Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Die wundersame Begegnung mit Jakob Fischer
Eine lehrreiche App unterstützt den Spaziergang durch die Streuobstwiesen des Oberschwäbischen Museumsdorfs Kürnbach
Anna Pegios hat schon viele interessante Begegnungen im Oberschwäbischen Museumsdorf Kürnbach gehabt: Über den Weg gelaufen ist sie dort dem „Kaiser Wilhelm“sowie „Prinz Albrecht von Preußen“, dem „Geheimrat Breuhahn“, dem „Schönen von Eichen“und einem „Geflammten Kardinal“. Pausbackig sind sie alle, manche leuchten flammend rot und sind zum Anbeißen hübsch. Die Rede ist nicht von attraktiven Herren sondern von knackigen Äpfeln. 150 unterschiedliche Apfelsorten mit manch wunderlichen Namen wachsen auf der Streuobstwiese mitten im Museumsdorf Kürnbach. Wer ebenfalls ihre Bekanntschaft machen will, begibt sich dort am besten mit der Streuobst-App auf Tour durch das Museumsdorf, eines von sieben Freilichtmuseen in Baden-Württemberg.
Südlich von Bad Schussenried gelegen, lässt sich an diesem idyllischen Ort das Landleben von anno dazumal ebenso entdecken wie ein Stück oberschwäbische Geschichte und Tradition. Neben 30 Gebäuden – alten Bauernhöfen mit Fachwerk und Strohdach, Zehntscheuer, Backhaus, Kapelle, Brennerei, Bienenhaus, Schmiede – und farbenfrohen Bauerngärten meckern Ziegen, blöken Schafe oder grunzen Schweine in ihren Gehegen. Vögel zwitschern, und helle Kinderstimmen vom Spielplatz durchbrechen die ländliche Ruhe im Museumsdorf.
Besonderer Naturschatz ist die Streuobstwiese – eine der sortenreichsten des ganzen Landes. Rund 250 knorrige Bäume sind hier verwurzelt, die meisten davon sind Apfelbäume, dazu kommen Birn- und Zwetschgenbäume sowie Reneclauden. Ein Teil davon wächst auf dem acht Hektar großen Museumsgelände, ein weiterer Teil auf einer Wiese außerhalb des Museumszauns.
Anna Pegios ist wissenschaftliche Volontärin im Oberschwäbischen Museumsdorf Kürnbach. Zuständig für das museumspädagogische Programm führt die studierte Historikerin und Germanistin Schulklassen, Hortkinder und sonstige Gruppen durch das Freilichtmuseum. „Apfelsaft von der Streuobstwiese“und „Was krabbelt auf der Streuobstwiese?“heißen zwei der umweltpädagogischen Angebote, die sich mitten in den zauberhaften Obstgärten abspielen. Seit sie im Museumsdorf arbeitet, hat sie das „Apfeleldorado Oberschwaben“umfassend kennengelernt und kann die eine oder andere kuriose Geschichte zu unterschiedlichen Apfelsorten erzählen – etwa die Geschichte des „Roten Ziegler“oder von „Jakob Fischer“– der bekanntesten oberschwäbischen Apfelsorte. Wollen die Kinder etwas über die süße, wohlgeformte „Carola“wissen oder den schweren „Bismarck“, dann wirft sie gerne mal einen Blick in die Streuobst-App – ihrem digitalen Spickzettel. Denn die App gibt Auskunft zu 100 Apfel-, 21 Birnen- und neun Zwetschgensorten mit Kurzbeschreibung zu Herkunft, Verwendung, Aussehen der Frucht, Reife, Geschmack, Verwechslersorten und jeweils einer kompakten Geschichte. Dabei stehen eindrucksvolle Fotos der reifen Früchte.
Wer nicht mit Anna Pegios durch die Streuobstwiese geht – und das ist die Mehrzahl der rund 80 000 Besucher im Jahr – kann sich selbst per
Sommerzeit
App einen schnellen Überblick verschaffen über die unterschiedlichen historischen Sorten der Kürnbacher Streuobstwiese. Herunterladen kann man die App schon zu Hause oder im Eingangsbereich des Museums, wo die Besucher einen WLAN-Hotspot finden. Vor Corona standen den Besuchern kostenlose Leihgeräte mit der aufgespielten Streuobst-App zur Verfügung, aus Hygienegünden müssen die Gäste derzeit darauf verzichten.
„Zielgruppe der App sind alle Interessierten“, sagt Museumsleiter Dr. Jürgen Kniep – „Familien, Kinder, Jugendliche und Erwachsene“. Ziel der App sei es, den „bemerkenswerten Baumbestand“der Kürnbacher Streuobstwiese zu erklären“, sagt der Historiker, der durch die App-Entwicklung auch selbst jede Menge über den mehr als 60 Jahre alten Obstbaumbestand gelernt hat. Schon in den 1970er-Jahren hat der damalige Kreisberater für Obst- und Gartenbau des Landratsamts Biberach den Bestand an historischen Sorten erweitert, sein Nachfolger Alexander Ego führt diese Arbeit seit 2000 „mit Herzblut“weiter.
Wer beim Rundgang durchs Museumsdorf in Kürnbach sein Augenmerk auf den prächtigen Baumbestand legt, kann jede Menge entdecken. Jeder Baum, der in der App beschrieben ist, trägt auf seinem Stamm ein buntes Apfel-, Birnenoder Zwetschgenschild mit Nummer und Bezeichnung der Obstsorte. Gibt man die Nummer in den Sortenfinder der App, erfährt man viel Interessantes und Kurioses.
Bei der Nummer 738, dem „Jakob Fischer“, ist so zu lesen, dass der große rote Apfel, der „Star unter den oberschwäbischen Äpfeln“nach seinem Entdecker Jakob Fischer aus Rottum im Landkreis Biberach benannt ist, dass er saftig, aromatisch und feinsäuerlich schmeckt, von Anfang bis Mitte September gepflückt wird und dann nur vier Wochen hält. Das Spannende: Weil der mehr als 115 Jahre alte Urbaum auf Jakob Fischers Gelände in Rottum altersschwach ist, wurde er geklont – eine Kopie ist in Kürnbach zu bestaunen.
Diese und viele andere Geschichten zu den Äpfeln, Birnen und Zwetschgen mit oft außergewöhnlichen Namen kann man in der App nachlesen und erfährt überdies noch speziell etwas zu den oberschwäbischen Lokalsorten und zur Geschichte der Streuobstwiesen, die in Oberschwaben ab 1850 planvoll angelegt wurden und damals „Obstgarten“hießen. Der Rundgang mit der App ist ein „Erlebnis für alle Sinne“, sagt Jürgen Kniep: Sehen, Riechen, Fühlen und Schmecken – das alles gehört dazu. Denn die knackigen Äpfel zu probieren, ist ausdrücklich erlaubt!