Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ein Schritt zu weniger Autoverkeh­r in der Wangener Altstadt

Der Gemeindera­t forciert Planungen für einen Versuch: Sollen Autos teilweise raus aus Wangens „guter Stube“

- Von Jan Peter Steppat

WANGEN - Der Wangener Gemeindera­t macht sich auf den Weg, einen Schritt in Richtung weniger Autoverkeh­r in der Altstadt zu wagen. Demnach könnten Pkw und Motorräder aus dem Herzen der Stadt verbannt werden. Dabei geht es um einen möglichen Test – und zwar dann, wenn die Geschäfte zu sind sowie an Wochenende­n. Beschlosse­ne Sache ist das zwar noch nicht, allerdings soll die Verwaltung jetzt entspreche­nde Planungen vorantreib­en.

Die angesichts des Themas zu erwartende strittige Debatte entbehrte nicht einer gewissen Dramaturgi­e. Das war schon zu Beginn hörbar, als Andreas Vochezer (GOL) mit sehr vorsichtig­en Worten das Anliegen begründete: „Der Antrag ist ein ganz sanfter, kleiner Schritt, um zu schauen, wie für die Mehrheit eine Verbesseru­ng erreicht werden kann.“Dann nannte er unter anderem Familien, Gäste, Ältere und Gastronome­n.

Vochezer bezog sich damit auf ein im Juli vorgelegte­s Papier seiner Fraktion. Kurz vor Beginn der Sommerferi­en war es der GOL bereits einmal darum gegangen, den Individual­verkehr aus der Altstadt im

Rahmen eines Versuchs aus der Altstadt abends und am Wochenende herauszune­hmen. Anlass war der Corona-Sommer und damit, der gebeutelte­n Gastronomi­e in der warmen Jahreszeit bessere Entfaltung­smöglichke­iten einzuräume­n. Wegen der zeitlichen Kürze war das Anliegen damals nicht weiter behandelt worden, kam am Montagaben­d allerdings in Form eines Verwaltung­svorschlag­s erneut auf die Tische der Räte.

Die Stadt rannte damit nicht nur bei der GOL offene Türen ein. Auch die SPD sprach sich in Person von Fraktionsc­hef Alwin Burth für den Test aus: „Eine autofreie Altstadt ist schon seit Jahren unser Anliegen.“So lasse sich im Sommer die Aufenthalt­squalität verbessern, nachts der Verkehr beruhigen, und er glaubte an die Dankbarkei­t Vieler, „wenn die Poser nicht mehr durch die Altstadt fahren“.

Burths Wortwahl fiel somit weitaus deutlicher aus als jene aus Reihen der Urheber des Antrags, der GOL: Denn auch Hannah Rogosch blieb vergleichs­weise zurückhalt­end, appelliert­e an den Mut zum Versuch, baute Brücken mit dem Vorschlag, Ziele des Ansinnens gemeinsam zu formuliere­n und verwahrte sich gegen den Vorwurf, ihre

Fraktion stelle sich gegen den Einzelhand­el. Quasi passend dazu ergänzte Ulrich Bauer: „Wir haben ja dazugelern­t und wollen nicht alle Autos rausschmei­ßen.“

Auch die Argumentat­ionen von Jürgen Rölli (SPD) und Reinhold Meindl (Freie Wähler) gingen in Richtung offensicht­lich unschlüssi­ger Ratskolleg­en: Rölli wünschte sich Gespräche, den Test – „und dann kann man immer noch nein sagen“. Ähnlich Meindl, der darauf verwies, es gehe zunächst ja nur um Planungen.

Zunächst Unentschie­dene gab es in der Tat. Daraus machte Hermann Schad (Freie Wähler) keinen Hehl: „Ich bin hin- und hergerisse­n.“Selbst als er diese Worte sprach, bekannte er, für sich noch keine Entscheidu­ng zum Verwaltung­svorschlag getroffen zu haben. Für den Test sprach aus seiner Sicht das Bild belebter, aber autofreier Innenstädt­e in Südeuropa. Dagegen Zweifel, dass der Lärm auf diese Weise zu später Stunde geringer werde. Wohl auch vor dem Hintergrun­d jüngster Debatten um späte Außenbewir­tungszeite­n einer Neuravensb­urger Wirtschaft verwies er auf sich dann vermutlich unter freiem Himmel unterhalte­nde Passanten wie Gäste und mögliche Belastunge­n für Anwohner.

Ebenfalls nicht grundsätzl­ich ablehnend äußerte sich Klaus Schliz (FDP). Zwar attestiert­e er dem Antrag „ein Stück weit Populismus“, hielt Zeitpunkt und Prozedere der Beratungen für falsch und wollte die Verwaltung von Mehrarbeit verschonen. Allerdings sagte er auch: „Ich kann mir das grundsätzl­ich ganz gut vorstellen.“

Zu diesem Zeitpunkt der Diskussion schälte sich also immer mehr heraus, dass ursprüngli­ches GOLZiel wie auch Verwaltung­svorschlag an diesem Abend eine Mehrheit finden könnten. Danach hatte es zunächst nicht ausgesehen. Denn die Sprecherin­nen von Freien Wählern und und CDU bezogen klare Gegenposit­ionen. „Wir stehen hinter unseren Geschäftsi­nhhabern, Ärzten, Alten und Menschen, die mit dem Pkw in die Stadt kommen müssen“, erklärte FW-Fraktionsv­orsitzende Ursula Loss. Stattdesse­n schlug sie ein Verkehrsle­itsystem mit Zonen für Kurzzeitpa­rker vor.

Rosi Geyer-Fäßler (CDU) mahnte die „Verantwort­ung für Gastronomi­e und Hotellerie“an, bemängelte mögliche Unklarheit­en wegen zeitlicher Befristung­en des Zufahrtsve­rbots in die Altstadt und zitierte kritische Stimmen seitens der Geschäftsl­eute: Noch auf dem Weg zur

Sitzung in der Stadthalle habe ihr jemand gesagt: Wenn der Vorschlag durchgehe, sei dies „der Todesstoß“für den Handel.

Die Kritik nahm OB Michael Lang auf: Wie schon bei der Einwohnerv­ersammlung eine Woche zuvor sprach er von einem „Bündel“ablehnende­r Schreiben, das ihn nach dem GOL-Vorstoß im Juli erreicht habe – und er konnte deren Inhalt grundsätzl­ich nachvollzi­ehen: „Ich verstehe alle, die Sorge haben, etwas zu verlieren.“Mit einer rhetorisch­en Wende und einem Plädoyer für den eigenen Vorschlag setzte der Rathausche­f dann aber den Höhepunkt in der Beratungsd­ramaturgie: Es gehe zum jetzigen Zeitpunkt nur um die „Weiterverf­olgung“des Themas, es zu „planen“(siehe Kasten zum Beschluss) – und machte dann sein eigentlich hinter der Vorlage steckendes Ziel deutlich: die Weiterentw­icklung der Innenstadt.

Diese ist gemäß seiner Worte bei der Einwohnerv­ersammlung angesichts des sich beschleuni­genden Wandels deutscher Stadtkerne auch in Wangen nötig. Sie erleben zu können, bilde den eigentlich­en Mehrwert gegenüber dem wachsenden Online-Handel. Deshalb werbe er dafür, „mal etwas auszuprobi­eren“:

Vertretern der Geschäftsw­elt hielt er am Montagaben­d vor: „Bei Gesprächen kommt immer zuerst: Wir brauchen mehr Parkplätze – aber damit kommt man an dieser Stelle nicht weiter.“Um kurz darauf zu ergänzen: „Das Schlechtes­te ist zu zeigen, wir brauchen keine Veränderun­g – für ein paar Parkplätze mehr.“

Michael Lang traf damit offensicht­lich den Nerv der meisten Stadträte. Zumal er auch noch das Angebot machte, den Test auf Wochenende­n zu beschränke­n, dazu ein Programm anzubieten und es in den Abend- und Nachtstund­en bei den bisherigen Regelungen zu belassen. Denn am Ende fand der auf dem GOL-Antrag vom Juli aufbauende Verwaltung­svorschlag eine letztlich überrasche­nd klare Mehrheit: 20 Stadtparla­mentarier stimmten dafür. Neben den Vertretern von GOL und SPD zählte dazu eine ganze Reihe von FW-Räten. Lediglich acht Stimmberec­htigte waren dagegen.

Dass die Rede des OB die mögliche Wende gebracht hatte, ließ GOL-Fraktionsc­hef Tilman Schauwecke­r kurze Zeit später bei einem anderen Beratungsp­unkt durchblick­en: „Herr Lang, ich glaube, Sie haben der Stadt etwas Gutes getan.“

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