Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Strenger Schutz endet in 450 Metern Höhe
Kunstflüge über dem Ried sorgen für Ärger – Das sagen Behörden dazu
BAD WURZACH - Kunstflüge über dem streng geschützten Wurzacher Ried sorgen seit Jahren für Unmut und Unverständnis in der Stadt. Bislang blieben auch alle Versuche, diese Flüge zu unterbinden, erfolglos.
Die Flüge seien „ein bisserl lästig, sag ich ganz vorsichtig“, äußerte sich zuletzt Stadtrat Karl-Heinz Buschle von den Freien Wählern im Gemeinderat. Einer solch vorsichtigen Wortwahl bedienen sich viele andere, die sich über die Kunstflüge ärgern, oft nicht.
Nicht nur im Ried selbst, auch in dessen Umkreis von mehreren Kilometern ist vieles verboten, um die Pflanzen- und Tierwelt vor Schaden zu bewahren. Die Schutzzone endet aber offenbar 450 Meter über Grund.
Auch in dieser Woche war wieder ein Kunstflieger dröhnend über dem Wurzacher Ried unterwegs. Zum Beispiel am Mittwoch bis über die Mittagszeit, ehe er dann, wie dem sogenannten Stanly-Track der Deutschen Flugsicherung (DFS) zu entnehmen war, gegen 13.20 Uhr bei Tannheim von der Karte verschwand. Seine Flughöhe über dem Ried betrug dabei laut dem StanlyTrack deutlich mehr als 1000 Meter.
Flieger, die in Tannheim starten, sind bereits mehrfach über die Flugzeugnummer dorthin zurückverfolgt worden. Eine Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“dort blieb am Donnerstag unbeantwortet.
Doch nicht nur der Geräuschpegel, den die Maschine verursacht, ärgert viele Menschen. Sorgen machen sich auch Naturschützer. Sie befürchten massive Störungen der im mit dem Europadiplom ausgezeichneten Ried lebenden Tierarten. Horst Weisser, Leiter des Naturschutzzentrums, nannte dieser Tage seltene geschützte Vogelarten mit Nachwuchs als Beispiel dafür. „Sie halten das Flugzeug, zumal wenn es im Sturzflug ist, für einen gefährlichen Greifvogel. Die Tiere kommen einmal und nie wieder ins Ried.“
Stadt und Naturschutzzentrum versuchen seit Jahren, die Kunstflüge
über dem Wurzacher Ried zu unterbinden. Ihr erster Ansprechpartner dabei: das Regierungspräsidium Tübingen als Landesbehörde. Schließlich gehört das Ried dem Land Baden-Württemberg. Und es gibt seit langen Jahren jährlich im Schnitt fast eine halbe Million Euro für dessen Erhalt und Renaturierung aus.
Doch dem Land scheinen die Hände gebunden. Selbst Ministerpräsident Winfried Kretschmann kann offenbar nichts ausrichten. Er war 2018 bei seinem Besuch im Ried über das Ärgernis der Bad Wurzacher informiert worden.
„Uns ist an der Störungsfreiheit des Rieds sehr gelegen“, betont der Pressesprecher des RP Tübingen, Dirk Abel, dass das Land an der Seit der Stadt und der Naturschützer steht. „Aber wir haben keine rechtliche Handhabe zu intervenieren.“Die Flüge fänden in einer nach Recherchen des RP von der Deutschen Flugsicherung zugelassenen Kunstflugbox statt. Diese beginnen in einer Höhe von 450 Metern über Grund, wo weder Naturund Bundesimmissionsschutzrecht greifen würden. Allein „guter Wille“könne daran etwas ändern.
Die Deutsche Flugsicherung mit Sitz im hessischen Langen ist für die
Flugverkehrskontrolle in Deutschland zuständig. Sie ist ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen. Alleiniger Gesellschafter ist die Bundesrepublik Deutschland. Aufsichtsratsvorsitzende ist Tamara Zieschang (CDU), Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium. Vorsitzender der Geschäftsführung ist Klaus-Dieter Scheurle, ehemals Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium.
Sandra Teleki, Beauftragte für Lärm und Umwelt in der DFS-Kontrollzentrale München, verweist auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“auf die Gesetzeslage. Ein Antragsteller habe das Recht, eine Kunstflugbox genehmigt zu bekommen. „Wir haben keine Handhabe dagegen“, so Teleki, „ihm steht das zu. Der Luftraum ist frei.“
Die DFS-Mitarbeiterin zeigt zwar Verständnis für den in Bad Wurzach herrschenden Ärger, aber die Kunstflugbox könne nach derzeitiger Gesetzeslage nur dann verschwinden, wenn sie niemand mehr beantragt. Eine solche Genehmigung sei stets auf ein Jahr befristet und müsse dann neu beantragt werden.
Die derzeit genehmigte Kunstflugbox befindet sich nach den von der DFS mitgeteilten Koordinaten direkt über dem Ried, Eckpunkte sind in etwa Unterschwarzach, Albers, Ziegelbach und Osterhopfen. Die Box kann „täglich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang genutzt werden“. Wer die Genehmigung beantragt und erhalten hat, sagt die DFS nicht und verweist auf den Datenschutz.
Der Bund als zuständiger Gesetzgeber hat in der LuftverkehrsOrdnung einzig dicht besiedelte Gebiete, Menschenansammlung und Flughäfen als für Kunstflüge verboten festgelegt. Von Naturschutzgebieten steht in der LuftVO kein Wort.
Das bayerische Verkehrsministerium hat im Januar auf eine Anfrage der Grünen-Landtagsabgeordneten Rosi Steinberger zu schützenswerten naturschutzrechtlichen Belangen geantwortet, diese Frage sei bislang „von der Rechtsprechung nicht entschieden worden“. Die Anfrage bezog sich auf die Kunstflugbox bei Landshut.
Im Hintergrund, so ist aus verschiedenen Quellen zu hören, arbeiten indes Juristen daran, Möglichkeiten zu finden, Kunstflüge über Naturschutzgebieten zu verbieten. Ausgang offen.