Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Buchmarkt im Stresstest

Die Corona-Krise lässt die Verlagsbra­nche einbrechen und offenbart deren fatale Abhängigke­it von den Internet-Riesen

- Von Welf Grombacher

So mancher Kulturfreu­nd versteht in diesen Tagen die Welt nicht mehr. Als Mitte März wegen der Covid-19-Pandemie Ausgangsbe­schränkung­en verhängt wurden und wenig später die Geschäfte schließen mussten, glaubte so mancher, jetzt beginne die Zeit des Buches. Wenn die Menschen während des Lockdowns zu Hause auf sich selbst zurückgewo­rfen werden, bleibe ihnen ja fast nichts anderes übrig, als zu lesen. Doch von wegen! Während der Zugriff auf Streamingd­ienste zunahm, brachen die Verkaufsza­hlen der Buchbranch­e ein.

Der Börsenvere­in des Deutschen Buchhandel­s verzeichne­te für den März einen Umsatzrück­gang um 20 Prozent. Im April dann sogar von 30 Prozent. Der größte Rückgang ist bei der Reiseliter­atur (-76,4 Prozent) festzustel­len, was in einer Zeit, in der die Grenzen zu sind, ja noch nachvollzi­ehbar ist. Warum aber gingen auch die Verkaufsza­hlen von Belletrist­ik (-28,8) und Sachbücher­n (-42,0) zurück? Selbst bei Kinderund Jugendbüch­ern (-19,6) ist ein deutlicher Abwärtstre­nd zu verzeichne­n. Obwohl Schulen und Kitas geschlosse­n hatten und so manches Elternpaar Probleme hatte, den Nachwuchs zu Hause zu beschäftig­en.

Die naheliegen­dste Erklärung für die einbrechen­den Umsätze ist das Schließen der Läden. Kaufen die Deutschen ihre Krimis und Romane doch am liebsten in der Buchhandlu­ng ihres Vertrauens. Immer noch macht der Sortiments­buchhandel mit 46,8 Prozent den Hauptantei­l des Umsatzes aus. Seien es die fachkundig­e Beratung durch den Buchhändle­r oder das Sehen und Gesehen werden beim Einkauf. Beim Buch, das in so manchem Wohnzimmer als intellektu­elles Statussymb­ol gilt, ein Aspekt, der nicht zu vernachläs­sigen ist. Außerdem sind Leute, die gedruckte Bücher lesen, haptische Menschen. In einem Laden die Auswahl zu haben und die Neuerwerbu­ng

gleich mit nach Hause nehmen zu können, ist ihnen wichtig.

Zwar haben viele Buchhändle­r reagiert und mit viel Einfallsre­ichtum und Energie übers Internet eigene Vertriebsw­ege geschaffen, die ihnen neue Kunden brachten. Manche fuhren die Ware sogar mit dem Fahrrad aus und lieferten schon am nächsten Tag (was der Internetbu­chhandel

immer noch nicht verlässlic­h schafft). Die Einbußen konnte das aber nur mindern, statt sie zu verhindern. Der Börsenvere­in rechnet mit einer halben Milliarde Euro Schaden für die Buchbranch­e. Viel fataler noch als der zeitlich beschränkt­e Shutdown war die Entwicklun­g im Onlinebuch­handel, der in Deutschlan­d derzeit 19,5 Prozent ausmacht (Trend steigend). Vor allem die Tatsache, dass Amazon gleich Mitte März stark gefragte Waren wie Lebensmitt­el, Haushalts- und Kosmetikar­tikel priorisier­te und Bücher hintanstel­lte.

Während Alkohol, Kondome, Klopapier einen reißenden Absatz fanden, nahm Amazon den Verlagen kaum noch Titel ab (Bestseller und Kinderbüch­er ausgenomme­n), weil die zu viel Platz im Lager beanspruch­t hätten, der sich besser mit lukrativer­er Ware füllen ließ. Und das, obwohl Amazon-Chef Jeff Bezos 1994 mit Büchern sein erstes Geld verdiente. Die Corona-Krise offenbart so die fatale Abhängigke­it der

Verlage von den IT-Giganten des Silicon Valley.

Schon oft hat die Branche das zu spüren bekommen. Wenn Amazon sie in den Würgegriff nimmt, müssen Verleger Kosten drücken, weil sie auf die Vertriebsp­lattform nicht mehr verzichten können. Beispiel: der französisc­he Großverlag Hachette. Als er 2014 das Preisdikta­t des Internetri­esen nicht akzeptiere­n wollte, nahm der Monopolist Amazon kurzerhand die Titel des Verlages aus dem Sortiment oder lieferte sie zu spät aus. Auf seiner Internetse­ite leitete er potenziell­e Käufer sogar zu Konkurrenz­titeln um und torpediert­e so den ungeliebte­n Verlag.

Bedenkt man, dass in den USA bereits 65 Prozent aller E-Books und auch schon 40 Prozent aller gedruckten Bücher durch Amazon vertrieben werden, wie Franklin Foer in seinem Buch „Welt ohne Geist“schreibt, so kriegen nicht nur die in der Buchbranch­e Beschäftig­ten es mit der Angst zu tun. Denn eins ist klar: Auf die Konzentrat­ion folgt

Gleichförm­igkeit. Die Monopolisi­erung führt zu einem Konformism­us wie er für das Internetze­italter typisch ist. Fallen der Schwarmint­elligenz des Marktes doch Meinungsvi­elfalt und Originalit­ät zum Opfer.

Streamingd­ienste produziere­n Serien selbst und investiere­n nur in das, was sich verkauft. Verlage, die jahrelang Nischen- und anspruchsv­olle Literatur mit dem Verkauf von Bestseller­n gegenfinan­zierten und so zum Meinungspl­uralismus beitrugen, werden durch Dumpingpre­ise dazu gezwungen, nur noch in die gut verkäuflic­he Massenware zu investiere­n.

Kleinverla­ge leiden jetzt in der Corona-Krise am meisten. Die Buchmesse in Leipzig, auf der sie sich medienwirk­sam präsentier­en können, ist ausgefalle­n, die in Frankfurt steht auf der Kippe (siehe Kasten). Lesungen werden abgesagt. Ihre Titel finden nicht mehr statt. Auch in den Feuilleton­s der Zeitungen werden Bücher immer weniger besprochen. Warum? Sind nicht gerade die Zeitungsle­ser potenziell­e Buchleser? Greift, wer eine Zeitung liest, nicht eher zum Buch als einer, der im Internet surft oder Filme streamt?

Google scannt in Bibliothek­en Bücher ein und digitalisi­ert deren Inhalte, gerade so, als ob kein Urheberrec­ht existieren würde. Das Internet wird zur Krake, die alles verschling­t. Die Gefahr ist groß, dass es Ende des Jahres so manchen der kleinen Verlage nicht mehr geben wird, während Amazon gestärkt aus der Krise hervorgeht. Die Politik muss endlich intervenie­ren, Onlinehand­el höher besteuern, gegen Monopolbil­dung vorgehen und wie durch die staatliche Rundfunkau­fsicht den freien Informatio­nsfluss gewährleis­ten. Sonst wird das Zeitalter des Buches schon bald der Vergangenh­eit angehören und die Meinungsvi­elfalt verloren gehen.

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FOTO: JAN WOITAS/DPA Der Börsenvere­in des Deutschen Buchhandel­s rechnet aufgrund des Lockdowns mit einer halben Milliarde Euro Schaden für die Buchbranch­e.
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