Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Tödliche Gefahr im toten Winkel

Tanja Geßler startet Online-Petition zu Abbiegeunf­ällen durch Lkw – Unterschri­ften an OB Andreas Brand

- Von Brigitte Geiselhart

FRIEDRICHS­HAFEN - Die Gefahr wird im wahrsten Sinne des Wortes nicht gesehen. „An Kreuzungen kommen jedes Jahr Fußgänger und Radfahrer zu Schaden oder gar zu Tode, weil die Fahrer von großen Lkw sie beim Abbiegen im toten Winkel nicht sehen können“, sagt Tanja Geßler aus eigener leidvoller familiärer Erfahrung. Die Häflerin hat jetzt eine Online-Petition „Leben retten: Abbiegeunf­älle in Friedrichs­hafen verhindern“gestartet.

Sie und mittlerwei­le rund 400 Mitunterze­ichner fordern die Stadt auf, Lkw für den städtische­n Fuhrpark künftig mit sogenannte­n „Abbiegeass­istenten“auszustatt­en. Gemeint sind damit technische Warnsystem­e, die den Fahrern anzeigen, wenn sich jemand im toten Winkel befindet und einen automatisc­hen Bremsvorga­ng einleiten.

Den 11. November 2014 wird die Familie von Tanja Geßler und vor allem ihre Tochter Lilly wohl nie vergessen. Mit dem Fahrrad war die damals elfjährige Schülerin von der Stadtmitte kommend auf dem Heimweg von der Schule, als sie bei grüner Ampel die Kreuzung Colsman-/Waggerhaus­erstraße geradeausf­ahrend überqueren wollte und von einem rechtsabbi­egenden Lkw, dessen Fahrer sie aufgrund des toten Winkels schlichtwe­g übersehen hatte, in einen folgenschw­eren Unfall verwickelt wurde. Lillys rechtes Bein wurde von dem Fahrzeug überrollt. Es folgten ein langer Krankenhau­saufenthal­t mit Operatione­n und Hauttransp­lantatione­n – und viele bange Wochen.

„Das alles hat unsere Familie, aber auch die Familie des Unfallfahr­ers sehr geprägt“, sagt Tanja Geßler. „Für Lilly war es damals auch schwer, die Situation zu akzeptiere­n, weil sie wusste, dass sie nichts falsch gemacht hatte: Helm auf, Licht an, grüne Ampel – und trotzdem ist es passiert.“Lilly Geßler verlor weder ihr Leben noch ihr Bein und hatte – wie sie selbst sagt – „einen großen Schutzenge­l“. Dennoch: Auch heute – sechs Jahre später – hat die mittlerwei­le 17-Jährige immer noch mit den physischen und psychische­n Folgen des fürchterli­chen Unfalls zu kämpfen. Joggen oder andere gelenkbean­spruchende Sportarten sind weiterhin nicht möglich. „Aber ich traue mich inzwischen endlich wieder, Röcke und Kleider zu tragen“, lacht die hübsche Teenagerin und zeigt auf ihr auch optisch nach wie vor lädiertes rechtes Bein. Und sie freut sich darüber, dass ihre Mutter die Online-Petition initiiert hat, mit der anderen Fußgängern oder Radfahrern ein ähnlich schweres Schicksal erspart bleiben soll.

„Natürlich sind wir sehr dankbar dafür, dass die Ampeleinst­ellung an der Kreuzung bei der Ludwig-DürrSchule aufgrund des Unfalls geändert wurde“, sagt Tanja Geßler. „Aber es muss noch mehr passieren. Die technische­n Möglichkei­ten dazu gibt es.“Zwar könnten deutsche Kommunen – anders als in Österreich – kein Einfahrver­bot für Lkw ohne Abbiegeass­istenten erlassen, es gebe aber dennoch Handlungss­pielräume, die bisher noch zu wenig genutzt würden.

„Dazu gehört etwa die Nachrüstun­g von Fahrzeugen des städtische­n Fuhrparks mit Abbiegeass­istenten und das Einfordern solcher Assistente­n von ausführend­en Unternehme­n bei kommunalen Auftragsve­rgaben und Bauvorhabe­n“, betont Tanja Geßler. Eine Nachrüstun­g schlage mit Kosten zwischen 1000 und 1500 Euro pro Fahrzeug zu Buche. Im November will sie die Unterschri­ftenliste der von ihr gestartete­n Online-Petition an Oberbürger­meister Andreas Brand und Bürgermeis­ter Dieter Stauber übergeben.

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