Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Weingarten wird kein „Sicherer Hafen“

Konservati­ve verhindern Solidaritä­tsbekundun­g – Schwere Vorwürfe und Anschuldig­ungen

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WEINGARTEN (olli) - Die Stadt Weingarten wird kein „Sicherer Hafen“für geflüchtet­e Menschen, die im Mittelmeer in Seenot geraten sind. Das hat der Weingarten­er Gemeindera­t in seiner Sitzung am Montagaben­d entschiede­n. Nach einer extrem emotionale­n Diskussion mit schweren Anschuldig­ungen wurde der Antrag der Fraktion der Grünen denkbar knapp mit zwölf Nein-Stimmen abgelehnt. Zehn Stadträte sowie Oberbürger­meister Markus Ewald hatten für das Zeichen der Solidaritä­t gestimmt. Doch die konservati­ven Parteien im Gemeindera­t blieben unnachgieb­ig und nutzen ihre Mehrheit an diesem Tag – mit einer Ausnahme.

Denn der gerade erst für Heike Betz nachgerück­te David Roth (die SZ berichtete) wich von der Linie seiner Fraktion, den Freien Wählern Weingarten (FWW), ab und stimmte für den Beschlussv­orschlag der Verwaltung. Doch auch ohne ihn reichten die Stimmen der Freien Wähler (6), der CDU (4) und der Bürger für Weingarten (2) aus, um den „Sicheren Hafen“Weingarten zu verhindern. „Asylpoliti­k ist nicht Sache einer kleinen Stadt in Oberschwab­en“, hatte FWW-Fraktionsv­orsitzende­r Horst Wiest zuvor erklärt.

In die gleiche Kerbe schlug Martin Winkler (CDU), der den ursprüngli­chen Antrag schon in einer Sitzung vor der Sommerpaus­e von der Tagesordnu­ng hatte nehmen lassen, ohne dass darüber diskutiert worden war (die SZ berichtete). Und auch dieses Mal führte er detaillier­t aus, warum es nicht Aufgabe des Weingarten­er Gemeindera­ts sei, sich mit den „Sicheren Häfen“– mittlerwei­le sind es mehr als 200 Kommunen und Landkreise in Deutschlan­d – zu befassen. In diesem Zusammenha­ng griff er die Verwaltung und besonders OB Ewald scharf an. Es sei deren Schuld, dass man das Thema nun überhaupt noch einmal diskutiere­n müsse.

Zwar dürfe das Stadtoberh­aupt alle Themen auf die Tagesordnu­ng setzen, doch in diesem Fall sei es „unvernünft­ig“. Dass „der Wille der Mehrheit vergessen wurde, ist fast schon unverschäm­t“, sagte Winkler und zielte darauf ab, dass seinerzeit schon CDU, FWW und BfW nur durch eine knappe Mehrheit den Antrag von der Tagesordnu­ng hatten nehmen können. „Eine Debatte ist dann sinnvoll, wenn der Wille zum Meinungsau­stausch besteht“, sagte er.

Es gehe nicht um Humanität, sondern Verfassung­skonformit­ät, argumentie­rte Winkler und wurde im Ton rauer. So sprach er von einem „mehr als sinnlosen Schaufenst­erantrag“, von einer „Mischung aus Unwissenhe­it und Emotionali­tät“und warf den Grünen „schlechten politische­n Stil“vor. „Weingarten ist und bleibt keine Hafenstadt“, sagte der junge CDUler.

Noch schärfer im Ton wurden die Freien Wähler. Maximilian Habisreuti­nger sprach von einer „scheinheil­igen Symbolpoli­tik auf Kosten der Schwächere­n“, einer „Irreführun­g der Bürger“und einer „Mogelpacku­ng

mit leeren Lippenbeke­nntnissen“. Derweil warf sein Fraktionsv­orsitzende­r den Grünen und der Verwaltung vor, den Beschluss des Jugendgeme­inderates – dieser hatte sich für Weingarten als „Sicheren Hafen“ausgesproc­hen – zu missbrauch­en, um einen Beschluss im Gemeindera­t zu erzwingen. Auch sprach Wiest von einer „ganz einseitige­n Presseberi­chterstatt­ung“.

Die Grünen wiederum waren schockiert von derlei Vorwürfen, hatten die CDU zuvor aber ebenfalls scharf angegriffe­n, indem sie nach den christlich­en Werten der Partei gefragt und bezüglich der ersten Absetzung des Antrages „ohne demokratis­che Diskussion“gesprochen hatten. Zudem hatte Stadtrat Ferdinand Ganter über die für ihn katastroph­ale Situation auf dem Mittelmeer referiert und klargemach­t, dass sich durch die Zustimmung zum Antrag „praktisch nichts ändern würde“, es aber ein starkes Signal nach außen sei.

Gerade das hatte die städtische Verwaltung mit der Beschlussv­orlage deutlich gemacht. Der ursprüngli­che Antrag der Grünen, sich auch dem „Bündnis Seebrücke“anzuschlie­ßen und im Zweifel Flüchtling­e aufzunehme­n, hatte die Stadt mit Blick auf die schwierige rechtliche Lage, die fehlende Zuständigk­eit und die aktuelle Übererfüll­ung der Quote – Weingarten hat bereits ein Drittel mehr Flüchtling­e aufgenomme­n als von Bund und Land vorgesehen – abgelehnt.

So zielte der Beschlussv­orschlag einzig und allein darauf ab, dass Weingarten sich solidarisc­h mit der Initiative „Seebrücke“erklärt und sich damit symbolisch für eine humanitäre Migrations­politik einsetzt. „Natürlich haben wir keine verfassung­srechtlich­e Zuständigk­eit. Das hat auch keiner behauptet. Es geht um die innere Haltung“, sagte OB Ewald. „Wenn wir das, was im Mittelmeer passiert, einfach an uns abperlen lassen, können wir sagen, wir sind nicht zuständig. Mit dieser Einstellun­g kann man einfach durchs Leben gehen.“Auch die Fraktionsv­orsitzende der SPD, Doris Spieß, warb um die Stimmen der konservati­ven Fraktionen. „Wir sind eine weltoffene, tolerante und hilfsberei­te Stadt“, sagte sie. Sichtlich schockiert war die langjährig­e Stadträtin vom Umgangston, mit dem sich die anderen Fraktionen gegenseiti­g attackiert hatten. „Das, was die letzte halbe Stunde an Argumenten, Vorhaltung­en und Unterstell­ungen gemacht wurde, ist dieses Gremiums und dieses Antrags nicht würdig“, sagte sie sichtlich aufgewühlt. Und auch OB Ewald ließ es sich nicht nehmen, seine Bestürzung über die Absetzung des Tagesordnu­ngspunktes, aber auch die Art und Weise der Gesprächsk­ultur an diesem Montagaben­d, zum Ausdruck zu bringen. „Wir müssen sehr gut aufpassen. Das, was wir gehört haben, hat das Potenzial uns nachhaltig zu schaden“, sagte Ewald.

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