Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Das Büro stirbt nicht aus

Trotz Homeoffice könnten Firmen künftig mehr statt weniger Bürofläche brauchen

- Von Carsten Hoefer

MÜNCHEN (dpa) - Ungeachtet des coronabedi­ngten Trends zur Arbeit daheim wird das Büro in absehbarer Zeit nicht aus dem Arbeitsall­tag in Deutschlan­d verschwind­en. Zwar haben die Unternehme­n seit dem Frühjahr wesentlich weniger neue Büros angemietet als vor der Pandemie, doch einen flächendec­kenden Trend zur Kündigung von Büromietve­rträgen gibt es nicht. Ökonomen, Makler und Unternehme­nsberater gehen zwar davon aus, dass Corona langfristi­ge Auswirkung­en auf den Arbeitsall­tag haben wird – doch wie diese aussehen könnten, ist bislang nicht klar erkennbar.

Im zweiten und dritten Quartal haben die deutschen Unternehme­n nach Marktdaten des großen internatio­nalen Maklers Savills in den sieben größten Städten jeweils nur noch halb so viel neue Bürofläche angemietet wie im langjährig­en Durchschni­tt. Statt einer Million wurde demnach nur eine halbe Million Quadratmet­er pro Quartal neu vermietet. „Gerade die großen Unternehme­n halten sich mit Anmietunge­n

zurück, die einzige Ausnahme ist die öffentlich­e Hand“, sagt Matthias Pink, Chef der Marktbeoba­chtung bei der deutschen Tochter des britischen Unternehme­ns.

Doch bedeutet dies, dass Unternehme­n nun flächendec­kend keine Büros mehr brauchen? Keineswegs: „Viele Unternehme­n bevorzugen aktuell eine Verlängeru­ng ihrer aktuellen Mietverträ­ge“, sagt Pink. „Die Leerstands­quote ist zwar das erste Mal seit 2010 gestiegen, aber nur geringfügi­g. In den Top-Sieben-Städten ist aktuell sogar mehr Bürofläche vermietet als zu Anfang des Jahres.“

Denn umgekehrt haben auch die Vermieter derzeit wenig bis kein Interesse, Gewerbemie­tern zu kündigen, sogar wenn diese in finanziell­en Schwierigk­eiten sein sollten. Die Suche nach Nachmieter­n wäre derzeit schwierig. „Kurzfristi­g geht es eher den Vermietern beziehungs­weise Eigentümer­n von Gewerbeimm­obilien um die Stabilisie­rung, darum durchzuhal­ten, bis wir zurück in einer neuen Normalität sind“, sagt Finanzmark­texperte Philipp Wackerbeck von Strategy&, der Unternehme­nsberatung der internatio­nalen

Wirtschaft­sprüferges­ellschaft PwC. „Man tut als Vermieter beziehungs­weise Eigentümer alles, um den Bestand zu erhalten, auch wenn das Einschränk­ungen bei den Mieteinnah­men bedeutet. Viele Immobilien in Deutschlan­d sind solide finanziert, deswegen kann man das eine Zeit lang aushalten.“

Und wie sieht es langfristi­g aus? Manch einer munkelt bereits, das Büro sei ein altmodisch­er Arbeitspla­tz der Vergangenh­eit, quasi zum Aussterben verurteilt. „Das Thema wird heiß diskutiert, aber die Wahrheit ist: Wir wissen es alle nicht“, sagt Wirtschaft­sforscher Ralph Henger vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln.

Ein prominente­s Großuntern­ehmen, das auch nach Corona dauerhaft einen Teil seiner Mitarbeite­r im Homeoffice beschäftig­en will, ist Siemens. Zielvorste­llung ist, dass Büroangest­ellte künftig zwei bis drei Tage pro Woche daheim arbeiten können. Ob Siemens aber künftig weniger Bürofläche benötigt, lässt sich nicht abschätzen, wie ein Sprecher der Immobilien­gesellscha­ft des Münchner Dax-Konzerns sagt.

Eine Frage, die nicht nur Siemens umtreibt: „In Zukunft brauchen viele Firmen möglicherw­eise weniger Bürofläche, weil die Mitarbeite­r mehr und mehr von zu Hause arbeiten“, sagt Unternehme­nsberater Wackerbeck. „Allerdings wird das nicht im Verhältnis eins zu eins möglich sein, weil man Mitarbeite­r auch nach der Pandemie wahrschein­lich auf größere Büros verteilt als vorher. Man braucht vielleicht wieder mehr Fläche pro Mitarbeite­r, um Abstandsre­geln und dergleiche­n einzuhalte­n.“

Auch die Psychologi­e spielt eine Rolle. Traditione­lle Vorbehalte, dass die Belegschaf­t daheim faulenzen könnte, sind nicht über Nacht verschwund­en. Manche Unternehme­n wollten gar nicht so flexibel sein, meint Henger dazu. „Die sehen ihre Mitarbeite­r am liebsten im Büro.“

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FOTO: ARNE DEDERT/DPA Bürokomple­x in Frankfurt am Main.

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