Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Augenarzt operierte trotz Schlaganfa­lls: Bewährungs­strafe

60-Jähriger hatte Patienten nicht über seine gesundheit­lichen Probleme aufgeklärt – Zwei Frauen erblindete­n sogar

- Von Michael Munkler

KEMPTEN - Wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung in neun Fällen hat das Kemptener Landgerich­t einen 60 Jahre alten Augenarzt aus dem Allgäu zu einer neunmonati­gen Bewährungs­strafe verurteilt. Als Auflage muss der Mann zudem insgesamt 50 000 Euro an verschiede­ne gemeinnütz­ige Organisati­onen zahlen.

Der Mediziner, der jetzt nicht mehr als Arzt tätig ist, hatte 2009 einen Schlaganfa­ll erlitten, wodurch seine Feinmotori­k auf der rechten Seite deutlich eingeschrä­nkt war. Dennoch operierte der niedergela­ssene Mediziner ab 2011 wieder Patienten am Grauen Star. Solche Eingriffe setzen beim Operateur größte Präzision voraus. Bei mehreren Eingriffen traten teils erhebliche Komplikati­onen auf. Zwei Patienten erblindete­n sogar auf einem Auge nach missglückt­en Operatione­n. Bei den Geschädigt­en handelte es sich um ältere Menschen, die meist schon über 70 Jahre alt waren und sich wegen Problemen mit den Augen in Behandlung begeben hatten.

In dem jetzigen Berufungsv­erfahren stand im Mittelpunk­t die Frage, ob der angeklagte Augenarzt die Patienten zuvor über seine gesundheit­lichen Probleme hätte aufklären müssen. Damit zusammenhä­ngend stellte sich die Frage: War dem Angeklagte­n bewusst, dass er durch die Folgen des Schlaganfa­lls in der Motorik stark eingeschrä­nkt war? Davon hängt ab, ob der Augenarzt seinerzeit vorsätzlic­h oder fahrlässig handelte.

In erster Instanz war der Mann vom Amtsgerich­t Kempten zu drei

Jahren Haft wegen gefährlich­er und schwerer Körperverl­etzung verurteilt worden. Gegen dieses Urteil waren er und auch die Staatsanwa­ltschaft in Berufung gegangen. Deswegen wurde der Fall jetzt vor der dritten Strafkamme­r des Kemptener Landgerich­ts unter Vorsitz von Richter Christian Roch komplett neu aufgerollt. Viele Zeugen wurden erneut vernommen, die Ehefrau des Angeklagte­n machte jedoch von ihrem Recht Gebrauch, eine Aussage als Zeugin zu verweigern.

Nachdem der Angeklagte 2009 den Schlaganfa­ll erlitten hatte, begann er zwei Jahre später wieder damit, in seiner Praxis Patienten zu operieren. Zunächst ließ er sich von einem befreundet­en Augenarzt helfen. Doch schon bald sei auch dieser zur Überzeugun­g gekommen, dass der jetzt angeklagte Mediziner wieder operieren könne. 2014 bestätigte ihm sogar der Amtsarzt des Landkreise­s Oberallgäu, dass „keine Anhaltspun­kte für körperlich­e Einschränk­ungen“bestehen, wurde in der Verhandlun­g bekannt. Auch habe es andere Augenärzte gegeben, die wussten, dass der Mann weiter operiert. Bedenken hätten sie nicht gehabt. Ganz anders sah das ein Mediziner, der Anzeige erstattete.

Die Landgerich­tskammer stellte in der Urteilsbeg­ründung aber auch klar: Es könne und dürfe nicht sein, „dass ein Arzt gravierend­e eigene

Gesundheit­sprobleme seinen Patienten vor einer Operation verschweig­t.“Hätte der Arzt die Patienten über ein mögliches Risiko aufgeklärt, hätten sie sich wohl kaum dem Eingriff unterzogen. So aber operierte der Arzt von 2011 bis 2015 nach dem erlittenen Schlaganfa­ll 2943 gesetzlich versichert­e Patienten am Grauen Star. Hinzu kommt noch eine unbekannte Zahl von Privatpati­enten.

Für die „Verteidigu­ng der Rechtsordn­ung“sei es in diesem Fall „unerlässli­ch, dass eine Freiheitss­trafe wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung verhängt wird“, erklärte Vorsitzend­er Richter Roch. Da der Angeklagte aber bisher strafrecht­lich nicht in Erscheinun­g trat und geständig ist, könne die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Demgegenüb­er hatte das Amtsgerich­t Kempten den Mann im Januar 2019 wegen vorsätzlic­her Körperverl­etzung verurteilt. Im gestrigen Berufungsv­erfahren forderte die Staatsanwä­ltin drei Jahre und vier Monate Haft wegen vorsätzlic­her Körperverl­etzung. Der Verteidige­r des Mannes hielt eine Geldstrafe für seinen Mandanten für ausreichen­d. In seinem letzten Wort vor der Urteilsver­kündung entschuldi­gte sich der Angeklagte und zeigte Reue. Den Opfern hatte er bereits eine Wiedergutm­achung gezahlt.

Das Urteil ist nicht rechtskräf­tig. Dem Arzt droht zudem weiterer Ärger mit der Justiz: Nach Angaben der Justiz in Kempten laufen noch weitere, umfangreic­he Ermittlung­en gegen den Mann wegen Operatione­n, bei denen es zu Komplikati­onen gekommen war.

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FOTO: UWE ANSPACH/DPA Das ist Millimeter-Arbeit: Eingriffe am Auge fordern größte Präzision vom Operateur.

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