Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Apotheken geht der Grippeimpfstoff aus
Vakzine sind in einigen Ravensburger Apotheken bereits ausverkauft
RAVENSBURG - Offenbar wird in einigen Ravensburger Apotheken schon der Grippeimpfstoff knapp. Obwohl die Erkältungssaison gerade erst begonnen hat und angeblich in Deutschland 26 Millionen Dosen Impfstoff zur Verfügung stehen, führen manche die von Ärzten verschriebenen Impfstoffe Vaxigrip Tetra und Influvac Tetra derzeit nicht. Das hat ein 71-jähriger Ravensburger am eigenen Leib erfahren.
Frank Herziger ist 71 Jahre alt und wollte dem Aufruf zahlreicher Gesundheitsexperten folgen, sich gegen Grippe impfen zu lassen. Der Appell an die Bevölkerung, vor allem an pflegerisches und medizinisches Personal sowie an die Risikogruppen, zu denen Menschen ab 60 Jahren und chronisch Kranke gehören, macht im Coronawinter 2020/2021 noch mehr Sinn als sonst schon: Dadurch werden gefährliche Doppelinfektionen mit Covid-19 und Influenza vermieden, zudem wird die Unterscheidung bei Erkältungssymptomen leichter, wenn die Diagnose „Grippe“wegen der Impfung schon so gut wie ausgeschlossen werden kann. Überdies ist auch die echte Grippe keine schöne Krankheit: Im Gegensatz zu harmloseren grippalen Infekten sind die Patienten meist zwei Wochen lang schwer krank, oft mit hohem Fieber, starken Kopf- und Gliederschmerzen, und im besonders schweren Grippewinter 2017/ 2018 starben sogar deutschlandweit nachweislich 1674 Menschen an (oder mit) Influenza. Bei weitem nicht so viele wie an Covid-19, aber eine signifikante Zahl.
Doch Frank Herziger ist Privatpatient. Und das kann im Falle der Grippeschutzimpfungen ausnahmsweise ein Nachteil sein: Während gesetzlich Versicherte den Impfstoff über ihre Hausärzte bekommen, müssen Privatpatienten ihn auf Rezept selbst in der Apotheke abholen und dann (gekühlt) zum Arzt bringen oder in die entsprechende Praxis liefern lassen. Dabei erlebte der frühere Sprachtherapeut eine Odyssee, die er der „Schwäbischen Zeitung“schilderte:
„Da derzeit immer wieder zur Grippeschutzimpfung aufgefordert wird, ging ich letzte Woche in meine Hausarztpraxis. Dort sagte man mir, ich solle einfach morgens nach 10 Uhr vorbei kommen und würde dann geimpft werden. Zwei Tage später ging ich um 10.30 Uhr in die Praxis, um mich impfen zu lassen. Ich erhielt den Hinweis, ich müsse erst in die Apotheke gehen und mir dort den Impfstoff holen. Mit einer Verordnung ausgestattet, ging ich in die Apotheke nebenan. Dort sagte man mir, nachdem die Apothekerin im PC nachgeschaut hatte, der verordnete Impfstoff Vaxigrip Tetra 2020/ 2021sei derzeit nicht lieferbar. Frühestens Anfang Dezember 2020 wieder. Ich könne mich jedoch vormerken lassen, was ich dann auch tat.
Da ich mich damit jedoch nicht abfinden wollte, rief ich bei meinem Hausarzt an und fragte, ob es nicht noch einen anderen Impfstoff gebe. Dies wurde mir bestätigt, und so holte ich umgehend eine neue Verordnung für den Impfstoff Influvac Tetra 2020/2021 und ging mit dieser wiederum zur Apotheke. Dort erfuhr ich, dass auch dieser Impfstoff derzeit nicht vom Großhändler geliefert werden könne – frühestens Ende Oktober/Anfang November. Auch das erschien mir eine lange Wartezeit und auch dann noch unsicher, zumal ich mit 71 Jahren auch zur Risikogruppe derer gehöre, denen eine Impfung dringend empfohlen wird. Trotzdem ließ ich mich auch für diesen Impfstoff vormerken.“
Sicherheitshalber fragte er in einer anderen Apotheke in Ravensburg nach, welcher Impfstoff zur Grippeschutzimpfung verfügbar sei. „Der Apotheker erklärte mir, dass er gerade eine Charge erhalten habe, allerdings nur für Kunden, die vorbestellt hätten. Ansonsten gäbe es Lieferengpässe.“
Zudem erfuhr Herziger, dass die Impfdosen für Ärzte nur für Kassenpatienten verfügbar seien. Die Privatpatienten hätte man „anscheinend vergessen“. Es sei sogar zu vermuten, dass nicht einmal bekannt sei, wie viele Privatpatienten es in Deutschland gebe und diese deshalb bei der Verteilung der Impfdosen nicht angemessen berücksichtigt werden könnten. Auch bei einer großen Versandapotheke bekam er telefonisch nur die Auskunft, dass man sich gerade bemühe, Impfstoff aufzutreiben und im Erfolgsfall gerne zurückrufe – was bis heute nicht geschehen ist.
Nach einem Tipp wandte er sich an die Vetter-Apotheke, die offenbar größere Mengen bestellt hat und ihm den Impfstoff doch noch aushändigen konnte. „Aber das war eine unglaubliche Odyssee. Ich kann mir ja ganz gut helfen, aber andere geben wahrscheinlich auf“, sagt Herziger.
„26 Millionen Impfdosen reichen bei einer Bevölkerung von über 80 Millionen eben nicht“, sagt Hans Bürger, Vorsitzender der Kreisärzteschaft Ravensburg. Er hat beobachtet, dass in diesem Herbst aus gegebenem Anlass ungewöhnlich viele Menschen zum ersten Mal eine Grippeschutzimpfung haben wollen. Knapp war der Impfstoff sonst hin und wieder im Januar oder Februar, nicht bereits im Oktober. „Egal ob chronisch krank oder nicht: Jeder, der in dieser Sondersituation der Coronapandemie eine Grippeschutzimpfung haben will, sollte sie auch bekommen“, meint der promovierte Mediziner. Das trage im Zweifelsfall zur Entlastung des Gesundheitssystems bei, wenn sich die Ärzte in Praxen und Krankenhäusern zusätzlich zu Corona nicht auch noch mit Grippekranken beschäftigen müssten. Neben der Impfung appelliert er an die Bevölkerung, die Hygiene- und Abstandsregeln weiterhin penibel einzuhalten: Was vor Covid-19 schützt, verhindere als Nebenwirkung auch andere Erkältungskrankheiten.