Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Schwein gehabt
Der Weltspartag am 31. Oktober erscheint heute wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten
STUTTGART - Es mag eine Reihe von genialen Marketing-Ideen geben, die in der Finanzbranche als Klassiker gelten. Dazu gehören die Slogans „Wenn’s um Geld geht, Sparkasse“oder das „Wir machen den Weg frei“der Volks- und Raiffeisenbanken. Auch das Logo der Deutschen Bank „Schrägstrich im Quadrat“von 1974, das „Wachstum in einem stabilen Umfeld“symbolisieren soll, wäre zu nennen. Und dann gibt es da noch einen Marketing-Event, der heute wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten anmutet: der Weltspartag, der seit 1925 für die Förderung des Spargedankens wirbt. Alljährlich locken seitdem Finanzinstitute mit Plüschtieren und Spardosen, damit Kinder ihr Erspartes auf ihr Sparbuch einzahlen. Gerne erinnert sich der Autor noch, wie auch er sein Sparschwein 1970 zur heimischen Volksbank trug, um es dort „schlachten zu lassen“. Als Dank gab’s dafür Autogramme der damaligen VfB-Profis Gerhard Heinze und Jan Olsson. Aber natürlich gab es auch noch echte Zinsen. Bei stolzen 4,50 Prozent lag damals der durchschnittliche Zinssatz für Spareinlagen mit dreimonatiger Kündigungsfrist. Schwein gehabt, denkt man sich im Nachhinein – und weil beim jährlichen Nachtrag des Sparbüchleins eine ordentliche Verzinsung auf die jungen Sparer wartete, machte es Spaß, den Umgang mit Geld durch Konsumverzicht einzuüben.
Inzwischen haben sich die Rahmenbedingungen freilich stark verändert. Lediglich 0,1 Prozent Zinsen (2019) gibt es heute durchschnittlich für Spareinlagen, nachdem dieser Wert bis zur Finanzkrise 2008 noch bei 2,5 Prozent gelegen hatte. Und dennoch legen die Sparer heute ihr Geld weiterhin gerne auf die hohe Kante. 2019 waren es noch 10,9 Prozent ihres verfügbaren Einkommens, das private
Haushalte zur Bank trugen. Im laufenden Jahr soll die Sparquote sogar auf 16 Prozent hochgehen, wie die DZ Bank in einer aktuellen Studie prognostiziert. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Wegen der herrschenden Unsicherheit durch die Pandemie überschwemmen die Anleger Kreditinstitute mit Geld, das diese eigentlich gar nicht wollen. Daher versuchen Banken und Sparkassen zunehmend die Einlagenschwemme insbesondere von Neukunden mit Strafzinsen abzuwehren.
Der Ärger darüber ist groß, doch kann er auch sein Gutes haben. Nämlich dann, wenn sich Sparer deshalb mit Alternativen bei ihrer Vermögensanlage befassen. Und die bietet nun mal der Kapitalmarkt. Denn was geschieht, wenn Bargeld und Einlagen aktuell mit 40 Prozent immer noch die bedeutendste Anlageklasse von privaten Haushalten ausmachen? Spar- und Tagesgeldkonten bringen so gut wie nichts, sondern verringern auf Dauer die Kaufkraft der Anleger. Ergo: Durch ihr Sparverhalten verlieren die Deutschen jedes Jahr Geld. Leicht negative Inflationsraten der letzten Monate kaschieren diesen Effekt derzeit zwar ein wenig, dennoch ist für das Gesamtjahr eine Geldentwertung von 0,5 Prozent zu erwarten. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die Bundesbank Sparern ausdrücklich, stärker als bisher auf unterschiedliche Anlageformen zu setzen. Gemeint sind Aktien, Schuldverschreibungen, Investmentfondsanteile und Ansprüche gegenüber Versicherungen. Ganz nach dem Motto „Die Mischung macht’s“. Und tatsächlich hat es ja ausgerechnet im Corona-Jahr 2020 eine verstärkte Hinwendung der Deutschen zu Aktien gegeben. Dennoch standen per 30. Juni laut Bundesbank knapp 800 Milliarden
Euro an Aktienvermögen der Deutschen immer noch 2,7 Billionen Euro auf Girokonten, Termin- und Spareinlagen sowie als Bargeld gegenüber. Da kann schon mal an eine Umschichtung nachgedacht werden.
Und während in jenen längst vergangenen Zeiten des Zins- und Zinseszinses für viele das Sparbuch als zentrales Anlageinstrument galt, hatte der Weltspartag eine besondere Berechtigung. In heutigen zinsfreien Zeiten, in denen die Finanzinstitute eigentlich gar keine Spareinlagen mehr haben wollen, ist der Tag zum Anachronismus geworden. Um der Komplexität der Ertragssituation am Kapitalmarkt aber gerecht zu werden, bräuchte es eher einer neuen Marketingidee für die Finanzwirtschaft. So könnte der Weltspartag im Sinne einer breiten Produktpalette vielleicht zum „Weltanlagetag“werden. Und am besten streicht man gleich noch den Begriff „Welt“. Autogramme von Fußball-Profis kann’s ja dann dennoch geben.