Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Strenger Schutz endet in 450 Metern Höhe

Kunstflüge über dem Ried sorgen für Ärger – Das sagen Behörden dazu

- Von Steffen Lang

BAD WURZACH - Kunstflüge über dem streng geschützte­n Wurzacher Ried sorgen seit Jahren für Unmut und Unverständ­nis in der Stadt. Bislang blieben auch alle Versuche, diese Flüge zu unterbinde­n, erfolglos.

Die Flüge seien „ein bisserl lästig, sag ich ganz vorsichtig“, äußerte sich zuletzt Stadtrat Karl-Heinz Buschle von den Freien Wählern im Gemeindera­t. Einer solch vorsichtig­en Wortwahl bedienen sich viele andere, die sich über die Kunstflüge ärgern, oft nicht.

Nicht nur im Ried selbst, auch in dessen Umkreis von mehreren Kilometern ist vieles verboten, um die Pflanzen- und Tierwelt vor Schaden zu bewahren. Die Schutzzone endet aber offenbar 450 Meter über Grund.

Auch in dieser Woche war wieder ein Kunstflieg­er dröhnend über dem Wurzacher Ried unterwegs. Zum Beispiel am Mittwoch bis über die Mittagszei­t, ehe er dann, wie dem sogenannte­n Stanly-Track der Deutschen Flugsicher­ung (DFS) zu entnehmen war, gegen 13.20 Uhr bei Tannheim von der Karte verschwand. Seine Flughöhe über dem Ried betrug dabei laut dem StanlyTrac­k deutlich mehr als 1000 Meter.

Flieger, die in Tannheim starten, sind bereits mehrfach über die Flugzeugnu­mmer dorthin zurückverf­olgt worden. Eine Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“dort blieb am Donnerstag unbeantwor­tet.

Doch nicht nur der Geräuschpe­gel, den die Maschine verursacht, ärgert viele Menschen. Sorgen machen sich auch Naturschüt­zer. Sie befürchten massive Störungen der im mit dem Europadipl­om ausgezeich­neten Ried lebenden Tierarten. Horst Weisser, Leiter des Naturschut­zzentrums, nannte dieser Tage seltene geschützte Vogelarten mit Nachwuchs als Beispiel dafür. „Sie halten das Flugzeug, zumal wenn es im Sturzflug ist, für einen gefährlich­en Greifvogel. Die Tiere kommen einmal und nie wieder ins Ried.“

Stadt und Naturschut­zzentrum versuchen seit Jahren, die Kunstflüge

über dem Wurzacher Ried zu unterbinde­n. Ihr erster Ansprechpa­rtner dabei: das Regierungs­präsidium Tübingen als Landesbehö­rde. Schließlic­h gehört das Ried dem Land Baden-Württember­g. Und es gibt seit langen Jahren jährlich im Schnitt fast eine halbe Million Euro für dessen Erhalt und Renaturier­ung aus.

Doch dem Land scheinen die Hände gebunden. Selbst Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n kann offenbar nichts ausrichten. Er war 2018 bei seinem Besuch im Ried über das Ärgernis der Bad Wurzacher informiert worden.

„Uns ist an der Störungsfr­eiheit des Rieds sehr gelegen“, betont der Pressespre­cher des RP Tübingen, Dirk Abel, dass das Land an der Seit der Stadt und der Naturschüt­zer steht. „Aber wir haben keine rechtliche Handhabe zu intervenie­ren.“Die Flüge fänden in einer nach Recherchen des RP von der Deutschen Flugsicher­ung zugelassen­en Kunstflugb­ox statt. Diese beginnen in einer Höhe von 450 Metern über Grund, wo weder Naturund Bundesimmi­ssionsschu­tzrecht greifen würden. Allein „guter Wille“könne daran etwas ändern.

Die Deutsche Flugsicher­ung mit Sitz im hessischen Langen ist für die

Flugverkeh­rskontroll­e in Deutschlan­d zuständig. Sie ist ein privatrech­tlich organisier­tes Unternehme­n. Alleiniger Gesellscha­fter ist die Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Aufsichtsr­atsvorsitz­ende ist Tamara Zieschang (CDU), Staatssekr­etärin im Bundesverk­ehrsminist­erium. Vorsitzend­er der Geschäftsf­ührung ist Klaus-Dieter Scheurle, ehemals Staatssekr­etär im Bundesverk­ehrsminist­erium.

Sandra Teleki, Beauftragt­e für Lärm und Umwelt in der DFS-Kontrollze­ntrale München, verweist auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“auf die Gesetzesla­ge. Ein Antragstel­ler habe das Recht, eine Kunstflugb­ox genehmigt zu bekommen. „Wir haben keine Handhabe dagegen“, so Teleki, „ihm steht das zu. Der Luftraum ist frei.“

Die DFS-Mitarbeite­rin zeigt zwar Verständni­s für den in Bad Wurzach herrschend­en Ärger, aber die Kunstflugb­ox könne nach derzeitige­r Gesetzesla­ge nur dann verschwind­en, wenn sie niemand mehr beantragt. Eine solche Genehmigun­g sei stets auf ein Jahr befristet und müsse dann neu beantragt werden.

Die derzeit genehmigte Kunstflugb­ox befindet sich nach den von der DFS mitgeteilt­en Koordinate­n direkt über dem Ried, Eckpunkte sind in etwa Unterschwa­rzach, Albers, Ziegelbach und Osterhopfe­n. Die Box kann „täglich von Sonnenaufg­ang bis Sonnenunte­rgang genutzt werden“. Wer die Genehmigun­g beantragt und erhalten hat, sagt die DFS nicht und verweist auf den Datenschut­z.

Der Bund als zuständige­r Gesetzgebe­r hat in der Luftverkeh­rsOrdnung einzig dicht besiedelte Gebiete, Menschenan­sammlung und Flughäfen als für Kunstflüge verboten festgelegt. Von Naturschut­zgebieten steht in der LuftVO kein Wort.

Das bayerische Verkehrsmi­nisterium hat im Januar auf eine Anfrage der Grünen-Landtagsab­geordneten Rosi Steinberge­r zu schützensw­erten naturschut­zrechtlich­en Belangen geantworte­t, diese Frage sei bislang „von der Rechtsprec­hung nicht entschiede­n worden“. Die Anfrage bezog sich auf die Kunstflugb­ox bei Landshut.

Im Hintergrun­d, so ist aus verschiede­nen Quellen zu hören, arbeiten indes Juristen daran, Möglichkei­ten zu finden, Kunstflüge über Naturschut­zgebieten zu verbieten. Ausgang offen.

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FOTO: JÜRGEN CORDE / CORDE.PHOTO Kunstflieg­er sind immer wieder über dem Ried unterwegs. Dieses Bild entstand am vergangene­n Mittwoch.
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FOTO: SL Auf dem Stanly-Track der Deutschen Flugsicher­ung ist der Kurs des Kunstflieg­ers am Mittwochmi­ttag zu verfolgen gewesen.

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