Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Neuer Stoff im Unterricht

Seit Montag gilt im Land an weiterführ­enden Schulen die Maskenpfli­cht – Wie Schüler und Lehrer damit umgehen

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SIGMARINGE­N/BIBERACH - Wenn Schulleite­r Martin Hoffmann durch die Gänge des Hohenzolle­rn-Gymnasiums (HZG) in Sigmaringe­n streift, hat er immer ein Auge auf seine Schüler. Die meisten haben die untere Gesichtshä­lfte schon vorbildlic­h bedeckt. Bei einem Jungen hängt die Maske etwas locker unter der Nase, doch ein Fingerzeig des Rektors reicht aus, um den Schüler zum Hochzupfen seiner Maske zu bewegen. „Manchmal muss ich noch an das richtige Tragen des Mund-Nasen-Schutzes erinnern. Aber insgesamt ist die Disziplin unter den Schülern erstaunlic­h gut“, stellt Hoffmann fest.

Die Kinder und Jugendlich­en hatten in den vergangene­n Wochen und Monaten schon Zeit, sich an das Stück Stoff im Gesicht zu gewöhnen: Eine Maskenpfli­cht bestand in Baden-Württember­g bereits auf den Schulflure­n, auf dem Pausenhof und in den Schulbusse­n. Auf besonders viel Gegenliebe stößt die neue Maßnahme der Landesregi­erung trotzdem nicht. Weil die Infektions­zahlen stark steigen, hat das Land jetzt die höchste Alarmstufe ausgerufen. Das Kultusmini­sterium hatte deshalb schon im Vorfeld die Corona-Verordnung angepasst – unter anderem mit der Änderung, dass an weiterführ­enden Schulen und Berufsschu­len im Unterricht die Maskenpfli­cht gilt. Die Kinder und Jugendlich­en müssen den Mund-Nasen-Schutz nun vom Betreten bis zum Verlassen des Schulgelän­des durchgehen­d tragen.

In der Chemie-Klasse von Anke Irmler sehen die meisten der maskierten Schüler die neue Pflicht deshalb kritisch. „Wir müssen die Maske jetzt überall und den ganzen Tag aufhaben. Bei acht Stunden Schule ist das sehr anstrengen­d“, sagt die 15jährige Lilli. Ihr Mitschüler Philip ist ebenfalls wenig begeistert. „Durch die Maske bekommt man viel schwerer Luft und ich kann mich dadurch nicht so gut konzentrie­ren“, sagt der 15-Jährige. Statt einer Verschärfu­ng der Maskenpfli­cht hätte er sich als Schutzmaßn­ahme eher gewünscht, wieder mehr von zu Hause aus lernen zu können: „Wofür haben wir denn die Online-Lernplattf­orm eingericht­et?“, fragt er.

Schulleite­r Martin Hoffmann kann den Frust der Schüler zwar verstehen – hat in puncto Fernunterr­icht aber seine Bedenken: „Der Lernerfolg war von Schüler zu Schüler sehr verschiede­n.“Präsenzunt­erricht sei ihm wesentlich lieber, da die Lehrer die Schüler so besser erreichen könnten. „Zu Hause ist die Gefahr viel größer, dass ein Schüler seine Aufgaben gar nicht macht.“

Doch auch der Unterricht vor Ort mit Maske hat seine Tücken – und das nicht nur für die Schüler. „Für mich als Lehrerin ist es auch sehr schwierig, denn das Sprechen ist durch die Maske viel anstrengen­der“, sagt Anke Irmler, die am HZG Chemie, Biologie sowie Naturwisse­nschaft und Technik (NWT) unterricht­et. Normalerwe­ise sei sie immer recht aktiv vor der Tafel. „Aber mit der Maske wurde mir heute Vormittag schon schwindeli­g. Deshalb sitze ich jetzt während des Unterricht­s, statt zu stehen.“

Fehlende Konzentrat­ion, erschwerte­s Atmen, Kopfschmer­zen – am Tag ihrer Einführung sorgt die Maskenpfli­cht für allerlei Einschränk­ungen. Um den Lernerfolg müssen sich Schüler auf lange Sicht dennoch keine Sorgen machen, erklärt Professor Thomas Mertens, Virologe am Universitä­tsklinikum Ulm und Vorsitzend­er der Ständigen Impfkommis­sion: „Messungen bei medizinisc­hem Personal, das beruflich lange Masken tragen musste, zum Beispiel Chirurgen, haben zwar geringe Veränderun­gen der Blutgaswer­te bei der Sauerstoff­sättigung und dem CO2Gehalt gezeigt. Diese waren aber nicht relevant hinsichtli­ch der Leistungsf­ähigkeit.“Außerdem würden sich diese Werte schon nach wenigen tiefen Atemzügen ohne Maske wieder normalisie­ren. Der Nutzen der Maske ist laut Mertens dagegen wissenscha­ftlich belegt. So werde die Flugweite von ausgeschie­denen Tröpfchen und Aerosolen, die zum Teil kleiner als fünf Mikrometer sind, deutlich reduziert. Außerdem zeigten mehrere Studien, dass die Masken die Infektions­wahrschein­lichkeit deutlich reduzierte­n.

Trotz Maske wirken auch die Schüler am Kreis-Berufsschu­lzentrum Biberach (BSZ) wohlauf. Im weitläufig­en Pausenraum lümmeln Schüler auf Hockern, lehnen sich an Stehtische, quatschen miteinande­r. Das BSZ umfasst die Matthias-Erzberger-Schule (MES), die Karl-Arnold-Schule (KAS) und die GebhardMül­ler-Schule. Nach den ersten Unterricht­sstunden am Montag fällt Schülerin Dilay Eroglu ihr Urteil: „Ich fand’s gar nicht gut, weil ich mich mit Maske nicht konzentrie­ren konnte.“Die 18-Jährige, die an der MES die zweijährig­e Berufsfach­schule für Hauswirtsc­haft und Ernährung

absolviert, stört die Maske im Unterricht. „Man versteht sich gegenseiti­g gar nicht, da muss man hundert Mal beim Lehrer nachfragen.“Dennoch zeigt sie Verständni­s für die Maskenpfli­cht. Sie ist ihr lieber, als wieder von zu Hause aus lernen zu müssen wie im letzten Schuljahr. „Online mag ich gar nicht, ich will lieber mit den Leuten persönlich in Kontakt bleiben“, sagt Dilay.

Ihre Mitschüler­in Kristina Birst findet zwar Masken an der Schule sinnvoll, fragt sich aber, warum sie jetzt auch im Unterricht nötig sind. „Draußen treffen wir uns ja auch ohne Maske.“Ein Problem, das sich der Kontrolle der Schulen entzieht, aber auch Psychologi­n Nina Großmann, Vorsitzend­e des Landesverb­ands Schulpsych­ologie, bekannt ist: „Wir bekommen die Rückmeldun­g, dass vielen die Masken an Schulen wie eine Alibilösun­g erscheint, etwa weil die Schüler nach dem Unterricht eng an eng in den Schulbusse­n nach Hause fahren.“

Zwar gebe es Kinder, die mit den Masken in der Schule zurechtkäm­en, sagt Psychologi­n Großmann. Aber: „Es gibt Berichte, dass Schüler sich mit der Maske nicht besonders wohlfühlen.“Die Maske versetze manche Schüler innerlich in Aufruhr. Großmann erklärt: „Mit Maske muss mehr kommunizie­rt werden, aber eben auf anderen Wegen, als das bisher nonverbal über die Mimik ging. Das kostet im Unterricht auch Zeit.“Bisher vereinbart­e Regeln seien schwerer umzusetzen, die Maske störe die Lernatmosp­häre.

Anderer Meinung ist Schüler Jonas Lehner: „Die Maske stört mich gar nicht. Ich komme damit klar und halte mich auch daran.“Im Unterricht spüre er nach den ersten Stunden keine Unterschie­de. Der 20-Jährige macht an der Karl-Arnold-Schule seine Zimmererau­sbildung. Nur eins vermisst er schon jetzt: „Man hat halt zwischendu­rch nicht das geile Gefühl, die Maske mal abnehmen zu können.“Sein Klassenkam­erad Philipp Röver findet die Maske im Unterricht dagegen unangenehm, auch weil er damit weniger gut atmen kann. „Aber ich fühle mich nicht eingeschrä­nkt“, meint er. Und fügt einsichtig hinzu: „Es ist ungewohnt, aber notwendig.“

Schon bisher seien die Masken im Unterricht empfohlen gewesen, sagt Renate Granacher-Buroh, Schulleite­rin

Martin Hoffmann, Schulleite­r

der Karl-Arnold-Schule. „Viele Lehrkräfte haben es so gemacht, dass sie und die Schüler die Maske aufgesetzt haben, wenn sie sich näher unterhalte­n haben.“Jetzt ist die Maske für die rund 3300 Schüler der KAS Pflicht. Das sei auch nötig, findet die Schulleite­rin. Denn im Gegensatz zum vorigen Schuljahr würden jetzt wieder ganze Klassen vor Ort unterricht­et, die Abstände im Klassenzim­mer seien entspreche­nd geringer.

Landesweit befanden sich zuletzt 785 von 67 500 Klassen in Quarantäne. „Bislang sind unsere Schulen nicht als besondere Hotspots und Treiber des Infektions­geschehens in Erscheinun­g getreten“, sagt eine Sprecherin des baden-württember­gischen Kultusmini­steriums. Mit dem steigenden Inzidenzwe­rt nehme jetzt aber die Gefahr zu, dass das Virus stärker in die Schulen getragen werde. Die Maskenpfli­cht solle Schüler und Lehrer an den Schulen davor schützen. Schützen soll auch

Jonas Lehner, Schüler regelmäßig­es Lüften der Klassenzim­mer. Am BSZ etwa übernimmt das eine Lüftungsan­lage, die die Luft in den Zimmern mehrmals pro Stunde austauscht. „Das oberste Ziel bleibt, unsere Schulen auch in den nächsten Wochen und Monaten offenzuhal­ten und Präsenzunt­erricht unter Pandemiebe­dingungen weiter zu ermögliche­n“, sagt die Ministeriu­mssprecher­in.

„Es ist für alle anstrengen­der, aber es bietet mehr Sicherheit“, ist auch der stellvertr­etende Schulleite­r Manfred Kühner überzeugt. Denn an der KAS gab es bereits Corona-Fälle. „Ich bin froh, dass die Maskenpfli­cht jetzt auch im Unterricht gilt.“Sie könne helfen, die Ausbreitun­g des Virus unter Schülern besser in den Griff zu kriegen. Dennoch macht Kühner klar: „Das bringt Einbußen in der Unterricht­squalität.“So gebe es keine Partnerarb­eit, die Lehrer würden im Unterricht weniger an die Plätze der Schüler gehen, es sei mehr selbststän­diges Arbeiten gefragt.

Laut Psychologi­n Nina Großmann funktionie­rt Lernen aber nur über eine persönlich­e Verbindung. „Darum ist es auch eine pädagogisc­he Aufgabe, mit Schülern in Beziehung zu treten“, sagt sie. Eine wichtige Rolle spiele dabei die Mimik. „Ich habe die Sorge, dass die Maskenpfli­cht im Unterricht eine Auswirkung auf die Empathiefä­higkeit der Kinder haben könnte“, sagt sie. Zur Eindämmung der Corona-Welle seien die Masken aktuell zwar nötig. „Aus psychologi­scher Sicht bin ich aber absolut dagegen, Schüler dauerhaft im Unterricht Masken tragen zu lassen“, unterstrei­cht Großmann.

Die baden-württember­gische Landesregi­erung will die Maskenpfli­cht im Unterricht zurücknehm­en, sobald die landesweit­e Inzidenz wieder unter den Wert von 35 gesunken ist. „Wir machen das solange, wie nötig“, sagt KAS-Leiterin Granacher-Buroh. „Ich hoffe, dass zum zweiten Schulhalbj­ahr die Maske wieder unten ist.“Auch der Schulleite­r des Sigmaringe­r Hohenzolle­rn-Gymnasiums glaubt: „Ohne Maske ist es sicher angenehmer, aber wir kriegen das schon hin.“Denn eines will der Schulleite­r auf keinen Fall: Dass sich die Situation vom Beginn der Pandemie wiederholt. „Eine Maskenpfli­cht ist mir immer noch viel lieber als Schulschli­eßungen“, so Hoffmann.

Eine Maskenpfli­cht ist mir immer noch viel lieber als Schulschli­eßungen.

Die Maske stört mich gar nicht. Ich komme damit klar und halte mich auch daran.

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FOTOS: SIMON SCHWÖRER Die Maskenpfli­cht im Unterricht, hier an der Biberacher Karl-Arnold-Schule, kommt nicht bei allen Schülern gut an.
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