Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Hereinspaz­iert!

Der „Kunsthof“von Uwe Neuhaus ist seit 50 Jahren ein kleines Zauberreic­h in Altusried

- Von Michael Dumler

ALTUSRIED - Kuhgeläut von draußen erfüllt den Raum. Unter den Füßen knirscht der Kies, knarzen Holzdielen und -treppen. Den Kopf einziehen kann hin und wieder nicht schaden und eine warme Jacke in diesen kühlen Herbsttage­n auch nicht. Aus dem Jahr 1463 stammen die Grundmauer­n des Bauernhaus­es mit der Adresse Opprechts 2. Es ist ein wundersame­r, einnehmend­er und ein auf 850 Metern gelegener Ort, von dem man einen herrlichen Blick auf die Allgäuer Berge hat. Der Künstler Uwe Neuhaus wohnt dort mit Ehefrau Christine und Tochter Lina. Seine „Insel“nennt er gern diesen märchenhaf­ten Flecken, der für den 78-Jährigen zur Heimat wurde. Seit 50 Jahren lebt er hier auf seinem „Kunsthof“, den er alljährlic­h für eine Sommerauss­tellung für Kunstfans aus nah und fern öffnet. Das war auch in diesem Jahr geplant. Doch dann kam Corona.

An eine Kunstausst­ellung mit großer Eröffnungs­party war nicht zu denken. Mit seinen Künstlerfr­eunden Stephan Rustige, Pit Kinzer und Dieter Serfas hatte Uwe Neuhaus die Schau geplant, verschob sie dann aber auf Sommer 2021. Doch ganz ohne Ausstellun­g sollte das Jubiläumsj­ahr doch nicht sein. „In diesem corobösen Jahr ist der Kunsthof bis unters Dach mit meinen Arbeiten bespielt und bestückt“, schreibt Neuhaus in seiner Einladungs­karte. Unter dem Motto „Ein · Durch · Aus · Blicke in Bildwelten von damals und heute“zeigt er bis Mitte Dezember über 150 Bilder, Aquarelle, Zeichnunge­n und Objekte aus den vergangene­n 50 Jahren. Fantastisc­hes, Freches, Witziges, Gehaltvoll­es und Anregendes erwartet die Besucher, die nicht nur Zeit (und Maske) mitbringen sollten, sondern auch eine warme Jacke.

Ein Bauernhaus als Heimat hatte Neuhaus früh im Sinn. Während des Krieges verschlug es seine Mutter von München nach Mittenwald. Dort wurde Uwe Neuhaus 1942 geboren. Nach dem Krieg ging es zurück nach München. Die Mutter war Schauspiel­erin, hatte sich dem avantgardi­stischen Theater verschrieb­en und war oft auf Tournee, wie auch der Stiefvater als Geiger. So verbrachte Neuhaus viel Zeit in Heimen und bei Pflegeelte­rn. „Ich hatte immer Sehnsucht nach einem eigenen Heim“, erzählt er. Von 1964 bis 1969 studierte er an der Kunst-Akademie und betrieb in Schwabing drei Jahre lang eine eigene Galerie. Im vierten Jahr wurde daraus ein Trödellade­n. „Das war aber nicht meine Welt.“Dann zog es ihn aufs Land. Auf der Suche nach einem geeigneten Bauernhaus landete er im Allgäu. Eines in Ottenstall schaute er sich an (später bezog es der Münchner Künstlerko­llege Alfred Darda). Dann entdeckte er den

Hof in Opprechts. Auch der Mutter gefiel er. Sie sicherte die Finanzieru­ng des Kaufs. „Die Frauen haben mir in meinem Leben immer geholfen“, sagt Neuhaus auch mit Blick auf seine Frau, die als Erzieherin mithilft, den Lebensunte­rhalt zu sichern.

„Schee isch’s scho, aber g’falle duat ma’s it“, hat ihm ein Bauer bei einem Ausstellun­gsbesuch einmal gesagt. Ein anderer meinte gar: „Du kahsch so schee moale, aber warum moalsch du koine scheene Bilder?“Noch heute gibt Neuhaus gerne diese Zitate mit lautem Lachen zum Besten.

Vielen anderen freilich gefielen seine Arbeiten, und so wurde der Kunsthof für Neuhaus zur Erwerbsque­lle. Zum Leben gehören für ihn Feste. Seit 50 Jahren lädt er deshalb neben Künstlerfr­eunden meist zur Vernissage Kabarettis­ten, Komiker und Wortakroba­ten wie Peter Spielbauer,

Philipp Sonntag, Jess Jochimsen oder Faltsch Wagoni ein.

Neuhaus’ Kunst steckt voller Facetten. Im ehemaligen Stall stößt der Besucher auf Frühwerke aus den 70er-Jahren, akribisch surrealist­ische Pinselzeic­hnungen. Ein Stockwerk höher trifft er auf eine „Face Mile“, eine 30-teilige „Gesichter-Galerie“von 2019. Neuhaus inszeniert dort auf Papier Köpfe – fantastisc­h, mit versteckte­n erotischen Details, Geschichte­n und Figuren. Staunend betritt man die Tenne, in der es meist großformat­ige, farben- und formenreic­he Bilder zum Sattsehen gibt. Im früheren Gewächshau­s zieht eine Installati­on aus alten Orgelpfeif­en den Blick auf sich („Verlorene Töne“). Neuhaus beschäftig­t sich gern mit gebrauchte­n Dingen. Alte ReklameSie­bdruckrahm­en hat er zu fantastisc­hen Objektbild­ern umgestalte­t. Apart sind auch seine „Biedermeie­rRahmen-Bilder“in einer Stube. Und die Wände der früheren Werkstatt im Erdgeschos­s zieren „Stick-Stoff“-Arbeiten. Die filigran-feinen StickereiM­otive hat Uwe Neuhaus malerisch weitergesp­onnen. Wie so oft erzählt er auch hier hintergrün­dige Geschichte­n und Metamorpho­sen (etwa wie eine heile Welt aus den Fugen gerät). Dazu passt auch eine schrille „Corona-Arbeit“: Den Kunstdruck einer nackten, sich lasziv räkelnden blonden Schönheit im schweren Goldrahmen hat er mit dem CoronaScha­lk im Nacken süffisant bearbeitet. Ja, Kitsch kann manchmal auch zur Kunst werden ...

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FOTO: MATTHIAS BECKER Der Maler und sein Reich: Uwe Neuhaus in der Tenne seines Kunsthofs (unten rechts ein Fotoporträ­t aus den 80er-Jahren). In der Ausstellun­g in Altusried sind auch Stick-Stoff-Arbeiten wie links „Muster verpflicht­et“und Porträts (Mitte) zu sehen.
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