Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Kempten hinterfragt die eigene Geschichte
Kommission soll sich mit der Erinnerungskultur auseinandersetzen – Kempten will sich auch mit Ethik beschäftigen
KEMPTEN (jaj) - Die Stadt Kempten setzt sich jetzt intensiv mit ihrer Geschichte auseinander: Die „Kommission für Erinnerungskultur“soll aber nicht nur Straßennamen untersuchen, die vielleicht umbenannt werden. Die Gruppe wird zudem über Werte und ethische Grundlagen des Erinnerns diskutieren. Eine entsprechende Empfehlung für den Stadtrat hat der Kulturausschuss am Mittwochnachmittag einstimmig beschlossen. Diese umfasst auch, wie die Kommission zusammengesetzt werden soll (siehe Infokasten) .
Kulturamtsleiter Martin Fink erinnerte an die Stadtratssitzung im Juli. Das Gremium entschied sich, die Knussertstraße umzubenennen. Vorausgegangen war eine zweijährige Diskussion über die Biografie des einstigen Lehrers und dessen Rolle im Nationalsozialismus. Der Stadtrat beschloss in diesem Zuge aber auch, dass die Verwaltung ein Konzept zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Kempten erstellt – im Kontext einer angemessenen Erinnerungskultur. „Wir haben gemerkt: Wir wissen viel zu wenig“, sagte Fink. „Wir wissen nichts über Prozesse und Strukturen – wie hat die Stadtverwaltung agiert? Wie unsere Vorgänger?“
Der Kulturamtsleiter unterscheidet zwei Themenfelder: Aufarbeitung einerseits und Erinnerungskultur andererseits. Letztere nimmt die Kommission in den Blick. Deren Arbeit soll aber nicht auf den Nationalsozialismus beschränkt sein – und auch nicht auf Straßennamen. Ein Programm mit Vorträgen, Diskussionen und anderen Angeboten wird die Arbeit der Kommission begleiten und soll den Bürgern ermöglichen, die Themen mitzugestalten.
Der Prozess der Aufarbeitung sei komplexer, sagte Fink. Auch hier sollen Bürger, Vereine und andere
Einrichtungen einbezogen werden. Ein detailliertes Konzept werde dem Kulturausschuss in einer der nächsten Sitzungen vorgestellt.
Oberbürgermeister Thomas Kiechle sprach von einem „Thema, das alle bewegt“. Man müsse die Geschichte stets im Kontext mit der Gegenwart betrachten und das eigene Verhalten reflektieren. Kiechle verwies auf „schwierige radikale Tendenzen in unserer Gesellschaft, die wir erleben“. Wie zuvor Fink betonte er, dass der nun angestoßene Prozess, in den auch die Jugend eingebunden werden müsse, Zeit in Anspruch nimmt.
Die Stadträte begrüßten das vom Kulturamt erarbeitete Konzept. Andreas Kibler (Freie Wähler/ÜP) warb darum, auch die Leiterin des Stadtmuseums in die Kommission aufzunehmen. Dem folgte das Gremium. Auf weitere Anregungen, die Kommission auszuweiten, entgegnete Kiechle, dass diese arbeitsfähig bleiben sollte.
Später sprach der Ausschuss über den Haushalt des Kulturamts. Demnach sollen 2021 für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus 50 000 Euro ausgegeben werden, für die Einrichtung der Kommission 10 000 Euro.