierte die Zeitung aus dem Brief.