Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Augenarzt operierte trotz Schlaganfalls: Bewährungsstrafe
60-Jähriger hatte Patienten nicht über seine gesundheitlichen Probleme aufgeklärt – Zwei Frauen erblindeten sogar
KEMPTEN - Wegen fahrlässiger Körperverletzung in neun Fällen hat das Kemptener Landgericht einen 60 Jahre alten Augenarzt aus dem Allgäu zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Als Auflage muss der Mann zudem insgesamt 50 000 Euro an verschiedene gemeinnützige Organisationen zahlen.
Der Mediziner, der jetzt nicht mehr als Arzt tätig ist, hatte 2009 einen Schlaganfall erlitten, wodurch seine Feinmotorik auf der rechten Seite deutlich eingeschränkt war. Dennoch operierte der niedergelassene Mediziner ab 2011 wieder Patienten am Grauen Star. Solche Eingriffe setzen beim Operateur größte Präzision voraus. Bei mehreren Eingriffen traten teils erhebliche Komplikationen auf. Zwei Patienten erblindeten sogar auf einem Auge nach missglückten Operationen. Bei den Geschädigten handelte es sich um ältere Menschen, die meist schon über 70 Jahre alt waren und sich wegen Problemen mit den Augen in Behandlung begeben hatten.
In dem jetzigen Berufungsverfahren stand im Mittelpunkt die Frage, ob der angeklagte Augenarzt die Patienten zuvor über seine gesundheitlichen Probleme hätte aufklären müssen. Damit zusammenhängend stellte sich die Frage: War dem Angeklagten bewusst, dass er durch die Folgen des Schlaganfalls in der Motorik stark eingeschränkt war? Davon hängt ab, ob der Augenarzt seinerzeit vorsätzlich oder fahrlässig handelte.
In erster Instanz war der Mann vom Amtsgericht Kempten zu drei
Jahren Haft wegen gefährlicher und schwerer Körperverletzung verurteilt worden. Gegen dieses Urteil waren er und auch die Staatsanwaltschaft in Berufung gegangen. Deswegen wurde der Fall jetzt vor der dritten Strafkammer des Kemptener Landgerichts unter Vorsitz von Richter Christian Roch komplett neu aufgerollt. Viele Zeugen wurden erneut vernommen, die Ehefrau des Angeklagten machte jedoch von ihrem Recht Gebrauch, eine Aussage als Zeugin zu verweigern.
Nachdem der Angeklagte 2009 den Schlaganfall erlitten hatte, begann er zwei Jahre später wieder damit, in seiner Praxis Patienten zu operieren. Zunächst ließ er sich von einem befreundeten Augenarzt helfen. Doch schon bald sei auch dieser zur Überzeugung gekommen, dass der jetzt angeklagte Mediziner wieder operieren könne. 2014 bestätigte ihm sogar der Amtsarzt des Landkreises Oberallgäu, dass „keine Anhaltspunkte für körperliche Einschränkungen“bestehen, wurde in der Verhandlung bekannt. Auch habe es andere Augenärzte gegeben, die wussten, dass der Mann weiter operiert. Bedenken hätten sie nicht gehabt. Ganz anders sah das ein Mediziner, der Anzeige erstattete.
Die Landgerichtskammer stellte in der Urteilsbegründung aber auch klar: Es könne und dürfe nicht sein, „dass ein Arzt gravierende eigene
Gesundheitsprobleme seinen Patienten vor einer Operation verschweigt.“Hätte der Arzt die Patienten über ein mögliches Risiko aufgeklärt, hätten sie sich wohl kaum dem Eingriff unterzogen. So aber operierte der Arzt von 2011 bis 2015 nach dem erlittenen Schlaganfall 2943 gesetzlich versicherte Patienten am Grauen Star. Hinzu kommt noch eine unbekannte Zahl von Privatpatienten.
Für die „Verteidigung der Rechtsordnung“sei es in diesem Fall „unerlässlich, dass eine Freiheitsstrafe wegen fahrlässiger Körperverletzung verhängt wird“, erklärte Vorsitzender Richter Roch. Da der Angeklagte aber bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung trat und geständig ist, könne die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Demgegenüber hatte das Amtsgericht Kempten den Mann im Januar 2019 wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt. Im gestrigen Berufungsverfahren forderte die Staatsanwältin drei Jahre und vier Monate Haft wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Der Verteidiger des Mannes hielt eine Geldstrafe für seinen Mandanten für ausreichend. In seinem letzten Wort vor der Urteilsverkündung entschuldigte sich der Angeklagte und zeigte Reue. Den Opfern hatte er bereits eine Wiedergutmachung gezahlt.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Dem Arzt droht zudem weiterer Ärger mit der Justiz: Nach Angaben der Justiz in Kempten laufen noch weitere, umfangreiche Ermittlungen gegen den Mann wegen Operationen, bei denen es zu Komplikationen gekommen war.