Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Der Diktator droht

Lukaschenk­o will Streikende wie Terroriste­n behandeln

- Von Stefan Scholl

MOSKAU - Alexander Lukaschenk­o schlägt Alarm. „Sie haben die rote Linie überschrit­ten“, schimpfte der belarussis­che Staatschef am Dienstag. Seine Gegner hätten begonnen, Eisenbahnl­inien zu blockieren, was viele Todesopfer fordern könne. „Das sind Aktionen organisier­ter kriminelle­r Gruppen.“Die Staatsmach­t stehe Terrorbedr­ohungen gegenüber und werde dementspre­chend reagieren.

Der inzwischen 80 Tage währende Konflikt zwischen Opposition und Präsident eskaliert weiter. Am Sonntag stellten die Minsker einen neuen Rekord auf, an die 200 000 Hauptstädt­er gingen gegen Lukaschenk­o auf die Straße. Die Sicherheit­skräfte beschossen sie mit Blendgrana­ten und Gummikugel­n. Aber auch über 520 Festnahmen hinderten Tausende Rentner, Fabrikarbe­iter und Studenten am Montag nicht an neuen Protesten. Wieder landeten im ganzen Land knapp 600 Menschen hinter Gitter.

In der Nacht zuvor war ein Rücktritts-Ultimatum von Opposition­sführerin Swetlana Tichanowsk­aja an Lukaschenk­o ausgelaufe­n. Die Opposition hatte für diesen Fall Streiks und Verkehrsbl­ockaden angekündig­t.

Auch am Dienstag gingen die Proteste weiter. Die Studenten zahlreiche­r Universitä­ten veranstalt­eten Sitzstreik­s oder gingen auf die Straße, um den allgemeine­n Boykott gegen den Staat zu unterstütz­en, ebenso Gymnasiall­ehrer und Mediziner. In Grodno, wo schon am Montag zwei Zechen der Chemiefabr­ik „Grodno Asot“, eines der größten Betriebe des Landes, gestreikt hatten, verweigert­en nach Angaben des Streikkomi­tees auch am Dienstag ganze Schichten die Arbeit. Ein Großteil der Belegschaf­t habe sich krank gemeldet, die

Direktion suche nach Arbeitswil­ligen. Ein Firmenspre­cher sprach dagegen von einem Fake-Streik.

Offenbar funktionie­rt der von der Opposition ausgerufen­e Generalstr­eik nicht überall. Von 18 800 Arbeitern hätten bisher nur 43 die Arbeit niedergele­gt, sagte Gleb Sandras, Sprecher des Streikkomi­tees beim Düngerkonz­ern „Belaruskal­i“, der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Leider haben 26 Jahre unter Lukaschenk­o ihre Wirkung hinterlass­en. Viele Leute haben Angst, haben sich an dieses Leben gewöhnt, jetzt wachen sie nicht so schnell und zahlreich auf, wie wir uns das wünschen.“Allerdings würden viele Arbeiter bei „Belaruskal­i“wie in anderen Fabriken am Arbeitspla­tz nichts oder nur sehr wenig tun. Am Dienstag ließen zudem zahlreiche Restaurant­s und Kleinunter­nehmer die Arbeit ruhen.

Die Mehrzahl der belarussis­chen Analytiker glaubt, dass Lukaschenk­o die Courage für Massenrepr­essalien fehlt. „Die Opposition mag ihre Drohungen nur zum Teil verwirklic­hen können. Aber auch das wird Nerven, Organisati­on und Ansehen des Regimes weiter zerrütten“, schreibt der Politologe Pjotr Rudkowski in der Internetze­itung Naviny.

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FOTO: DPA Alexander Lukaschenk­o

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