Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Überzeugt, dass die Gewalt gestiegen ist“
Frauenhaus-Leiterin rechnet mit mehr Fällen von häuslicher Gewalt in kalter Jahreszeit
KEMPTEN - „Das war’s noch nicht“, sagte Kriminalhauptkommissarin Dagmar Bethke während des jüngsten „Runden Tisches Häusliche Gewalt“in Kempten. Angesichts der steigenden Infektionszahlen und den damit einhergehenden Maßnahmen rechnen sie und die anderen Mitglieder mit der Zunahme häuslicher Gewalt. Auch wenn bisher nicht mehr Fälle angezeigt wurden als üblich. Roswitha Ziegerer vom Frauenhaus sagt: „Dass die Gewalt gestiegen ist, davon bin ich überzeugt.“
Bethke und Kriminalhauptmeisterin Petra Tebel sind Beauftragte für Kriminalitätsopfer im Polizeipräsidium Schwaben Süd/West. Der Umgang mit häuslicher Gewalt gehört zu ihrem wie auch zum Arbeitsalltag der anderen Teilnehmer des „Runden Tisches“. Katharina Simon, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Kempten, forderte deshalb alle auf, über ihre bisherigen Erfahrungen während der Corona-Krise zu berichten. Bisher hätten sie keine Abweichungen bei Fällen von häuslicher Gewalt feststellen können – obwohl die Lage während des Lockdowns täglich überprüft worden sei, sagte Bethke. In anderen Ländern seien die Zahlen dagegen in die Höhe geschnellt. „Wir können das nur schwer beurteilen.“
„Für das Frauenhaus ist Corona ein schreckliches Thema“, sagte Leiterin Roswitha Ziegerer. Ohnehin gehe es dort eng zu, was ab März noch problematischer gewesen sei. Ihre Mitarbeiter hätten Unglaubliches geleistet, um einen Lagerkoller möglichst zu vermeiden und die Mütter beim Home-Schooling und der Betreuung ihrer Kinder zu unterstützen. Zwar sei das Haus voll belegt gewesen, sagte Ziegerer. Neue Anfragen sowohl für Beratungen als auch für eine Aufnahme im
Haus kamen aber keine. „Das wundert mich auch nicht.“
Frauen, die zu Hause Gewalt erfahren und überdies mit den Folgen der Krise belastet sind, wenden sich wohl kaum ans Frauenhaus, meint Ziegerer. Zwischenzeitlich habe sich aber die räumliche Situation verbessert. Dank einer Aufteilung in drei Wohneinheiten, die voneinander abgetrennt werden können, gebe es jetzt mehr Platz. Maximal lebten drei Frauen zusammen. Die Anfragen und Beratungen haben nun wieder zugenommen, seien aber nicht mehr als vor Corona.
Bethke glaubt, dass das schöne Wetter im Frühjahr und das Ausbleiben einer Ausgangssperre dazu beigetragen haben, dass die Lage nicht eskaliert ist. Ein weiteres Plus: Anträge auf Gewaltschutz hätten ohne Probleme kontaktlos bei den Gerichten beantragt werden können, sagte Tebel. Katharina Babl von der Psychologischen Beratungsstelle für Ehe- und Familienfragen hat festgestellt, dass zwar keine neuen Fälle häuslicher Gewalt hinzugekommen seien. Aber die Belastung derer, die bereits betroffen seien, sei noch stärker geworden. Wichtig sei deshalb, präventive Hilfsangebote bekannter zu machen, sagte Bethke. „Ich möchte dringend davor warnen, dass wir entspannt werden angesichts der niedrigen Zahlen.“