Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kein Wunder an der Weser

Werder Bremen steht vor dem Abstieg, doch der Niedergang hat einen Vorlauf

- Von Jürgen Schattmann

Draußen vor dem leer gefegten, fast klinisch desinfizie­rten Weserstadi­on war immerhin ein Anhänger zu sehen, er fuhr gemächlich mit dem Fahrrad auf und ab. Allerdings war es keiner von Werder, im Gegenteil, es war einer, der sich auch noch lustig machte über das Ganze. Nicht über die siebte Heimnieder­lage in Folge, dem 1:4 gegen Bayer Leverkusen, das den Bremern abermals ihre Grenzen im deutschen Oberhaus aufgezeigt hatte. Sondern über die Tatsache, dass überhaupt Profifußba­ll gespielt wird in Pandemieze­iten. „Tod oder Spiele“stand auf den Schildern des Radlers, der in Diensten der Satiriker „Die Partei“unterwegs war. Ein Mix aus „Brot und Spiele“und „Tod oder Gladiolen“, einem Bonmot des holländisc­hen Trainers Louis van Gaal, das das Existenzie­lle des Fußballspi­els unterstrei­chen soll.

Nun denn: Wer den Fußball und Werder liebt, für den ist es keineswegs lächerlich, sondern ein Jammer, was da seit dem Sommer 2019 – oder soll man sagen seit 15 Jahren – sportlich und finanziell so passiert an der Weser. Etwas, das am Montagaben­d in einem ziemlich ernsten Lagezustan­d gipfelte. Neun Runden vor Schluss steht der Liga-17. Werder bei einem Nachholspi­el mit fünf Punkten Rückstand auf den 16. Düsseldorf bereits mit einem Bein in der 2. Liga. Nur ein Saisonabbr­uch oder eine Corona-Quarantäne für die Fortuna, sagen Spötter, könne die Bremer noch vor dem ersten Abstieg seit 1980 retten – und damit vor dem Schicksal des Rivalen Hamburger SV, der sich bis 2019 für unabsteigb­ar hielt, oder des VfB Stuttgart, der inzwischen sogar zweimal abgestiege­n ist.

Tatsächlic­h ähneln sich die Werdegänge der drei Traditions­vereine nicht nur, sie sind fast deckungsgl­eich, wenn man davon absieht, dass Bremen, mit 56 Saisons der Bundesliga-Rekordhalt­er, wesentlich weniger Trainer verschliss­en hat. Im Jahr 2004 holte Werder noch das Double, fünf Jahre in Folge spielten die Bremer danach in der Champions League und boten als einziger Club den Bayern Paroli. Ein paar Jahre ohne die gewohnten Millionen – und ohne das alte Transfergl­ück, für die die Bremer unter ihrem Ex-Manager Klaus Allofs jahrelang berühmt waren – reichten letztlich für den Absturz ins Mittelmaß. Werder hatte nie die Werbe- und Zuschauere­innahmen seiner Rivalen und sorgte schließlic­h für herbe Kritik und Spott, weil es irgendwann beschloss, Werbung für Wiesenhof zu machen – einen Geflügelko­nzern, der für alles bekannt ist, nur nicht für frei laufende Hühner.

In der Vorsaison schien es so, als solle endlich die Wende kommen – mit Florian Kohfeldt (37), einem Jung-Trainer aus eigenem Stall, den außerhalb des Clubs kaum einer kannte, der mit seinem Offensiv-Fußball und seiner Gerade-heraus-Mentalität aber exakt für das stand, für das sie eben stets standen in Bremen. Nach acht Spieltagen war Kohfeldts Team Dritter, am Ende immerhin noch Achter, mit 53 Punkten, den meisten seit 2010.

Es folgte: die schlechtes­te Saison seit Werder-Gedenken, 18 Zähler aus 25 Partien. Elf Monate bis dato, in denen Werder nicht nur kontinuier­lich vom Verletzung­spech gebeutelt ist, sondern auch einsehen musste, dass alle fremden Propheten recht hatten – ein Spieler wie Max Kruse, der Neuner und Zehner in einem war und durch seine Rochaden, Kombinatio­nen und seine Spielintel­ligenz für 50 Prozent der Bremer Tore mitverantw­ortlich war, ist nicht zu ersetzen. „Ohne Max Kruse wäre Werder nur Durchschni­tt, er macht die Kollegen besser“, hatte Freiburgs Trainer Christian Streich bereits 2018 gesagt, im Januar kapitulier­te auch Werder-Sportdirek­tor

Frank Baumann: „Wir haben ein Defizit, was dominante Typen angeht. So ein Typ wie Max fehlt uns, wenn es mal nicht läuft.“Mit anderen Worten: Kruse war für Werder wichtiger als Johan Micoud, Andreas Herzog, Mesut Özil und Kevin De Bruyne, seine ebenso genialen Vorgänger, zusammen.

Nur: Das Geld, um Kruse zu halten respektive halbwegs zu ersetzen, fehlte Werder, und dies war wiederum Resultat davon, dass der Club, einst ein Ausbund hanseatisc­her Solidität, über Jahre hinweg wie HSV und VfB viel zu hohe Gehälter zahlte für zu wenig Leistung. Dass Werder zu den Clubs gehörte, die ohne Neustart respektive Sky-Überweisun­g nach einem Monat ohne Geldfluss gerade beinahe pleite gegangen wären, schockiert­e nicht nur den Ex-Manager Willi Lemke.

Werder-Sportdirek­tor Frank Baumann hält zu Florian Kohfeldt

Werder steht nicht von ungefähr auf Rang 17: Es hat die schlechtes­te Abwehr der Liga und den zweitschle­chtesten Angriff, das Torverhält­nis ist um sieben Treffer schlechter als jenes des Letzten Paderborn. „Wir waren nicht gut genug, um Punkte zu holen“, sagte Niklas Moisander, der Kapitän und Chef einer Abwehr, die gegen Leverkusen mal wieder keine war. Die Zu-null-Denke bleibt seinem Trainer aber weiterhin fremd. „Es ist elementar, das Vertrauen ins Offensivsp­iel zu behalten“, sagte Kohfeldt, nur: Auch Winterzuga­ng Davie Selke setzte keine Impulse. Was bleibt, ist die Hoffnung auf eines dieser Wunder von der Weser, für die Werder zwei Jahrzehnte lang berüchtigt war – für sagenumwob­ene Aufholjagd­en nämlich.

„Das ist noch kein K.o.-Schlag für uns“, erklärte Kohfeldt, zumindest war es keiner für ihn. Baumann sagte, er bleibe dabei, „dass Florian für diese Situation und für diese Mannschaft und für diesen Verein der richtige Trainer ist“. Die Statistik spricht für einen Abstieg. Alle drei Bundesligi­sten, die bis dato sieben Heimnieder­lagen in Serie und mehr hatten, stiegen ab. Es könnte ein trauriger Sommer werden in Bremen, der traurigste seit 40 Jahren.

„Ich bleibe dabei, dass Florian für diese Situation der richtige Trainer ist.“

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Hoffnung sieht anders aus: Werder-Stürmer Davie Selke war nach dem 1:4 gegen Leverkusen bedient.
FOTO: IMAGO IMAGES Hoffnung sieht anders aus: Werder-Stürmer Davie Selke war nach dem 1:4 gegen Leverkusen bedient.

Newspapers in German

Newspapers from Germany