Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Buchkunst neu entdecken und erkunden

Anja Harms und Eberhard Müller-Fries eröffnen ihre Ausstellun­g „Darf man … ?“in der Galerie im Kornhaus

- Von Babette Caesar

LEUTKIRCH - Ein Buch ist schon für sich gesehen eine Skulptur. Blättert man die Seiten zwischen den Buchdeckel­n um, sogar eine bewegliche. Diesem Motto, dass ein Buch mehr ist als ein Buch, folgt das Werk der beiden Künstler Anja Harms und Eberhard Müller-Fries aus Oberursel. „Darf man …?“titelt ihre Ausstellun­g mit Künstlerbü­chern und Buchskulpt­uren, die sie am Freitag in der Galerie im Kornhaus im Rahmen der Baden-Württember­gischen Literaturt­age 2020 eröffnet haben. Im Künstlerge­spräch äußerten sie sich zu ihren Arbeiten.

Darf man oder darf man nicht, ist in dieser Ausstellun­g in der Tat die Frage, die sich den Besuchern stellt. Ist man es gewohnt, nichts in Kunstausst­ellungen berühren zu dürfen, ist man nun geradezu aufgeforde­rt, einzelne besonders markierte Künstlerbü­cher durchzublä­ttern. „Ja, man darf“ist dort neben sogenannte­n Ansichtsex­emplaren zu lesen, die schon einige Ausstellun­gen bespielt haben.

Dass es oft heißt, Anja Harms mit Studium an der Hochschule für Gestaltung Offenbach sei die Buchkünstl­erin und Eberhard MüllerFrie­s

mit Studium an der Werkkunsts­chule Wiesbaden sei der Bildhauer, stimme so nicht. Das stellen sie gleich zu Beginn klar. Beide bewegen sich auf beiden Gebieten, sodass sich angesichts von Werken wie der Buchskulpt­ur „Auf der Klippe“nie genau sagen lässt, wer was gefertigt hat.

Ein langes gebogenes Rundholz zieht sich quer durch ein schwarzes, aufrecht stehendes Leporello. Was eben noch statisch erscheint, verwandelt sich im Nu zu einer bewegliche­n Skulptur, sobald Müller-Fries das Holz herauszieh­t, das Leporello zusammenkl­appt und flach legt, um so die aufgedruck­ten Gedichtzei­len von Paul Celan blätternd zu lesen. Überrasche­nd, neu und ungewohnt ist das, was das Künstlerdu­o auf zwei Ausstellun­gsebenen installier­t hat.

„Wer Buchkunst hört, der denkt an bibliophil­e Kostbarkei­ten. Das ist hier jetzt der radikale Kontrast zu Taschenbüc­hern und Massenware“, eröffnete Karl-Anton Maucher das Künstlerge­spräch, in dem Harms und Müller-Fries auf ihre jeweiligen Anfänge zurückblic­kten. Ihr gemeinsame­s Ziel ist, Dinge zu tun, die sich im Bereich Buch wiederfind­en.

Eines davon, was die Ausstellun­g besonders schön zeigt, ist dem Buch noch mehr Dreidimens­ionalität zu verleihen. Wie im Falle der raumfüllen­den Installati­on „Aus dem Meer“aus dem Kalevala-Projekt, gewidmet dem finnischen Epos des Elias Lönnrot. Oder übergroße Buchseiten, die in hölzernen Kokons sichtbar werden, versehen mit Textzeilen Friedrich Hölderlins.

Ebenfalls installati­v, nur in gänzlich anderer Ausführung, begegnen den Besuchern von der Decke abgehängte, über dem Boden schwebende Künstlerbü­cher. Hier darf man in ausgewählt­en Exemplaren blättern und stößt neben grafischen, teilweise collagiert­en bildlichen Darstellun­gen wie „Verwirrte Engel“auf Lyrisches von Hans Arp. Auf Hugo Ball, Johannes Bobrowski, Joachim Ringelnatz´ „Kleines Bestiarium“oder Günther Eichs „Verwehende­s Nichts“. Nicht zum Selberblät­tern ist Müller-Fries´ Unikat „Jupiter“mit Texten von Ernst Jandl. Engmaschig gezeichnet­e Strukturen ergießen sich rhythmisch über die Blattseite­n und machen den direkten Bezug zu Jandls besonderer Sprachwelt spürbar. Die Textvorlag­e für ein Künstlerbu­ch ist entscheide­nd. Sie müsse etwas auslösen, eine Seite zum Klingen bringen, erklärte Harms den Entstehung­sprozess, dessen Umsetzung viel Zeit beanspruch­e. Hierbei geht es nicht um Gestalteri­sches, sondern um bildende Kunst.

Das widerspieg­elt die Ausstellun­g, für die die Besucher ebenfalls Zeit mitbringen sollten. Um Werke, die ihre Wandelbark­eit nicht sofort zu erkennen geben, zu entdecken und zu erkunden. Ist dies doch eine einmalige Gelegenhei­t, Kunst berühren zu dürfen.

Die Ausstellun­g dauert bis 14. November.

Sie ist montags von 9 bis 18 Uhr, mittwochs und freitags von 14 bis 18 Uhr, donnerstag­s von 10 bis 12 und 14 bis 19 Uhr, samstags von 10 bis 12 Uhr geöffnet.

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FOTO: BABETTE CAESAR Überrasche­nd, neu und ungewohnt ist das, was das Künstlerdu­o Anja Harms und Eberhard Müller-Fries in der Galerie im Kornhaus auf zwei Ausstellun­gsebenen installier­t hat.

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