Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Überzeugt, dass die Gewalt gestiegen ist“

Frauenhaus-Leiterin rechnet mit mehr Fällen von häuslicher Gewalt in kalter Jahreszeit

- Von Kerstin Schellhorn

KEMPTEN - „Das war’s noch nicht“, sagte Kriminalha­uptkommiss­arin Dagmar Bethke während des jüngsten „Runden Tisches Häusliche Gewalt“in Kempten. Angesichts der steigenden Infektions­zahlen und den damit einhergehe­nden Maßnahmen rechnen sie und die anderen Mitglieder mit der Zunahme häuslicher Gewalt. Auch wenn bisher nicht mehr Fälle angezeigt wurden als üblich. Roswitha Ziegerer vom Frauenhaus sagt: „Dass die Gewalt gestiegen ist, davon bin ich überzeugt.“

Bethke und Kriminalha­uptmeister­in Petra Tebel sind Beauftragt­e für Kriminalit­ätsopfer im Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/West. Der Umgang mit häuslicher Gewalt gehört zu ihrem wie auch zum Arbeitsall­tag der anderen Teilnehmer des „Runden Tisches“. Katharina Simon, die Gleichstel­lungsbeauf­tragte der Stadt Kempten, forderte deshalb alle auf, über ihre bisherigen Erfahrunge­n während der Corona-Krise zu berichten. Bisher hätten sie keine Abweichung­en bei Fällen von häuslicher Gewalt feststelle­n können – obwohl die Lage während des Lockdowns täglich überprüft worden sei, sagte Bethke. In anderen Ländern seien die Zahlen dagegen in die Höhe geschnellt. „Wir können das nur schwer beurteilen.“

„Für das Frauenhaus ist Corona ein schrecklic­hes Thema“, sagte Leiterin Roswitha Ziegerer. Ohnehin gehe es dort eng zu, was ab März noch problemati­scher gewesen sei. Ihre Mitarbeite­r hätten Unglaublic­hes geleistet, um einen Lagerkolle­r möglichst zu vermeiden und die Mütter beim Home-Schooling und der Betreuung ihrer Kinder zu unterstütz­en. Zwar sei das Haus voll belegt gewesen, sagte Ziegerer. Neue Anfragen sowohl für Beratungen als auch für eine Aufnahme im

Haus kamen aber keine. „Das wundert mich auch nicht.“

Frauen, die zu Hause Gewalt erfahren und überdies mit den Folgen der Krise belastet sind, wenden sich wohl kaum ans Frauenhaus, meint Ziegerer. Zwischenze­itlich habe sich aber die räumliche Situation verbessert. Dank einer Aufteilung in drei Wohneinhei­ten, die voneinande­r abgetrennt werden können, gebe es jetzt mehr Platz. Maximal lebten drei Frauen zusammen. Die Anfragen und Beratungen haben nun wieder zugenommen, seien aber nicht mehr als vor Corona.

Bethke glaubt, dass das schöne Wetter im Frühjahr und das Ausbleiben einer Ausgangssp­erre dazu beigetrage­n haben, dass die Lage nicht eskaliert ist. Ein weiteres Plus: Anträge auf Gewaltschu­tz hätten ohne Probleme kontaktlos bei den Gerichten beantragt werden können, sagte Tebel. Katharina Babl von der Psychologi­schen Beratungss­telle für Ehe- und Familienfr­agen hat festgestel­lt, dass zwar keine neuen Fälle häuslicher Gewalt hinzugekom­men seien. Aber die Belastung derer, die bereits betroffen seien, sei noch stärker geworden. Wichtig sei deshalb, präventive Hilfsangeb­ote bekannter zu machen, sagte Bethke. „Ich möchte dringend davor warnen, dass wir entspannt werden angesichts der niedrigen Zahlen.“

 ?? FOTO: GAMBARINI/DPA ?? In anderen Ländern ist die Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt während des Corona-Lockdowns sprunghaft angestiege­n – nicht so in Kempten und im Oberallgäu. Woran das liegt, ist für die Polizei und die Fachleute aus dem Hilfeberei­ch schwer nachzuvoll­ziehen. Sie gehen von einer hohen Dunkelziff­er aus.
FOTO: GAMBARINI/DPA In anderen Ländern ist die Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt während des Corona-Lockdowns sprunghaft angestiege­n – nicht so in Kempten und im Oberallgäu. Woran das liegt, ist für die Polizei und die Fachleute aus dem Hilfeberei­ch schwer nachzuvoll­ziehen. Sie gehen von einer hohen Dunkelziff­er aus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany