Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Feuer ohne Pause
Waffenstillstand in Berg-Karabach gebrochen
ISTANBUL - Der Krieg um die Enklave Berg-Karabach im Kaukasus geht trotz der von Russland organisierten Feuerpause weiter. Ein Wohngebiet der aserbaidschanischen Stadt Ganja wurde nach Regierungsangaben in der Nacht zum Sonntag von armenischen Raketen getroffen. Sieben Menschen seien getötet worden. Zuvor hatte Armenien den Aserbaidschanern vorgeworfen, die Gegend um die armenische Stadt Kapan bombardiert zu haben. Hinter den Verstößen gegen die Waffenruhe wird eine wachsende Konfrontation zwischen Russland und der Türkei sichtbar. Der türkische Partner Aserbaidschan nennt die Feuerpause „zeitlich befristet“und hält trotz der russischen Initiative am Ziel fest, die Armenier aus Berg-Karabach zu vertreiben. Ankara will gegen den Widerstand Moskaus ein Mitspracherecht im Kaukasus durchsetzen.
In zehnstündigen Gesprächen in Moskau hatte die russische Regierung in der Nacht zum Samstag die verfeindeten Nachbarn Armenien und Aserbaidschan auf die Waffenruhe verpflichtet. In den neuen Kämpfen um Berg-Karabach – eine armenische Enklave auf aserbaidschanischem Boden – sind seit dem 27. September mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen. Russland, die traditionelle Ordnungsmacht im Kaukasus, strebt einen Ausgleich zwischen Armeniern und Aserbaidschanern unter der Kontrolle des Kremls an, doch die politische und militärische
Unterstützung der Türkei für Aserbaidschan hat die Gleichgewichte in der Region verändert. Die Feuerpause war ein Versuch Russlands, die Spannungen zu kontrollieren und die Türkei aus dem Konflikt herauszuhalten. Doch nicht nur die anhaltenden Kämpfe zeigten am Wochenende, dass Moskau sich schwertut. Ein hochrangiger aserbaidschanischer Regierungsvertreter sagte kurz nach Inkrafttreten der Waffenruhe am Samstag vor Journalisten in Istanbul, die „zeitlich begrenzte humanitäre Feuerpause“diene lediglich dazu, Gefangene und die Leichen gefallener Soldaten auszutauschen. Die Kämpfe ganz zu beenden, kommt demnach nicht infrage. Der aserbaidschanische Regierungsvertreter wies den Vorwurf von Armenien, Russland und Frankreich zurück, die Türkei habe Hunderte Milizionäre aus Syrien in den Kaukasus geschickt, um sie auf der Seite Aserbaidschans einzusetzen. Nach armenischen Angaben haben die türkischen Jets in die Kämpfe eingegriffen; Ankara bestreitet das.
Ankara setzt nach wie vor darauf, den türkischen Einfluss im Kaukasus durch militärische Erfolge des Partners Aserbaidschan zu stärken. Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat türkisch-russische Verhandlungen vorgeschlagen, doch Kremlchef Wladimir Putin hält am sogenannten Minsk-Prozess fest, bei dem Russland, Frankreich und die USA die entscheidenden Akteure sind, die Türkei aber nur eine Statistenrolle spielt.