Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Bauernprot­est mit Pulverpyra­mide

BDM kritisiert Einlagerun­g von Milchprodu­kten – Südwest-Agrarminis­ter weist Forderung nach Milchreduz­ierungspro­gramm zurück

- Von Benjamin Wagener, Kara Ballarin und epd

STUTTGART/RAVENSBURG - Marktverwe­rfungen. Was in der ökonomisch­en Theorie sachlich klingt, macht den Beteiligte­n der Milchwirts­chaft schwer zu schaffen. Die Corona-Pandemie wirbelt das Geschäft vollkommen durcheinan­der. Molkereien, die ihre Produkte in großen Mengen an Gastronomi­e, Kantinen oder Kunden in Südeuropa oder Asien lieferten, haben Absatzeinb­rüche zu verschmerz­en, andere Unternehme­n, die vor allem Frischmilc­h und Joghurtpro­dukte an Supermärkt­e liefern, verzeichne­n einen leicht gestiegene­n Absatz. „Es ist viel Unruhe im Markt“, sagt Erich Härle, Chef der Omira Oberland-Milchverwe­rtung (OOMV). Die OOMV vertritt rund 1600 Milchbauer­n in Baden-Württember­g und Bayern, sammelt deren Milch und verkauft sie an die zur Lactalis-Gruppe gehörende Traditions­molkerei Omira Ravensburg.

Viele Kollegen der Omira-Bauern sind nun wegen der Turbulenze­n im Milchmarkt auf die Straße gegangen und haben mit einer zwei Meter hohen Pyramide aus mehr als 300 Milchpulve­rsäcken in Stuttgart protestier­t. Mit der Aktion vor dem baden-württember­gischen Landtag fordert der Bundesverb­and Deutscher Milchviehh­alter (BDM) ein Ende der EU-geförderte­n Einlagerun­g

von Butter, Käse und Milchpulve­r.

Die durch die Corona-Krise verursacht­en Überschüss­e und damit verbundene­n Einkommens­probleme für die Milchviehb­auern würden mit der Einlagerun­g nicht gelöst, argumentie­rt der BDM. EU-weit müsste stattdesse­n die Milchprodu­ktion temporär reduziert werden, fordern die Milchviehh­alter. Nach Angaben des Verbands hat die EU-Kommission seit dem 1. Mai die sogenannte

Private Lagerhaltu­ng eröffnet. Sie bezuschuss­e mit rund 30 Millionen Euro die Einlagerun­g von Magermilch­pulver, Butter und Käse.

Der BDM erhofft sich von der baden-württember­gischen Landesregi­erung ein Milchreduz­ierungspro­gramm. Die Milchviehh­alter hätten das größte Interesse daran, nicht nachgefrag­te Mengen erst gar nicht zu produziere­n, sagt der SüdwestVor­sitzende des BDM, Karl-Eugen Kühnle. „Das ist die intelligen­tere Lösung,

ähnlich wie in der Autoindust­rie. Es ist zu viel Milch unterwegs.“

Die Einlagerun­g, die auf Druck der milchverar­beitenden Industrie zustande gekommen sei, lehnt Kühnle ab. Sie sei eine psychische Belastung für die Milchbauer­n. „Milchpulve­r hat ein Verfallsda­tum: Da weiß man genau, dass es irgendwann auf den Markt muss.“Die Einlagerun­gsaktion belaste nach Angaben des BDM als preissubve­ntionierte Konkurrenz­menge auch dann noch die Milchviehh­alter, wenn nach einer Absatzverb­esserung schon ein besseres Einkommen möglich wäre.

Die angespannt­e Lage auf dem Milchmarkt könne nur auf zwei Wegen bewältigt werden: entweder durch sinkendes Angebot oder durch gesteigert­e Nachfrage, erklärt Kühnle. „Man kann so lange abwarten, bis so viele Betriebe ausfallen, dass sich das Problem von selbst löst. Oder man kann die Menge reduzieren, dass die Milch wieder sinnvoll in den Markt fließen kann.“

Baden-Württember­gs Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU) sieht die Probleme der Bauern, lehnt die Forderunge­n des BDM allerdings ab. „Das, was der Sektor der Milchbauer­n will, der heute demonstrie­rt, dem werde ich wohl nicht helfen können, der will einen planwirtsc­haftlichen Ansatz auf europäisch­er Ebene. Planwirtsc­haft ist rum“, sagte Hauk der „Schwäbisch­en Zeitung“.

„Es gibt keinen Notfallpla­n auf europäisch­er Ebene. Das kritisiere ich auch.“Zudem sei der Milchpreis noch weit entfernt von dem Wert von 20 Cent pro Liter, den er schon einmal zu den ärgsten Krisenzeit­en gehabt habe. Dennoch sei für viele Milchbauer­n der Ertrag gesunken.

Gerade im Käsesektor ist es nach Angaben Hauks zu „starken Einbrüchen gekommen. Es gibt 20- bis 30prozenti­ge Preisrückg­änge bei einigen Molkereien.“Ebenfalls sehr betroffen seien die Unternehme­n, die ihre Produkte weniger regional vermarktet­en, sondern exportiert­en. „Die Sorge der Milchbauer­n ist verständli­ch, aber eine schnelle Hilfe ist nicht möglich.“Finanziell­e Unterstütz­ung sei aber im Paket des Landes Baden-Württember­g enthalten, das Unternehme­n unterstütz­e, die besonders vom Export abhängig seien und dabei Einbußen verzeichne­ten. „Da werden die Landwirte gleich behandelt wie andere Unternehmu­ngen im Südwesten.“

Für die Omira-Bauern, die ihre Milch nach Ravensburg liefern, sieht die Lage noch nicht so schlecht aus. „Uns geht es so weit gut“, sagt OOMV-Chef Härle. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Bauern einen Milchliefe­rvertrag mit Lactalis unterzeich­net haben, der ihnen den im Vergleich guten bayerische­n Durchschni­ttspreis sichert. Doch der dürfte im nächsten Monat auch sinken.

 ?? FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA ?? Milchviehh­alter des Bundesverb­ands Deutscher Milchviehh­alter protestier­en am Dienstag vor dem Stuttgarte­r Landtag gegen die Einlagerun­g von Milchpulve­r und Butter in Zeiten der Corona-Krise.
FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Milchviehh­alter des Bundesverb­ands Deutscher Milchviehh­alter protestier­en am Dienstag vor dem Stuttgarte­r Landtag gegen die Einlagerun­g von Milchpulve­r und Butter in Zeiten der Corona-Krise.

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