Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Es gibt kein Recht auf Billigfleisch
In der Corona-Krise zeigt sich mit Wucht, was längst bekannt war: dass die Arbeitsbedingungen an Schlachthöfen für die Menschen eine Schinderei – und für die Tiere eine Qual sind. Da werden Rinder und Schweine im Akkord getötet, ob der Bolzenschuss oder die Betäubung wirklich erfolgreich waren, wird aufgrund des Zeitdrucks zur Nebensache. Kontrollen sind selten, und wenn kontrolliert wird, werden Verstöße gegen die Schlachtverordnung zwar registriert, aber dies bleibt oft ohne Konsequenzen. Auch die Verbraucher verschließen gerne Augen und Ohren vor den Missständen. Wer will schon wissen, wie es funktioniert, dass ein Kilogramm Schweinenackenkotelett 4,27 Euro kostet?
Dass es das Coronavirus brauchte, damit etwas gegen die Ausbeutung ausländischer Arbeiter getan wird, ist ein Armutszeugnis für die politisch Verantwortlichen. Gewerkschaftsvertreter hatten sich die Zähne daran ausgebissen, dem undurchsichtigen Wust von Werkverträgen mit Subunternehmern und sogenannten Solo-Selbstständigen ein Ende zu machen. Doch solange es nur um menschenunwürdige Arbeitsbedingungen ging, wog das Argument der Fleischwirtschaft, dass Tausende Arbeitsplätze in Deutschland wegfallen könnten, wohl mehr.
Es wäre nun ein Leichtes, mit dem Finger auf die Fleischbranche zu zeigen und ihr vorzuwerfen, auf dem Rücken von Mensch und Tier ihren Reibach zu machen. Aber auch in diesem Fall gilt, dass drei andere Finger zurückzeigen: auf eine Gesellschaft, in der Fleischkonsum eine Art Grundrecht zu sein scheint – für jeden erschwinglich, so oft er will. Doch diese Art des Denkens, die auch von linken Politikern als Gerechtigkeitsargument angeführt wird, ist überholt. Fleisch muss teurer werden, wenn der Preis ein reeller Gegenwert sein soll für die Kosten von Landwirten und Verarbeitern – und wenn es auch den Tieren besser gehen soll. Hätte dies zur Folge, dass nicht jeder jeden Tag Schnitzel oder Burger essen kann, dann wäre dies ein durchaus willkommener Nebeneffekt – auch im Hinblick auf den Klimaschutz – und kein unzumutbarer Verzicht.