Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Hereinspaziert!
Der „Kunsthof“von Uwe Neuhaus ist seit 50 Jahren ein kleines Zauberreich in Altusried
ALTUSRIED - Kuhgeläut von draußen erfüllt den Raum. Unter den Füßen knirscht der Kies, knarzen Holzdielen und -treppen. Den Kopf einziehen kann hin und wieder nicht schaden und eine warme Jacke in diesen kühlen Herbsttagen auch nicht. Aus dem Jahr 1463 stammen die Grundmauern des Bauernhauses mit der Adresse Opprechts 2. Es ist ein wundersamer, einnehmender und ein auf 850 Metern gelegener Ort, von dem man einen herrlichen Blick auf die Allgäuer Berge hat. Der Künstler Uwe Neuhaus wohnt dort mit Ehefrau Christine und Tochter Lina. Seine „Insel“nennt er gern diesen märchenhaften Flecken, der für den 78-Jährigen zur Heimat wurde. Seit 50 Jahren lebt er hier auf seinem „Kunsthof“, den er alljährlich für eine Sommerausstellung für Kunstfans aus nah und fern öffnet. Das war auch in diesem Jahr geplant. Doch dann kam Corona.
An eine Kunstausstellung mit großer Eröffnungsparty war nicht zu denken. Mit seinen Künstlerfreunden Stephan Rustige, Pit Kinzer und Dieter Serfas hatte Uwe Neuhaus die Schau geplant, verschob sie dann aber auf Sommer 2021. Doch ganz ohne Ausstellung sollte das Jubiläumsjahr doch nicht sein. „In diesem corobösen Jahr ist der Kunsthof bis unters Dach mit meinen Arbeiten bespielt und bestückt“, schreibt Neuhaus in seiner Einladungskarte. Unter dem Motto „Ein · Durch · Aus · Blicke in Bildwelten von damals und heute“zeigt er bis Mitte Dezember über 150 Bilder, Aquarelle, Zeichnungen und Objekte aus den vergangenen 50 Jahren. Fantastisches, Freches, Witziges, Gehaltvolles und Anregendes erwartet die Besucher, die nicht nur Zeit (und Maske) mitbringen sollten, sondern auch eine warme Jacke.
Ein Bauernhaus als Heimat hatte Neuhaus früh im Sinn. Während des Krieges verschlug es seine Mutter von München nach Mittenwald. Dort wurde Uwe Neuhaus 1942 geboren. Nach dem Krieg ging es zurück nach München. Die Mutter war Schauspielerin, hatte sich dem avantgardistischen Theater verschrieben und war oft auf Tournee, wie auch der Stiefvater als Geiger. So verbrachte Neuhaus viel Zeit in Heimen und bei Pflegeeltern. „Ich hatte immer Sehnsucht nach einem eigenen Heim“, erzählt er. Von 1964 bis 1969 studierte er an der Kunst-Akademie und betrieb in Schwabing drei Jahre lang eine eigene Galerie. Im vierten Jahr wurde daraus ein Trödelladen. „Das war aber nicht meine Welt.“Dann zog es ihn aufs Land. Auf der Suche nach einem geeigneten Bauernhaus landete er im Allgäu. Eines in Ottenstall schaute er sich an (später bezog es der Münchner Künstlerkollege Alfred Darda). Dann entdeckte er den
Hof in Opprechts. Auch der Mutter gefiel er. Sie sicherte die Finanzierung des Kaufs. „Die Frauen haben mir in meinem Leben immer geholfen“, sagt Neuhaus auch mit Blick auf seine Frau, die als Erzieherin mithilft, den Lebensunterhalt zu sichern.
„Schee isch’s scho, aber g’falle duat ma’s it“, hat ihm ein Bauer bei einem Ausstellungsbesuch einmal gesagt. Ein anderer meinte gar: „Du kahsch so schee moale, aber warum moalsch du koine scheene Bilder?“Noch heute gibt Neuhaus gerne diese Zitate mit lautem Lachen zum Besten.
Vielen anderen freilich gefielen seine Arbeiten, und so wurde der Kunsthof für Neuhaus zur Erwerbsquelle. Zum Leben gehören für ihn Feste. Seit 50 Jahren lädt er deshalb neben Künstlerfreunden meist zur Vernissage Kabarettisten, Komiker und Wortakrobaten wie Peter Spielbauer,
Philipp Sonntag, Jess Jochimsen oder Faltsch Wagoni ein.
Neuhaus’ Kunst steckt voller Facetten. Im ehemaligen Stall stößt der Besucher auf Frühwerke aus den 70er-Jahren, akribisch surrealistische Pinselzeichnungen. Ein Stockwerk höher trifft er auf eine „Face Mile“, eine 30-teilige „Gesichter-Galerie“von 2019. Neuhaus inszeniert dort auf Papier Köpfe – fantastisch, mit versteckten erotischen Details, Geschichten und Figuren. Staunend betritt man die Tenne, in der es meist großformatige, farben- und formenreiche Bilder zum Sattsehen gibt. Im früheren Gewächshaus zieht eine Installation aus alten Orgelpfeifen den Blick auf sich („Verlorene Töne“). Neuhaus beschäftigt sich gern mit gebrauchten Dingen. Alte ReklameSiebdruckrahmen hat er zu fantastischen Objektbildern umgestaltet. Apart sind auch seine „BiedermeierRahmen-Bilder“in einer Stube. Und die Wände der früheren Werkstatt im Erdgeschoss zieren „Stick-Stoff“-Arbeiten. Die filigran-feinen StickereiMotive hat Uwe Neuhaus malerisch weitergesponnen. Wie so oft erzählt er auch hier hintergründige Geschichten und Metamorphosen (etwa wie eine heile Welt aus den Fugen gerät). Dazu passt auch eine schrille „Corona-Arbeit“: Den Kunstdruck einer nackten, sich lasziv räkelnden blonden Schönheit im schweren Goldrahmen hat er mit dem CoronaSchalk im Nacken süffisant bearbeitet. Ja, Kitsch kann manchmal auch zur Kunst werden ...