Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Ein Schritt zu weniger Autoverkehr in der Wangener Altstadt
Der Gemeinderat forciert Planungen für einen Versuch: Sollen Autos teilweise raus aus Wangens „guter Stube“
WANGEN - Der Wangener Gemeinderat macht sich auf den Weg, einen Schritt in Richtung weniger Autoverkehr in der Altstadt zu wagen. Demnach könnten Pkw und Motorräder aus dem Herzen der Stadt verbannt werden. Dabei geht es um einen möglichen Test – und zwar dann, wenn die Geschäfte zu sind sowie an Wochenenden. Beschlossene Sache ist das zwar noch nicht, allerdings soll die Verwaltung jetzt entsprechende Planungen vorantreiben.
Die angesichts des Themas zu erwartende strittige Debatte entbehrte nicht einer gewissen Dramaturgie. Das war schon zu Beginn hörbar, als Andreas Vochezer (GOL) mit sehr vorsichtigen Worten das Anliegen begründete: „Der Antrag ist ein ganz sanfter, kleiner Schritt, um zu schauen, wie für die Mehrheit eine Verbesserung erreicht werden kann.“Dann nannte er unter anderem Familien, Gäste, Ältere und Gastronomen.
Vochezer bezog sich damit auf ein im Juli vorgelegtes Papier seiner Fraktion. Kurz vor Beginn der Sommerferien war es der GOL bereits einmal darum gegangen, den Individualverkehr aus der Altstadt im
Rahmen eines Versuchs aus der Altstadt abends und am Wochenende herauszunehmen. Anlass war der Corona-Sommer und damit, der gebeutelten Gastronomie in der warmen Jahreszeit bessere Entfaltungsmöglichkeiten einzuräumen. Wegen der zeitlichen Kürze war das Anliegen damals nicht weiter behandelt worden, kam am Montagabend allerdings in Form eines Verwaltungsvorschlags erneut auf die Tische der Räte.
Die Stadt rannte damit nicht nur bei der GOL offene Türen ein. Auch die SPD sprach sich in Person von Fraktionschef Alwin Burth für den Test aus: „Eine autofreie Altstadt ist schon seit Jahren unser Anliegen.“So lasse sich im Sommer die Aufenthaltsqualität verbessern, nachts der Verkehr beruhigen, und er glaubte an die Dankbarkeit Vieler, „wenn die Poser nicht mehr durch die Altstadt fahren“.
Burths Wortwahl fiel somit weitaus deutlicher aus als jene aus Reihen der Urheber des Antrags, der GOL: Denn auch Hannah Rogosch blieb vergleichsweise zurückhaltend, appellierte an den Mut zum Versuch, baute Brücken mit dem Vorschlag, Ziele des Ansinnens gemeinsam zu formulieren und verwahrte sich gegen den Vorwurf, ihre
Fraktion stelle sich gegen den Einzelhandel. Quasi passend dazu ergänzte Ulrich Bauer: „Wir haben ja dazugelernt und wollen nicht alle Autos rausschmeißen.“
Auch die Argumentationen von Jürgen Rölli (SPD) und Reinhold Meindl (Freie Wähler) gingen in Richtung offensichtlich unschlüssiger Ratskollegen: Rölli wünschte sich Gespräche, den Test – „und dann kann man immer noch nein sagen“. Ähnlich Meindl, der darauf verwies, es gehe zunächst ja nur um Planungen.
Zunächst Unentschiedene gab es in der Tat. Daraus machte Hermann Schad (Freie Wähler) keinen Hehl: „Ich bin hin- und hergerissen.“Selbst als er diese Worte sprach, bekannte er, für sich noch keine Entscheidung zum Verwaltungsvorschlag getroffen zu haben. Für den Test sprach aus seiner Sicht das Bild belebter, aber autofreier Innenstädte in Südeuropa. Dagegen Zweifel, dass der Lärm auf diese Weise zu später Stunde geringer werde. Wohl auch vor dem Hintergrund jüngster Debatten um späte Außenbewirtungszeiten einer Neuravensburger Wirtschaft verwies er auf sich dann vermutlich unter freiem Himmel unterhaltende Passanten wie Gäste und mögliche Belastungen für Anwohner.
Ebenfalls nicht grundsätzlich ablehnend äußerte sich Klaus Schliz (FDP). Zwar attestierte er dem Antrag „ein Stück weit Populismus“, hielt Zeitpunkt und Prozedere der Beratungen für falsch und wollte die Verwaltung von Mehrarbeit verschonen. Allerdings sagte er auch: „Ich kann mir das grundsätzlich ganz gut vorstellen.“
Zu diesem Zeitpunkt der Diskussion schälte sich also immer mehr heraus, dass ursprüngliches GOLZiel wie auch Verwaltungsvorschlag an diesem Abend eine Mehrheit finden könnten. Danach hatte es zunächst nicht ausgesehen. Denn die Sprecherinnen von Freien Wählern und und CDU bezogen klare Gegenpositionen. „Wir stehen hinter unseren Geschäftsinhhabern, Ärzten, Alten und Menschen, die mit dem Pkw in die Stadt kommen müssen“, erklärte FW-Fraktionsvorsitzende Ursula Loss. Stattdessen schlug sie ein Verkehrsleitsystem mit Zonen für Kurzzeitparker vor.
Rosi Geyer-Fäßler (CDU) mahnte die „Verantwortung für Gastronomie und Hotellerie“an, bemängelte mögliche Unklarheiten wegen zeitlicher Befristungen des Zufahrtsverbots in die Altstadt und zitierte kritische Stimmen seitens der Geschäftsleute: Noch auf dem Weg zur
Sitzung in der Stadthalle habe ihr jemand gesagt: Wenn der Vorschlag durchgehe, sei dies „der Todesstoß“für den Handel.
Die Kritik nahm OB Michael Lang auf: Wie schon bei der Einwohnerversammlung eine Woche zuvor sprach er von einem „Bündel“ablehnender Schreiben, das ihn nach dem GOL-Vorstoß im Juli erreicht habe – und er konnte deren Inhalt grundsätzlich nachvollziehen: „Ich verstehe alle, die Sorge haben, etwas zu verlieren.“Mit einer rhetorischen Wende und einem Plädoyer für den eigenen Vorschlag setzte der Rathauschef dann aber den Höhepunkt in der Beratungsdramaturgie: Es gehe zum jetzigen Zeitpunkt nur um die „Weiterverfolgung“des Themas, es zu „planen“(siehe Kasten zum Beschluss) – und machte dann sein eigentlich hinter der Vorlage steckendes Ziel deutlich: die Weiterentwicklung der Innenstadt.
Diese ist gemäß seiner Worte bei der Einwohnerversammlung angesichts des sich beschleunigenden Wandels deutscher Stadtkerne auch in Wangen nötig. Sie erleben zu können, bilde den eigentlichen Mehrwert gegenüber dem wachsenden Online-Handel. Deshalb werbe er dafür, „mal etwas auszuprobieren“:
Vertretern der Geschäftswelt hielt er am Montagabend vor: „Bei Gesprächen kommt immer zuerst: Wir brauchen mehr Parkplätze – aber damit kommt man an dieser Stelle nicht weiter.“Um kurz darauf zu ergänzen: „Das Schlechteste ist zu zeigen, wir brauchen keine Veränderung – für ein paar Parkplätze mehr.“
Michael Lang traf damit offensichtlich den Nerv der meisten Stadträte. Zumal er auch noch das Angebot machte, den Test auf Wochenenden zu beschränken, dazu ein Programm anzubieten und es in den Abend- und Nachtstunden bei den bisherigen Regelungen zu belassen. Denn am Ende fand der auf dem GOL-Antrag vom Juli aufbauende Verwaltungsvorschlag eine letztlich überraschend klare Mehrheit: 20 Stadtparlamentarier stimmten dafür. Neben den Vertretern von GOL und SPD zählte dazu eine ganze Reihe von FW-Räten. Lediglich acht Stimmberechtigte waren dagegen.
Dass die Rede des OB die mögliche Wende gebracht hatte, ließ GOL-Fraktionschef Tilman Schauwecker kurze Zeit später bei einem anderen Beratungspunkt durchblicken: „Herr Lang, ich glaube, Sie haben der Stadt etwas Gutes getan.“