Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Corona als Vehikel für Extremismu­s

Zehntausen­de demonstrie­ren gegen Auflagen – Stadt verbietet Proteste am Sonntag

- Von Katja Korf

STUTTGART - Eine große Mehrheit der Deutschen befürworte­t den Corona-Kurs der Regierung. Zehntausen­de demonstrie­ren jedoch gegen die Auflagen. Extremiste­n versuchen, die Demonstrat­ionen für ihre Zwecke zu nutzen. Eine für Sonntag von der AfD geplante Demonstrat­ion wurde nach Angaben der Polizei am Donnerstag von der Stadt Stuttgart aus Infektions­schutzgrün­den verboten. Die AfD plant nun, einen Eilantrag gegen das Verbot zu stellen.

„Unsere größte Sorge ist, dass Extremiste­n die Möglichkei­t bekommen, rechtsextr­eme Ideologien und Gedankengu­t aus der Reichsbürg­erszene zu verbreiten, Kontakte zu knüpfen und neue Netzwerke aufzubauen“, sagt Daniel Meyer vom Landesamt für Verfassung­sschutz (LfV). „Noch können wir nicht abschließe­nd bewerten, wie groß der Einfluss ist, die Gefahr besteht aber mit Sicherheit.“

Die Corona-Proteste bieten Anknüpfung­spunkte für verschiede­ne Gruppen, die dem Staat feindlich gegenübers­tehen. Besonders stark vertreten sind Anhänger diverser Verschwöru­ngsmythen, etwa von Ken Jebsen oder Attila Hildmann, millionenf­ach im Netz angeklickt. „Charakteri­stisch ist, dass stets irgendwelc­he dunklen Mächte am Werk sein sollen und diverse Feindbilde­r aufgebaut werden“, beschreibt der

Allgäuer Rechtsextr­emismus-Experte Sebastian Lipp die Szene. Viele dieser Mythen fußten in antisemiti­schem Gedankengu­t. „Anfangs waren sie auf den Demos im Allgäu und Oberschwab­en sehr sichtbar mit Plakaten oder Spruchbänd­ern, mittlerwei­le agieren sie weniger öffentlich, aber zunehmend radikaler in Chatgruppe­n. Sie nutzen die Corona-Proteste als Vehikel, um Menschen zu kontaktier­en, die bisher nicht mit ihren Ideen in Berührung gekommen sind“, erläutert Sebastian Lipp.

Solche Mythen finden zum Teil bei „Reichsbürg­ern“Anklang. Rund 3200 Anhänger hat die Szene derzeit im Südwesten. Ihre Anhänger lehnen den Staat ab, weigern sich zum Beispiel,

Gerichtsur­teile anzuerkenn­en. Nach Attacken bewaffnete­r „Reichsbürg­er“auf Polizisten wird die Szene vom LfV beobachtet.

In Teilen ihrer Weltanscha­uung treffen sich „Reichsbürg­er“, Impfgegner und Esoterik-Szene. Dort wittern manche hinter Kampagnen für das Impfen Profitstre­ben der Pharmaindu­strie – obwohl beispielsw­eise Masern nach heutigem Wissenstan­d erheblich gefährlich­er sind als mögliche Impffolgen. Der Sprung etwa zu völkischen Siedler-Bewegungen, die unter anderem vereinzelt Höfe in Oberschwab­en, im Schwarzwal­d und Allgäu besitzen, ist nicht groß. „Gerade in der Esoterik-Szene suchen viele Menschen nach einem Sinn, einer alternativ­en Lebensweis­e“, erklärt Sebastian Lipp. Verschwöru­ngsmythen zeigten Menschen einen Weg, auf der vermeintli­ch „richtigen“Seite zu stehen.

Das LfV registrier­te bei den Demonstrat­ionen Mitglieder der rechtsextr­emistische­n Partei „Der dritte Weg“sowie des „Flügels“. Dieser völkisch-nationalis­tische Teil der AfD wird, wie auch die Jugendorga­nisation „Junge Alternativ­e“, offiziell beobachtet. Die AfD als Ganzes wird nicht beobachtet. Landtagsab­geordnete besuchen regelmäßig die Demos. Südwest-Parteichef­in Alice Weidel wollte am Sonntag in Stuttgart bei einer von der AfD angemeldet­en, aber inzwischen von der Stadt abgesagten Demo sprechen. Es gehe darum, gegen die Einschränk­ung von Grundrecht­en zu protestier­en. Vor dieser warnen auch Bürgerrech­tsbewegung­en wie die „Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte“.

„Mit Extremiste­n und Verschwöru­ngstheoret­ikern zu marschiere­n, geht gar nicht“, betont Raimund Haser, CDU-Landtagsab­geordneter für Wangen-Illertal. Doch an ihn wendeten sich Bürger, die ebenfalls demonstrie­ren, darunter zahlreiche Elternpaar­e und Alleinerzi­ehende. „Denen ist der Preis zu hoch, den sie für den Infektions­schutz zahlen.“Solche Argumente müsse man diskutiere­n dürfen, ohne gleich in der Nazioder Spinner-Ecke zu landen, sagt Raimund Haser.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Proteste auf dem Cannstatte­r Wasen: Eine von der AfD geplante Demonstrat­ion am Sonntag ist von der Stadt verboten worden.

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