Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Bauernprotest mit Pulverpyramide
BDM kritisiert Einlagerung von Milchprodukten – Südwest-Agrarminister weist Forderung nach Milchreduzierungsprogramm zurück
STUTTGART/RAVENSBURG - Marktverwerfungen. Was in der ökonomischen Theorie sachlich klingt, macht den Beteiligten der Milchwirtschaft schwer zu schaffen. Die Corona-Pandemie wirbelt das Geschäft vollkommen durcheinander. Molkereien, die ihre Produkte in großen Mengen an Gastronomie, Kantinen oder Kunden in Südeuropa oder Asien lieferten, haben Absatzeinbrüche zu verschmerzen, andere Unternehmen, die vor allem Frischmilch und Joghurtprodukte an Supermärkte liefern, verzeichnen einen leicht gestiegenen Absatz. „Es ist viel Unruhe im Markt“, sagt Erich Härle, Chef der Omira Oberland-Milchverwertung (OOMV). Die OOMV vertritt rund 1600 Milchbauern in Baden-Württemberg und Bayern, sammelt deren Milch und verkauft sie an die zur Lactalis-Gruppe gehörende Traditionsmolkerei Omira Ravensburg.
Viele Kollegen der Omira-Bauern sind nun wegen der Turbulenzen im Milchmarkt auf die Straße gegangen und haben mit einer zwei Meter hohen Pyramide aus mehr als 300 Milchpulversäcken in Stuttgart protestiert. Mit der Aktion vor dem baden-württembergischen Landtag fordert der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) ein Ende der EU-geförderten Einlagerung
von Butter, Käse und Milchpulver.
Die durch die Corona-Krise verursachten Überschüsse und damit verbundenen Einkommensprobleme für die Milchviehbauern würden mit der Einlagerung nicht gelöst, argumentiert der BDM. EU-weit müsste stattdessen die Milchproduktion temporär reduziert werden, fordern die Milchviehhalter. Nach Angaben des Verbands hat die EU-Kommission seit dem 1. Mai die sogenannte
Private Lagerhaltung eröffnet. Sie bezuschusse mit rund 30 Millionen Euro die Einlagerung von Magermilchpulver, Butter und Käse.
Der BDM erhofft sich von der baden-württembergischen Landesregierung ein Milchreduzierungsprogramm. Die Milchviehhalter hätten das größte Interesse daran, nicht nachgefragte Mengen erst gar nicht zu produzieren, sagt der SüdwestVorsitzende des BDM, Karl-Eugen Kühnle. „Das ist die intelligentere Lösung,
ähnlich wie in der Autoindustrie. Es ist zu viel Milch unterwegs.“
Die Einlagerung, die auf Druck der milchverarbeitenden Industrie zustande gekommen sei, lehnt Kühnle ab. Sie sei eine psychische Belastung für die Milchbauern. „Milchpulver hat ein Verfallsdatum: Da weiß man genau, dass es irgendwann auf den Markt muss.“Die Einlagerungsaktion belaste nach Angaben des BDM als preissubventionierte Konkurrenzmenge auch dann noch die Milchviehhalter, wenn nach einer Absatzverbesserung schon ein besseres Einkommen möglich wäre.
Die angespannte Lage auf dem Milchmarkt könne nur auf zwei Wegen bewältigt werden: entweder durch sinkendes Angebot oder durch gesteigerte Nachfrage, erklärt Kühnle. „Man kann so lange abwarten, bis so viele Betriebe ausfallen, dass sich das Problem von selbst löst. Oder man kann die Menge reduzieren, dass die Milch wieder sinnvoll in den Markt fließen kann.“
Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) sieht die Probleme der Bauern, lehnt die Forderungen des BDM allerdings ab. „Das, was der Sektor der Milchbauern will, der heute demonstriert, dem werde ich wohl nicht helfen können, der will einen planwirtschaftlichen Ansatz auf europäischer Ebene. Planwirtschaft ist rum“, sagte Hauk der „Schwäbischen Zeitung“.
„Es gibt keinen Notfallplan auf europäischer Ebene. Das kritisiere ich auch.“Zudem sei der Milchpreis noch weit entfernt von dem Wert von 20 Cent pro Liter, den er schon einmal zu den ärgsten Krisenzeiten gehabt habe. Dennoch sei für viele Milchbauern der Ertrag gesunken.
Gerade im Käsesektor ist es nach Angaben Hauks zu „starken Einbrüchen gekommen. Es gibt 20- bis 30prozentige Preisrückgänge bei einigen Molkereien.“Ebenfalls sehr betroffen seien die Unternehmen, die ihre Produkte weniger regional vermarkteten, sondern exportierten. „Die Sorge der Milchbauern ist verständlich, aber eine schnelle Hilfe ist nicht möglich.“Finanzielle Unterstützung sei aber im Paket des Landes Baden-Württemberg enthalten, das Unternehmen unterstütze, die besonders vom Export abhängig seien und dabei Einbußen verzeichneten. „Da werden die Landwirte gleich behandelt wie andere Unternehmungen im Südwesten.“
Für die Omira-Bauern, die ihre Milch nach Ravensburg liefern, sieht die Lage noch nicht so schlecht aus. „Uns geht es so weit gut“, sagt OOMV-Chef Härle. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Bauern einen Milchliefervertrag mit Lactalis unterzeichnet haben, der ihnen den im Vergleich guten bayerischen Durchschnittspreis sichert. Doch der dürfte im nächsten Monat auch sinken.