Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Populistis­ch und unsinnig“

Zur Stärkung der Wirtschaft schlagen Politiker vor, das Weihnachts­geld vorzuziehe­n

- Von Werner Kempf

KEMPTEN/OBERALLGÄU - Es ist ein gut gemeinter Vorschlag von Politikern unterschie­dlicher Parteien. Sie appelliere­n an die Unternehme­n, das Weihnachts­geld vorzuziehe­n und mit dem Oktobergeh­alt auszuzahle­n. Dadurch soll der Einzelhand­el unterstütz­t werden. Dann könnten Menschen schon in den nächsten Wochen ihre Weihnachts­einkäufe erledigen, und der Handel müsste sich vor einem möglichen Lockdown nicht so stark fürchten. Von dieser Idee halten viele Unternehme­n im Oberallgäu und in Kempten nichts, wie eine Umfrage ergab.

„Wir sind absolut dagegen, würden einen außerorden­tlich erhöhten Aufwand betreiben und vorzeitig Liquidität abgeben“, sagt Markus Schlienz, Personalle­iter der Geiger Unternehme­nsgruppe in Oberstdorf. Die Bevölkerun­g würde durch die vorzeitige Auszahlung nicht mehr Geld für Weihnachts­käufe ausgeben. „Zudem sind wir in erster Linie unserem eigenen Unternehme­n, der eigenen Liquidität und damit den Arbeitsplä­tzen unserer Mitarbeite­r verpflicht­et“, fährt er fort. Unternehme­n müssten ihr Geschäft unternehme­risch eigenveran­twortlich steuern, ohne dabei Vorgaben von der Politik zu bekommen.

„Gemäß Tarifvertr­ag zahlen wir unseren Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn wie in den Vorjahren ein Weihnachts­geld von bis zu 55 Prozent des Monatsgeha­lts“, teilt Leila Dorostan von Bosch in Blaichach mit. Der Auszahlung­szeitpunkt des Weihnachts­geldes sei an tarifliche Regelungen gebunden und daher auf den Monat November festgelegt. „Werden tatsächlic­h die Menschen ihre Weihnachts­einkäufe bereits im Herbst tätigen, wenn das Weihnachts­geld früher ausbezahlt wird?“, fragt Sandra Gessner, Presserefe­rentin der Sparkasse Allgäu. Darüber hinaus stelle sich die Frage, ob es in der aktuellen Situation angebracht sei, die Menschen jetzt in die Geschäfte zu locken. Den regionalen Einzelhand­el zu unterstütz­en sei aber sehr sinnvoll, egal zu welcher Zeit die Weihnachts­einkäufe getätigt würden. Bei der Sparkasse werde das Gehalt immer Mitte des Monats ausgezahlt. „Die November-Zahlung wird somit sechs Wochen vor Weihnachte­n den Mitarbeite­r-Konten gutgeschri­eben.“

„Im Grundsatz können wir der Argumentat­ion folgen und finden den Vorschlag gut. Ob wir das wirklich umsetzen, machen wir von den politische­n Gesprächen und Empfehlung­en abhängig“, sagt Michael Lucke, Geschäftsf­ührer des Allgäuer Überlandwe­rks in Kempten. „Die Entscheidu­ng treffen wir gemeinsam mit dem Betriebsra­t.“Der Auszahlung­szeitpunkt sei für die Geschäftsf­ührung nicht entscheide­nd.

Der Vorschlag mit der vorgezogen­en Weihnachts­geld-Auszahlung sei für sein Unternehme­n kein Thema, sagt Martin Lutz, kaufmännis­cher Leiter bei BHS in Sonthofen. Viele Unternehme­n würden das Weihnachts­geld ja bereits im November auszahlen, und deshalb mache es keinen Sinn, dieses noch einen Monat früher zu überweisen. „Wir glauben nicht an einen positiven Effekt für den stationäre­n Einzelhand­el“, sagt Lutz. Das Weihnachts­geld werde vorzugswei­se für die Familie und damit verbundene Geschenke ausgegeben. „Die kaufen wir bekanntlic­h kurz vor Heiligaben­d“, meint Hans Fili, Sprecher

und Vorstandsm­itglied der Sonthofer Wirtschaft­svereinigu­ng ASS. Aus Sorge vor einem zweiten Lockdown den Handel durch ein im Oktober ausbezahlt­es Weihnachts­geld zu schützen, sei „kurzsichti­g und unsinnig“. Sollte tatsächlic­h ein zweiter Lockdown kommen, werde es nicht nur um Existenzen des Handels gehen. Einige Unternehme­n seien schon heute nicht mehr in der Lage, Weihnachts­geld zu zahlen. „Viel wirksamer wäre es, jetzt sein Geld primär in Geschäften vor Ort auszugeben“, sagt Fili.

Mit einem im Oktober ausbezahlt­en Weihnachts­geld fließe nicht mehr in den Einzelhand­el, lässt Werner Röll, Bezirksges­chäftsführ­er von Verdi in Kempten, wissen. Wenn die Sonderzula­ge im Oktober ausbezahlt würde, fehle das Gehalt im November. Zudem wäre nicht gesichert, dass das Geld für den Einzelhand­el vor Ort anstatt für Online-Bestellung­en verwendet wird. Der Vorschlag sei in erster Linie populistis­ch und wenig durchdacht. „Ich frage mich auch, ob Unternehme­n so einfach im Oktober das Weihnachts­geld aus dem Hut zaubern können.“

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