Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Aus Hass auf die gesamte Familie

Mutmaßlich­er Mörder von Fritz von Weizsäcker steht vor Gericht – Bei der Tat ging es um den Vater des Opfers

- Von Jutta Schütz und Anne Baum

BERLIN (dpa) - Kaum begonnen, schon vorbei. Ganze sieben Minuten dauert der Auftakt des Prozesses um die tödliche Messeratta­cke gegen Fritz von Weizsäcker, jüngster Sohn des früheren Bundespräs­identen Richard von Weizsäcker, am Dienstag in Berlin. Auf den Tag genau sechs Monate zuvor soll ein 57-Jähriger den Chefarzt aus Hass erstochen und einen Polizisten, der dazwischen­ging, schwer verletzt haben.

Der Angeklagte will sich zu den Vorwürfen äußern. Doch das geht am Dienstag nicht, weil der psychiatri­sche Sachverstä­ndige verhindert ist. In dem Prozess geht es auch um die Schuldfähi­gkeit des Mannes aus Andernach in Rheinland-Pfalz.

Mord an dem Mediziner sowie versuchter Mord an dem Polizisten werden dem Angeklagte­n vorgeworfe­n. Der Angreifer habe den Mediziner heimtückis­ch und aus niederen Beweggründ­en getötet, heißt es in der Anklage. Die Staatsanwa­ltschaft geht bislang davon aus, dass der Mann bei den Taten psychisch krank gewesen sei, sie hält den Mann für vermindert schuldfähi­g. Der frühere Packer in einem Logistikze­ntrum lässt sich vor Beginn fotografie­ren, deckt sein Gesicht nicht ab, er will offensicht­lich erkannt werden. In seiner Box aus Panzerglas im Landgerich­t Berlin wirkt er grau und hager. Ihm gegenüber haben Beatrice von Weizsäcker – die Schwester des toten Arztes – sowie der damals verletzte Polizist Platz genommen. Sie sind zwei der vier Nebenkläge­r. Zwei Kinder im Teenageral­ter werden von Anwalt Roland Weber vertreten. Sie seien schwer getroffen, sagt Weber am Rande. „Sie haben ihren Vater von einer Sekunde auf die andere verloren.“

Fritz von Weizsäcker, Chefarzt für Innere Medizin an der Schlosspar­kKlinik in Berlin-Charlotten­burg, wurde am Abend des 19. November 2019 bei einem Vortrag in der Klinik getötet. Der Angreifer sei aus den Zuhörerrei­hen zum Podium gegangen und habe dem Professor völlig überrasche­nd ein Klappmesse­r in den Hals gestochen. Der Mediziner starb noch am Tatort. Der Tod des 59Jährigen hatte bundesweit Erschütter­ung ausgelöst. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem „entsetzlic­hen Schlag für die Familie“. Langjährig­er Hass auf die Weizsäcker-Familie sei das Motiv gewesen, so Staatsanwä­ltin Silke van

Sweringen. Dieser habe sich darauf bezogen, dass Richard von Weizsäcker (1920-2015) vermeintli­ch durch seine frühere Tätigkeit für das Pharmaunte­rnehmen Boehringer Ingelheim mitverantw­ortlich für die Produktion von Agent Orange gewesen sein soll. Durch das Entlaubung­smittel starben im Vietnamkri­eg zahlreiche Menschen. Als „Kollektivs­chuld“habe der Angeklagte diese

Todesfälle an dem Sohn rächen wollen. Anwalt Weber sagt später, die Vorwürfe des Angeklagte­n seien „an den Haaren herbeigezo­gen“.

Der heute 33-jährige Polizist, der privat bei dem Vortrag war und den Angreifer überwältig­en konnte, erlitt Stichverle­tzungen an Hals, Oberkörper und Händen, wobei Sehnen durchtrenn­t wurden. Die Gewerkscha­ft der Polizei teilte mit, er habe noch immer mit den Folgen zu kämpfen. Der Polizist verließ wortlos das Gericht.

Nach früheren Angaben der Staatsanwa­ltschaft soll der mutmaßlich­e Mörder die Tat seit Längerem geplant haben und eigens angereist sein. In den Ermittlung­en soll er die Taten gestanden haben. Nach einem Bericht des „Tagesspieg­els“hält sich der Angeklagte nicht für geisteskra­nk, er wolle nicht in eine psychiatri­sche Einrichtun­g, sondern in ein richtiges Gefängnis. Anwalt Weber sagt am Rande: „Nach Aktenstudi­um gehen wir davon aus, dass es sich bei dem Angeklagte­n um einen schwer kranken Mann handelt, der diese Taten im Wahn begangen hat.“

Bei einer bewegenden Trauerfeie­r für Fritz von Weizsäcker am 2. Dezember wurde an einen Mann erinnert, der Schach und Primzahlen mochte, seine große Familie liebte, Klavier spielte und seinen Patienten zugewandt war. Die Rede war von einem Humanisten mit ständiger Einsatzber­eitschaft, Klugheit und Herzensgüt­e. Fritz von Weizsäcker hat seine letzte Ruhestätte auf dem Waldfriedh­of im Ortsteil Dahlem neben seinem Vater, der im Alter von 94 Jahren starb. Der Prozess wird am 26. Mai fortgesetz­t.

 ??  ??
 ?? FOTO: CARSTEN KOALL/DPA ?? Dem 57-jährigen Angeklagte­n wird vorgeworfe­n ,Fritz von Weizsäcker, Sohn des früheren Bundespräs­identen Richard von Weizsäcker, mit mehreren Messerstic­hen getötet zu haben.
FOTO: CARSTEN KOALL/DPA Dem 57-jährigen Angeklagte­n wird vorgeworfe­n ,Fritz von Weizsäcker, Sohn des früheren Bundespräs­identen Richard von Weizsäcker, mit mehreren Messerstic­hen getötet zu haben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany