Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Corona sorgt für Turbulenzen in der Landwirtschaft
Anbau und Ernte während der Pandemie: Wie es bei Landwirten bisher läuft und wo es stockt
RAVENSBURG - Die Ernte in diesem Jahr wird Landwirt Joachim Arnegger aus Weiherstobel lange in Erinnerung bleiben. Denn ein früher Erntebeginn und die Maßnahmen aufgrund der Corona-Pandemie stellen ihn vor große Herausforderungen. Auch Andi Milz und seine Mutter Monika, die in Gornhofen Hopfen, Kirschen und Äpfel anbauen, wurden in den Wochen nach dem Lockdown immer wieder von Existenzängsten geplagt. Ihnen fehlten nämlich zunächst Erntehelfer aus Rumänien. Joachim Arnegger baut in Weiherstobel auf acht Hektar Spargel und Erdbeeren auf vier Hektar an. Hinzu kommen Kirschen, Zwetschgen, Äpfel und Birnen. Bei der Ernte packen normalerweise 15 Erntehelfer aus Polen mit an. Doch wegen der Grenzschließungen im Zuge der Corona-Pandemie konnten nicht alle Erntehelfer wie geplant nach Ravensburg kommen. „Sieben Mitarbeiter aus Polen sind gerade da und helfen schon bei der Spargelernte“, sagt Arnegger. Sie waren bereits vor den Grenzschließungen nach Deutschland gekommen. Ende März hat die Ernte auf den Spargelfeldern
ANZEIGE begonnen. Das ist extrem früh. „Wir hatten einen sehr milden Winter und einen recht warmen März. Dadurch sind alle Kulturen in diesem Jahr früher dran als sonst“, sagt Arnegger. Der frühe Erntebeginn habe die Probleme im März verstärkt. „Wir wussten, dass wir bald beginnen müssen, aber hatten nicht genug Leute.
Das war am Anfang sehr schwierig“, sagt der Landwirt. Einige Schüler und Studenten aus der Region sprangen ein und halfen bei der Ernte. Das milderte die Situation auf Arneggers Spargelhof etwas ab. Haben zunächst zwölf Schüler und Studenten mitgeholfen, sind es inzwischen nur noch fünf. Eine davon ist Shirin Hepperle. Die 23-Jährige studiert eigentlich in Stuttgart, verbringt die Corona-Zeit aber bei ihren Eltern in Ravensburg. Über das Internet hat sie mitbekommen, dass Arnegger Studenten als Erntehelfer sucht. „Ich habe mich gleich entschlossen, zu helfen“, sagt sie. Das Spargelstechen musste sie freilich erst lernen. „Aber inzwischen klappt es richtig gut und der Job macht mir viel mehr Spaß als andere Nebenjobs, die ich bisher gemacht habe“, sagt Shirin Hepperle. Obwohl der Start holprig war, läuft die Spargelernte bisher gut, sagt Arnegger. In den nächsten Tagen
sollen nach den Lockerungen der Corona-Maßnahmen weitere Erntehelfer aus Polen anreisen. Allerdings müssen auf dem Hof bestimmte Hygienemaßnahmen eingehalten werden. Die Zimmer zur Unterbringung hat Arnegger erweitert. Hier habe sowieso ein Umbau angestanden, sagt er. Zusätzlich hat er drei Wohncontainer und einen Container als Aufenthaltsraum aufgestellt. Auf diese Weise können die Saisonarbeiter den erforderlichen
Abstand einhalten. Die Wohnsituation wird vom Landwirtschaftsamt, der Stadt Ravensburg und dem Gesundheitsamt kontrolliert.
Wie viele weitere Erntehelfer aus Polen in den nächsten Tagen nach Ravensburg kommen, steht noch in den Sternen. Das bereitet Joachim Arnegger vor allem mit Blick auf die Erdbeerernte, die Anfang Mai begonnen hat, Sorgen. „Durch den frühen Erntebeginn und die Corona-Situation wissen wir nicht, ob wir es schaffen, alle Erdbeerfelder abzuernten“, sagt er. Das werde in diesem Jahr vielen Landwirten so gehen, meint er. Arnegger rechnet deshalb damit, dass die Erdbeeren in diesem Jahr teurer werden. Da „jede Hand, die in diesem Jahr Erdbeeren pflückt“, hilfreich sei, hat sich Joachim Arnegger etwas einfallen lassen: Auf einem Feld direkt neben dem Hofladen in Weiherstobel können Kunden ihre Erdbeeren selbst pflücken. „Wir haben seit 23 Jahren keine Selbstpflücke mehr angeboten, aber dieses Jahr könnte es uns helfen“, hofft Arnegger. Auch auf dem Hof Milz war die Lage besonders vor Ostern prekär: Weil von Ende März bis Ende Mai die Hauptarbeitszeit für den Hopfen ist, den Familie Milz auf 20 Hektar anbaut, braucht man während dieser Zeit genügend Saisonarbeiter. Es müssen Drähte aufgehängt, die kleinen Pflänzchen in den Boden gestupft und schließlich sachgemäß „angeleitet“, sprich: um die Drähte herumgewickelt werden, damit sie schön ordentlich nach oben wachsen. Weil aber statt der üblichen acht Rumänen nur drei da waren, die noch vor dem coronabedingten Einreisestopp
Joachim Arnegger, Spargelbauer
gekommen waren, halfen ab 24. März drei Studenten in Gornhofen aus. Auch seine Cousins gingen Andi Milz zur Hand. Dennoch stieg bei ihm und seiner Mutter Monika, die den Hof nach dem Tod des Vaters gemeinsam umtreiben, die Nervosität. Dass sie zeitweise in der Luft hingen und nicht wussten, ob noch Erntehelfer und falls ja, wie viele, kommen würden, machte Angst: Denn „wenn wir im Frühling den Hopfen nicht hochbringen, fehlt uns im Herbst der Verdienst – da hängt unsere Existenz dran“, so die Landwirtin.
Schließlich kam im Lauf des Aprils dann doch noch Verstärkung aus Rumänien – vier weitere Erntehelfer landeten mit dem Flugzeug in Nürnberg. Andi Milz fiel ein Stein vom Herzen: „Das war unsere Rettung.“Auch wenn er eigentlich zwei, drei Leute mehr gebraucht hätte. Auch wenn man mit dem Hopfen „hintendran“war. Auch wenn es Hygiene-Auflagen gab. Die Neuankömmlinge mussten nämlich zunächst zwei Wochen in Quarantäne, durften nicht einmal zum Einkaufen den Hof verlassen, mussten in einer separaten Wohnung mit Extra-Bad und eigener Küche untergebracht werden. Zwei Bäder gab es auf dem
Milz-Hof vorher schon, in einer Garage wurde kurzfristig eine zweite Küche eingebaut. Außerdem durften die „Neuen“nicht mit den anderen im selben Auto zu den Hopfenplantagen fahren.
Sobald der Hopfen auf einen guten Weg gebracht ist, sei man aus dem Gröbsten raus, blickt Andi Milz nun wieder einigermaßen zuversichtlich in die Zukunft. Momentan kommt er mit den drei verbliebenen Saisonarbeitern aus, ab Mitte Juni braucht, freilich Verstärkung bei der Kirschernte. Milz hofft, dass die rumänischen Erntehelfer dann wie sonst auch wieder mit dem Bus einreisen können. Ende August wird dann die Hopfenernte losgehen, bei der ebenfalls helfende Hände gebraucht werden – zumal parallel dazu auch die bis Oktober dauernde Apfelernte beginnt. Auf insgesamt zehn Hektar baut Familie Milz Obst an. Rückblickend ist der Landwirt zwar sehr froh über den spontanen Einsatz der Studenten gewesen, wie er sagt. Allerdings weiß er auch: „Die körperliche Arbeit muss man gewohnt sein.“Vor allem aber kritisiert Andi Milz, dass der Mindestlohn für Erntehelfer etwa in Spanien und Italien weit unter dem in Deutschland liege.
„Wir wussten, dass wir bald beginnen müssen, aber hatten nicht genug Leute.“